Henning Köhler (Historiker)

Henning Köhler (Historiker)

Henning Köhler (* 9. August 1938 in Berlin) ist ein deutscher Historiker.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Köhler studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie in Berlin. Er promovierte 1967 mit einer Arbeit über den Freiwilligen Arbeitsdienst und habilitierte sich 1972. Bis 2005 war er Professor für Neuere Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. 1981/82 war er Gastprofessor an der Stanford University, 1987/88 Visiting Member am Institute for Advanced Study in Princeton. Köhler ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er lebt in Berlin-Lichterfelde.

Werk

Köhler gilt als streitbarer Historiker, dessen Arbeiten sich oft am Widerspruch zu den Thesen anderer Historiker entzünden. 1969 widersprach er mit einem Aufsatz in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte der bis dahin gültigen communis opinio, wonach die Deflationspolitik des Reichskanzlers Heinrich Brüning 1930-1932 Ausfluss einer mittelfristigen Strategie gewesen sei, die Reparationsverpflichtungen loszuwerden. Köhler sah darin nur kurzfristiges Krisenmanagement unter starken, auch innenpolitischen Sachzwängen.[1] 1986 erlangte er große Publizität, als er Walther Hofer und Edouard Calic vorwarf, die von ihnen edierten Quellen zum Reichstagsbrand seien Fälschungen.[2] 1986 war er einer der ersten Historiker, die im Historikerstreit gegen die Thesen Ernst Noltes Stellung bezog, der die Verbrechen des Stalinismus für ursprünglicher und ursächlich für die des Nationalsozialismus ansah. In einem Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung warf er Nolte, der wie er am Friedrich-Meinecke-Institut lehrte, vor, es gehe ihm darum, „Auschwitz durch den Archipel GULag zu relativieren“.[3] In seiner 1994 erschienenen Biographie Konrad Adenauers setzte er sich kritisch mit der Adenauer-Biographie von Hans-Peter Schwarz auseinander, dem er unter anderem vorwarf, die Widersprüche in Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers zu glätten oder zu schönen.[4] Den Vorwurf der Geschichtsfälschung erhob Köhler ein zweites Mal 2001, als er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die These aufstellte, die Geschichte eines Deutschen von Sebastian Haffner sei nicht authentisch, sondern erst nach dem Zweiten Weltkrieg verfasst worden.[5] 2002 veröffentlichte Köhler eine Gesamtdarstellung der deutschen Geschichte im zwanzigsten Jahrhundert,[6] die auf geteiltes Echo stieß. Rainer Blasius rezensierte das Buch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung positiv: Es biete „einen pointierten Überblick“ und bürste „manches Forschungsergebnis gründlich gegen den Strich“.[7] Hans-Ulrich Wehler kam in der Zeit zu einem negativen Urteil: Er sah in Köhlers Darstellung eine „Flucht ins Ressentiment“: Köhler zeige einen „unverhüllten Drang zum reaktionären Verdikt“, ja „Neorevisionismus“.[8]

Derzeit arbeitet Köhler an einer Biographie über Helmut Kohl.

Einzelnachweise

  1. Henning Köhler: Arbeitsbeschaffung, Siedlung und Reparationen in der Schlußphase der Regierung Brüning. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 17 (1969), S. 276–306 (PDF-Datei, 5,6 MB).
  2. Henning Köhler: Der „dokumentarische Teil“ der „Dokumentation“ – Fälschungen am laufenden Band. In: Uwe Backes, Karl-Heinz Janssen, Eckhard Jesse, Henning Köhler, Hans Mommsen und Fritz Tobias: Reichstagsbrand – Aufklärung einer historischen Legende. Piper, München und Zürich 1986, S. 167–216.
  3. Henning Köhler, Abenteuerlicher Dreischritt, in: Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. Juni 1986, S. 12
  4. Henning Köhler: Adenauer. Eine politische Biographie. Propyläen, Berlin 1994.
  5. Henning Köhler: Anmerkungen zu Haffner. Haffners posthumer Bestseller „Geschichte eines Deutschen“ ist nicht historisch authentisch. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. vom 16. August 2001.
  6. Henning Köhler: Deutschland auf dem Weg zu sich selbst. Eine Jahrhundertgeschichte. Hohenheim-Verlag, Stuttgart 2002.
  7. Rainer Blasius: Von Wilhelm II. zu Helmut II. Für Fortgeschrittene. Henning Köhlers Gesamtdarstellung über Deutschland im 20. Jahrhundert. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. vom 20. März 2002.
  8. Hans-Ulrich Wehler: Flucht ins Ressentiment. Auch Hitler hatte es nicht leicht: Wie uns der Historiker Henning Köhler deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert erklärt. In: Die Zeit. vom 16. Mai 2002.

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Arbeitsdienst in Deutschland. Pläne und Verwirklichungsformen bis zur Einführung der Arbeitsdienstpflicht 1935. Duncker & Humblot, Berlin 1967, ISBN 3-428-00804-9.
  • Arbeitsbeschaffung, Siedlung und Reparationen in der Schlußphase der Regierung Brüning. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 17 (1969), S. 276–306 (PDF-Datei, 5,6 MB).
  • Autonomiebewegung oder Separatismus. Die Politik der Kölnischen Volkszeitung 1918/1919. Colloquium Verlag, Berlin 1974, ISBN 3-7678-0364-X.
  • Sozialpolitik von Brüning bis Schleicher. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 21 (1973), S. 146–150.
  • Novemberrevolution und Frankreich. Die französische Deutschland-Politik 1918–1919. Droste, Düsseldorf 1980, ISBN 3-7700-0558-9.
  • Geschichte der Weimarer Republik. Colloquium Verlag, Berlin 1981, ISBN 3-767-80558-8.
  • Das Ende Preußens in französischer Sicht. De Gruyter, Berlin und New York 1982, ISBN 3-11-0087-80-4.
  • Knut Borchardts 'Revision des überlieferten Geschichtsbilds' der Wirtschaftspolitik in der Großen Krise – eine Zwangsvorstellung? In: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 19 (1983), S. 164–180.
  • Das Kissinger Diktat – ein Schlüsseldokument zur Außenpolitik Bismarcks? In: Henning Köhler (Hrsg.): Deutschland und der Westen. Vorträge und Diskussionsbeitrage des Symposions zu Ehren von Gordon A. Craig. Veranstaltet von der Freien Universität Berlin vom 1.–3. Dezember 1983. Colloquium Verlag, Berlin 1984, ISBN 3-7678-0638-X, S. 34–43.
  • Adenauer und die rheinische Republik. Der erste Anlauf 1918–1924. Westdeutscher Verlag, Opladen 1986, ISBN 3-531-11765-3.
  • Der „dokumentarische Teil“ der „Dokumentation“ – Fälschungen am laufenden Band. In: Uwe Backes, Karl-Heinz Janßen, Eckhard Jesse, Henning Köhler, Hans Mommsen und Fritz Tobias: Reichstagsbrand – Aufklärung einer historischen Legende. Piper, München und Zürich 1986, ISBN 3-492-03027-0, S. 167–216.
  • Adenauer. Eine politische Biographie. Propyläen, Berlin 1994, ISBN 3-549-05444-0.
  • Deutschland auf dem Weg zu sich selbst. Eine Jahrhundertgeschichte. Hohenheim-Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-89850-057-8.

Weblinks


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