Ernst Nolte

Ernst Nolte

Ernst Nolte (* 11. Januar 1923 in Witten) ist ein deutscher Historiker und Philosoph. Seine Thesen lösten 1986 den Historikerstreit aus.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Ernst Nolte wurde 1923 in die Familie eines Volksschulrektors in Witten an der Ruhr geboren. Er machte 1941 sein Abitur und begann sogleich, da er wegen der Missbildung einer Hand nicht kriegsdiensttauglich war, das Studium der Philosophie, Germanistik und altgriechischen Philologie an den Universitäten Münster, Berlin und Freiburg im Breisgau. Nach dem Studienabschluss 1945 ging er in den Schuldienst an Gymnasien, wo er die Fächer Deutsch und Griechisch unterrichtete. Daneben setzte er seine wissenschaftlichen Arbeiten fort und wurde 1952 in Freiburg im Breisgau mit der Arbeit Selbstentfremdung und Dialektik im deutschen Idealismus und bei Marx promoviert.

Nach weiteren ausgedehnten zeithistorischen Forschungen trat Nolte 1963 mit seinem Buch Der Faschismus in seiner Epoche an die Öffentlichkeit. Dieses Werk, das bald in mehrere Sprachen übersetzt wurde, machte ihn international bekannt. Es wurde 1964 als Habilitationsschrift angenommen, und bereits 1965 wurde Nolte als ordentlicher Professor für Neuere Geschichte an die Universität Marburg berufen. 1973 folgte er einem Ruf an die FU Berlin, wo er am Friedrich-Meinecke-Institut bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1991 als Professor für Neuere Geschichte wirkte.

Sein Sohn ist der Berliner Völkerrechtsprofessor Georg Nolte.

Der Faschismus in seiner Epoche

In dem Werk Der Faschismus in seiner Epoche definierte Nolte Faschismus auf Grundlage seiner Selbstäußerungen (eine Methode, die Nolte phänomenologisch nennt) als „Antimarxismus, der den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet, stets aber im undurchbrechbaren Rahmen nationaler Selbstbehauptung und Autonomie“.

Nach der - an Max Weber angelehnten - typologischen Methode werden als allgemeine Merkmale des Faschismus Antimarxismus, Antiliberalismus, Nationalismus, Gewalt und Propaganda ermittelt, wobei Nolte selbst auf die Grenzen dieses Verfahrens verweist, da Rassismus oder Antisemitismus hier keine definitorische Rolle spielen. In seiner phänomenologischen Erschließung der Vorgeschichte des Faschismus jedoch kommen Antisemitismus und Rassismus eine umso zentralere Stellung zu. Denn Nolte fasst in seiner Faschismustheorie nicht nur den deutschen Nationalsozialismus und den italienischen Faschismus Mussolinis, sondern auch die „Action française“, eine rechtsradikale französische Bewegung, zusammen, deren Rassenantisemitismus unmittelbar auf die Weltanschauung Hitlers vorausweist. Damit war er der erste deutsche Historiker ohne marxistischen Hintergrund, der den Faschismusbegriff benutzte, nicht ohne die Ursprünge des europäischen Faschismus in der Tradition der französischen Gegenrevolution aufzudecken.

Sein Buch wurde auch von gemäßigten Linken positiv rezipiert, weil sie es als Gegenentwurf zur Totalitarismustheorie verstanden. Nolte selbst stellte 1978 in einem „Rückblick nach fünfzehn Jahren“ klar, dass dies ein Missverständnis sei: "In Wahrheit wollte ich die Totalitarismustheorie differenzieren, historisieren und bis zu einem gewissen Grade auch entemotionalisieren, aber ich wollte sie weder überwinden noch verdrängen".[1]

Historikerstreit

Hauptartikel: Historikerstreit

Ein Beitrag Noltes in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 6. Juni 1986, auf den Jürgen Habermas in der Zeit publizistisch reagierte, löste den sogenannten Historikerstreit aus. Dem Text lagen Gedanken zu Grunde, die er bereits am 24. Juli 1980 in einem Artikel der FAZ geäußert hatte.

Der Wissenschaftler erklärte darin, der „Archipel Gulag“ habe „das logische und faktische Prius“ vor Auschwitz, das heißt, der „Rassenmord“ der Nationalsozialisten sei nur aus Furcht vor dem älteren „Klassenmord“ der Bolschewiki entstanden. Der Massenmord an den Juden und die antisemitische Weltanschauung Hitlers, die seinen älteren Thesen zufolge das Wesen des Faschismus enthüllten, deutet Nolte in seinem 1987 erschienenem Werk Der europäische Bürgerkrieg 1917–1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus zu einer „überschießenden Reaktion“ auf die Herausforderung der Oktoberrevolution um, die mit ihrem Klassenmord und den seit 1918 errichteten Konzentrationslagern ein Präzedens gesetzt habe.

Diese These, die Nolte indessen nicht dazu veranlasste, die Einzigartigkeit (Singularität) der Shoa in Frage zu stellen, erweiterte er zur Behauptung eines „europäischen Bürgerkriegs“, der von 1917 bis 1945 getobt habe. Nolte rückt hier Faschismus, Nationalsozialismus und Bolschewismus in ein enges Entsprechungsverhältnis, in dem der Bolschewismus anstoßgebendes Vorbild und „Schreckbild“[2] Hitlers gewesen sei. Auch stilisierte er den von einigen britischen Juden geplanten Boykott deutscher Waren im Ausland, der als „Kriegserklärung“ unter dem Titel „Judea Declares War on Germany“ im Daily Express vom 24. März 1933 veröffentlicht wurde, sowie die Loyalitätsbekundung Chaim Weizmanns von 1939 für Großbritannien zur Kriegserklärung der Juden an das Deutsche Reich und rechtfertigte – so Micha Brumlik – die mit Kriegsbeginn einsetzende Internierung der Juden in Konzentrationslager als legitime Gegenmaßnahme.[3]

Neben massiven methodischen und quellenkundlichen Vorwürfen[4] setzte die Kritik in der Folgezeit an Noltes Verständnis der NS-Ideologie an: Bei Nolte sei deren Antisemitismus eine Abwehrideologie gegenüber einer konkreten Bedrohung, tatsächlich aber sei er von Beginn an ein entscheidendes Wesensmerkmal der nationalsozialistischen Ideologie und ihrer völkischen Vorläufer gewesen, was beispielsweise für den italienischen Faschismus in dieser Aggressivität nicht gelte. Nolte erkläre die hier vorhandenen Unterschiede nicht und beziehe Betrachtungen, die bei faschistischen Bewegungen möglicherweise eine gewisse Plausibilität besäßen, unreflektiert auf das in vieler Hinsicht andersartige völkische Wesen der NS-Bewegung.[5]

Zunehmende Isolation

In den Jahren nach dem Höhepunkt des Historikerstreits wurde Nolte unter Historikern zunehmend isoliert.[6] In seinem Werk Geschichtsdenken des 20. Jahrhunderts führte er aus, es habe in besagtem Jahrhundert drei „außerordentliche Staaten“ gegeben, nämlich die UdSSR, das geteilte Deutschland und Israel. Die UdSSR und Deutschland seien wieder zur „Normalität“ zurückgekehrt – allein Israel müsse diesen Zustand noch erreichen, sonst laufe es Gefahr, der „einzige Staat nach dem Herzen Hitlers“ zu werden. Die Rezeption dieses Buches war überwiegend ablehnend.

Noltes Ablehnung der Verschärfung des § 130 StGB (Strafbarkeit der Holocaustleugnung als Volksverhetzung) in einem Zeitungsartikel als „Gefahr für die geistige Freiheit“ Deutschlands stieß ebenfalls überwiegend auf Unverständnis. Sein 1998 veröffentlichtes Buch Historische Existenz. Zwischen Anfang und Ende der Geschichte?, das er selbst in einem Vortrag als sein Hauptwerk verstanden wissen wollte, intensivierte seine Thesen aus dem Historikerstreit noch einmal. Er führte aus, dass auch die Tätigkeit sowjetischer Partisanen hinter der Front als Reaktion den Massenmord an den Juden provoziert hätte. Hitler habe zudem „schwerwiegende Gründe“ gehabt, die Juden seit 1939 als feindlich gesinnt zu betrachten „und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen“ – womit Nolte allerdings nicht deren Ermordung meinte. Er zog jedoch Parallelen zwischen den im Alten Testament enthaltenen Vernichtungsdrohungen für die Feinde Israels und Hitlers Vorstellungen im Zweiten Weltkrieg. Dazu billigte Nolte Hitler zu, eine „bemerkenswerte Kenntnis des Alten Testaments“ gehabt zu haben – Gedankengänge, die in der Presse als Beleg des „wissenschaftlichen Niedergangs“ Noltes bewertet wurden.[7]

Im Jahr 2000 erhielt Nolte den Konrad-Adenauer-Preis der Deutschland-Stiftung. Angela Merkel lehnte es ab, die Laudatio auf Nolte zu halten. Diese Aufgabe wurde dann vom Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Horst Möller, übernommen. Nachdem 2003/2004 der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann wegen seiner als antisemitisch betrachteten Rede zum Tag der Deutschen Einheit aus Partei und Fraktion ausgeschlossen worden war, erklärte Nolte Hohmann zum tapferen und respektablen Streiter für Meinungs- und Gewissensfreiheit.[8] Im November 2011 erhielt er den von der Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung und der Wochenzeitung Junge Freiheit verliehenen Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreis für Publizistik 2011.[9]

Werke

  • Der Faschismus in seiner Epoche. Action francaise – Italienischer Faschismus – Nationalsozialismus. München 1963 [zuletzt Neuausg. 2000], ISBN 3-492-10365-0.
  • Die faschistischen Bewegungen, dtv München 1966.
  • Die Krise des liberalen Systems und die faschistischen Bewegungen, Piper Verlag München 1968.
  • Sinn und Widersinn der Demokratisierung in der Universität, Rombach Verlag Freiburg 1968.
  • Was ist bürgerlich? und andere Artikel, Abhandlungen, Auseinandersetzungen. Stuttgart 1979.
  • (Hrsg.): Theorien über den Faschismus. 6. Auflage. München 1984, ISBN 3-7610-7248-1.
  • Marxismus und Industrielle Revolution, Stuttgart 1983.
  • Deutschland und der Kalte Krieg, 2. Aufl. Stuttgart 1985.
  • Der europäische Bürgerkrieg 1917–1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus. 4. Auflage, Frankfurt am Main 1989.
  • Das Vergehen der Vergangenheit. Antwort an meine Kritiker im sogenannten Historikerstreit, Berlin 1988.
  • Nietzsche und der Nietzscheanismus, Frankfurt 1990.
  • Geschichtsdenken im 20. Jahrhundert; von Max Weber bis Hans Jonas, Propyläen Frankfurt/Main 1991, ISBN 3-549-05379-7.
  • Streitpunkte. Heutige und künftige Kontroversen um den Nationalsozialismus, Propyläen, Berlin/Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-549-05234-0.
  • Die Deutschen und ihre Vergangenheiten. Erinnerung und Vergessen von der Reichsgründung Bismarcks bis heute, Herbig Verlag, München 1995, ISBN 3-7766-9004-6.
  • Zusammen mit François Furet: „Feindliche Nähe“: Kommunismus und Faschismus im 20. Jahrhundert. Ein Briefwechsel, Herbig Verlag München 1998, ISBN 3-7766-2029-3.
  • Historische Existenz. Zwischen Anfang und Ende der Geschichte? Piper Verlag München 1998.
  • Der kausale Nexus. Über Revisionen und Revisionismen in der Geschichtswissenschaft; Studien, Artikel und Vorträge 1990–2000, Herbig Verlag München 2002, ISBN 3-7766-2279-2.
  • L'eredità del nazionalsocialismo, Di Renzo Editore, Roma 2003.
  • Zusammen mit Siegfried Gerlich: Siegfried Gerlich im Gespräch mit Ernst Nolte. Einblick in ein Gesamtwerk, Edition Antaios, Schnellroda 2005, ISBN 3-9350-6361-X.
  • Die Weimarer Republik. Demokratie zwischen Lenin und Hitler, Herbig Verlag München 2006, ISBN 3-7766-2491-4.
  • Die dritte radikale Widerstandsbewegung: der Islamismus, Landt Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-938844-16-8.
  • Italienische Schriften. Europa – Geschichtsdenken – Islam und Islamismus. Aufsätze und Interviews aus den Jahren 1997 bis 2008, Landt Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-938844-22-9.
  • Späte Reflexionen: Über den Weltbürgerkrieg des 20. Jahrhunderts, Karolinger Verlag, Wien 2011, ISBN 978-3-85418-142-2.

Literatur

Film

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ernst Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche. Action francaise – Italienischer Faschismus – Nationalsozialismus. Taschenbuchausgabe, Piper Verlag, München 1984, S. XIV.
  2. Ernst Nolte: Der Europäische Bürgerkrieg 1917–1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus. Frankfurt am Main 1989, S. 524.
  3. Micha Brumlik schreibt 1994 über Nolte: „Damit ist klar, wer Ernst Nolte heute ist: der erste deutsche, einigermaßen renommierte Gelehrte, der sowohl den Antisemitismus als auch den Holocaust nicht nur ‚versteht‘, sondern offen rechtfertigt.“ Micha Brumlik: Noch unzeitgemäß – Ernst Nolte und der Holocaust. In: Frankfurter Rundschau, 7. Mai 1994.
  4. Siehe dazu: Wolfgang Schieder: Der Nationalsozialismus im Fehlurteil philosophischer Geschichtsschreibung. Zur Methode von Ernst Noltes „Europäischem Bürgerkrieg“. In: Geschichte und Gesellschaft 15, 1989, S. 89–114.
  5. Vgl. dazu: Andreas Wirsching: Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg? Oldenbourg, München 1999, S. 313ff., S. 462ff., S. 518f.
  6. Artikel Nolte, Ernst. In: Internationales Biographisches Archiv 45/2007 vom 10. November 2007 (Munziger Online, zuletzt abgerufen am 3. Juli 2009).
  7. So Michael Zimmermann: Obsessionen und Suggestionen. In: Süddeutsche Zeitung. 22. Februar 1999, S. 10.
  8. Ernst Nolte: Der „Fall Hohmann“ im Kontext. Ein Vortrag. Gehalten in Berlin am 31. August 2004, auf ernst-nolte.de.
  9. Ernst Nolte und Michael Paulwitz erhalten Gerhard-Löwenthal-Preis. In: Junge Freiheit online. 19. November 2011, abgerufen am 22. November 2011.

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