Grunting (Tennis)

Grunting (Tennis)

Der Begriff Grunting (englisch grunting für Grunzen, ugs. „Stöhnen“) wird im Zusammenhang des Tennis verwendet für die Lautäußerung von Spielern beim Schlagen eines Balles. Sie wurde als mögliche Störung des Publikums und des jeweiligen Gegners thematisiert, besonders bei weiblichen Sportlern.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung im Sport

Manche Tennistrainer empfehlen diese Lautäußerungen durch besonders expressives Atmen im Moment des Ballkontaktes als Teil der Atemkontrolle, die zur optimalen Energieübertragung notwendig sei.[1] Wie auch in Wurfsportarten und beim Gewichtheben findet ein Verschluss der Stimmritze nach der Einatmung statt und stabilisiert den Oberkörper für die folgende Belastung, nach der stimmhaft oder stimmlos forciert ausgeatmet wird.

Grunting wird eher bei Topspin-Schlägen als beim Aufschlag eingesetzt und ist dem jeweiligen Spieler nicht unbedingt bewusst. Bei den Spielerinnen Monica Seles und Anke Huber ließ sich zeigen, dass Tonhöhe und Lautstärke im Verhältnis zum Kraftaufwand des einzelnen Schlages und auch zu seiner Bedeutung im Spiel stehen.[2] Vincent Spadea betrachtete das Grunting als eine von mehreren Möglichkeiten des Tennisspielers, seine Konzentration zu wahren und sich vor Ablenkung zu schützen.[3]

Wissenschaftliche Rezeption

Tennis als Sport der Oberschicht: María Eulalia von Spanien in zeittypischer Tenniskleidung (1907)

Das Phänomen ist nach der Phonetikerin Angelika Braun, die das Grunting im Tennis wissenschaftlich untersuchte, im Damentennis verbreiteter. Erstmals wurde der Grunt in einem Lehrbuch der Phonetik von Gloria Borden und Katherin Harris im Jahre 1984 zur Illustration des glottal stop anhand von Lautäußerungen des Tennisspielers Jimmy Connors herangezogen. Es handelt sich jedoch um einen sogenannten effort closure im Kehlkopf, durch einen aktiven und krampfartigen Verschluss der Stimmlippen und einer Verhakung des Stellknorpels mit anschließender Lösung. Dieser Prozess erstreckt sich über drei Phasen, der Schließ-, Verschluss- und Lösephase. Da nur die Lösephase hörbar ist, wird der dabei entstehende Laut auch Verschlusslöselaut genannt. [2]

Im Damentennis würden diese Lautäußerungen anders wahrgenommen als beim Herrensport, da die gesellschaftlich akzeptierte soziale Rolle der Sportlerin mit traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit und weiblichem Verhalten kollidieren. Die Laute würden Assoziationen zur Sexualität auslösen:[4][5]

„Doch die weibliche Ekstase durch Verausgabung ist stets eine unmißverständlich erotische, während der maskuline Star die Arbeitsmaschine imitiert, die im Kampf gegen den Tod ihr Letztes gibt.[…] Ganz entsprechend nahm man zunächst auch den Unterschied wahr zwischen weiblichem und männlichem Stöhnen beim Tennis.“

Merkur: deutsche Zeitschrift für europaïsches Denken, Band 47, S. 871: Deutsche Verlags-Anstalt, 1993[6]

Eine sportsoziologische Betrachtungsweise von Karl-Heinrich Bette und Uwe Schimank geht dahin, dass sich das Tennis vom Sport der Oberschichten, der mit einer gewissen Vornehmheit, Zurückhaltung und ohne Erfolgsdruck ausgeübt wurde, zum leistungsorientierten Sport der aufstrebenden Mittelklasse entwickelt hat und das „Stöhnen und Ächzen“ ein Ausdruck dieser Veränderung sei.[7]

Lautstärke

Ein Spitzenplatz wird der portugiesischen Spielerin Michelle Larcher de Brito mit 109 Dezibel zugeschrieben. Weitere bekannt laute Stöhnerinnen sind:

Kontroversen

Bereits Jimmy Connors war in den 1970er Jahren als lauter Spieler bekannt.[9] In die Debatte geriet das Grunting im Profitennis seit den 1990er Jahren speziell durch Monica Seles. Eine prominente Fortsetzung fand das geräuschvolle Auftreten im Spiel bei Marija Scharapowa. Andere Tennisspielerinnen wie die Russin Jelena Dementjewa beschwerten sich über das laute Stöhnen Scharapowas. Das lauteste Stöhnen im Profi-Tennis wurde bisher mit 109 Dezibel (dB) bei der Portugiesin Michelle Larcher de Brito gemessen. Auch andere Spielerinnen bringen Lautäußerungen über 70 dB zustande.[10][11]

Der frühere Tennisprofi Boris Becker forderte 2008 eine Regeländerung bezüglich des Stöhnens, das er als zu sexuell empfand und für ungesund hielt.[12] Michael Stich, ebenfalls früherer Profispieler und nun Sportkommentator für die BBC, bezeichnete es 2009 als „widerlich und unsexy“, was ihm heftige Kritik einbrachte, andererseits der Diskussion über das Stöhnen im Damentennis neue Nahrung lieferte.[13] Martina Navrátilová bezeichnete die Lautäußerungen mancher Spielerinnen als „Betrug“[14] und schloss sich der Forderung nach einer Regeländerung an.[15] Damit nahm sie Ergebnisse einer Studie der University of British Columbia vom Oktober 2010 vorweg,[16] in der sich herausstellte, dass lautes Stöhnen beim Ballkontakt dem stöhnenden Spieler einen Vorteil bietet. Als weiter zu erforschende Erklärung wurde angeboten, dass der Laut des Spielers das Eigengeräusch des Balles überlagert (maskiert) und dem Gegner damit eine adäquat schnelle und korrekte Reaktion erschwert, da dieser keine Informationen über Spin und Geschwindigkeit des Balles mehr erhält.[17][18] Diese Kritik fand sich bereits in den Jahren zuvor auch bei Ivan Lendl und Nathalie Tauziat.[2]

Ian Ritchie, Vorsitzender des All England Lawn Tennis and Croquet Club, der das Turnier von Wimbledon ausrichtet, wies 2011 darauf hin, dass Spieler sich beim Schiedsrichter über zu laute Gegner beschweren können, und wünschte, die Sportler würden sich leiser verhalten.[19]

Die BBC nutzte 2011 bei Übertragungen von Tennisspielen aus Wimbledon spezielle Filtersoftware, mit der die störenden Geräusche der Sportler gegenüber der Stimme des Sprechers weitgehend ausgeblendet werden können. Der Fernsehzuschauer konnte sich den Netmix Player, eine dazu geeignete Software, lokal installieren und die Tonübertragung selbst regeln. Der vom Erlanger Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen entwickelte Netmix Player wird für gängige Betriebssysteme angeboten.[20][21][22] Eine vergleichbare Technik wurde bereits im Jahr zuvor bei der Fußball-Weltmeisterschaft eingesetzt, um die Störung der Übertragung durch Vuvuzelas einzugrenzen.[23]

Siehe auch

Literatur

  • Angelika Braun: Phonetische Betrachtungen zu einem Phänomen im Tennissport: eine explorative Studie zum grunting, in: Sprache und Text in Theorie und Empirie: Beiträge zur germanistischen Sprachwissenschaft: Festschrift für Wolfgang Brandt. S. 198–208. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 9783515078771. Online: Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche
  • Sinnett S, Kingstone A, 2010: A Preliminary Investigation Regarding the Effect of Tennis Grunting: Does White Noise During a Tennis Shot Have a Negative Impact on Shot Perception? doi:10.1371/journal.pone.0013148

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Scott Williams, Randy Petersen: Serious tennis, S. 158. Human Kinetics, 2000, ISBN 9780880119139. Online: Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche
  2. a b c Angelika Braun: Phonetische Betrachtungen zum grunting, in: Sprache und Text in Theorie und Empirie: Beiträge zur germanistischen Sprachwissenschaft: Festschrift für Wolfgang Brandt. S. 198–208. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 9783515078771. Online: Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche
  3. Vince Spadea, Dan Markowitz: Break Point: The Secret Diary of a Pro Tennis Player, S. 234. ECW Press, Toronto 2006, ISBN 9781550227291. Online: Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche
  4. Precilla Y. L. Choi: Femininity and the physically active woman, S. 7 f.. Routledge, 2000, ISBN 9780415165617. Online: Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche
  5. Der Spiegel 22/1995, S. 176: Lustvolle Ebene. Abgerufen am 6. Juli 2011.
  6. Snippet-Ansicht in der Google-Buchsuche
  7. Karl-Heinrich Bette, Uwe Schimank: Die Dopingfalle: Soziologische Betrachtungen, S.85. transcript Verlag, Bielefeld 2006, ISBN 9783899425376. Online: Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche
  8. http://www.horrorwaty.de/wordpress/wp-content/uploads/2009/06/wimbledon-tennis-stohn-o-meter.jpg
  9. BBC News am 22. Juni 2005: Why do women tennis stars grunt? Abgerufen am 6. Juli 2011 (englisch).
  10. Krone.at am 23. Juni 2009: Keine stöhnt so laut wie Michelle Larcher de Brito. Abgerufen am 2. Juli 2011.
  11. The Sunday Times am 14. Juni 2009: One more grunt and you're out: Wimbledon to crack down after complaints. Abgerufen am 3. Juli 2011 (englisch).
  12. Focus online am 12. Juni 2008: Becker fordert Stöhnverbot. Abgerufen am 2. Juli 2011.
  13. Merkur online am 22. Juni 2009: Stich über Damen-Tennis: „widerlich und unsexy“. Abgerufen am 2. Juli 2011.
  14. Die Presse am 23. Juni 2009: "Ekelhaftes Gegrunze": Stich beleidigt Damen-Tennis. Abgerufen am 2. Juli 2011.
  15. The Sunday Times am 7. Juni 2009: Martina Navratilova: the grunting has to stop. Abgerufen am 3. Juli 2011 (englisch).
  16. Abstract und Text der Studie. Abgerufen am 3. Juli 2011 (englisch).
  17. Welt Online am 5. April 2011: Stöhnen für den Sieg. Abgerufen am 2. Juli 2011.
  18. rp online am 12. April 2011: Tennis-Studie – Vorteil Stöhnen. Abgerufen am 2. Juli 2011.
  19. tennisnet.com am 24. Juni 2011: Stöhnen stört Wimbledon-Offizielle. Abgerufen am 3. Juli 2011.
  20. Beschreibung bei BBC. Abgerufen am 3. Juli 2011 (englisch).
  21. Download beim Fraunhofer-Institut. Abgerufen am 3. Juli 2011 (englisch).
  22. Golem.de am 1. Juli 2011: Der BBC-Hörer kann den Live-Ton selbst mischen. Abgerufen am 3. Juli 2011.
  23. Eurosport am 1. Juli 2011: Wimbledon – Buntes – TV-Sender macht Stöhnen ein Ende. Abgerufen am 2. Juli 2011.

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