- Ablehnungsgesuch
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Ein Ablehnungsgesuch, auch Befangenheitsantrag genannt, ist im deutschen Recht ein Antrag, durch welchen ein an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligter die Besorgnis geltend machen kann, ein zur Entscheidung berufener Richter sei befangen. Abgelehnt werden können immer nur einzelne Richter, nie das Gericht als Ganzes.
Inhaltsverzeichnis
Gesetzliche Grundlagen
Ablehnungsgesuche gegen Richter sind geregelt in § 42 ZPO, § 24 StPO. Grund für die Möglichkeit, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Grundsatz des fairen Verfahrens (englisch fair trial). Zu einem fairen Verfahren gehört zwingend, dass der Rechtsstreit durch einen neutralen und unabhängigen Richter entschieden wird. Daher muss ein an einem Rechtsstreit Beteiligter die Möglichkeit haben, darauf hinzuwirken, dass nur Richter, die ihm unvoreingenommen gegenübertreten, mit der Sache befasst werden.
Begriff der Befangenheit
Besorgnis der Befangenheit ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Richters aufkommen lassen. Geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung des Richters zu rechtfertigen, sind nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtungsweise die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber. Darauf, ob der Ablehnende aus seiner Sicht den Richter für befangen hält, kommt es ebenso wenig an wie darauf, ob sich der Richter selbst für befangen hält oder ob er objektiv befangen ist. Denn Ablehnungsgrund ist entgegen der ungenauen Alltagssprache nicht die Befangenheit, sondern die Besorgnis der Befangenheit. Daher enthält weder ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter noch ein Beschluss, mit dem das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt wurde, notwendigerweise einen Vorwurf gegen den abgelehnten Richter (etwa des Inhalts, er habe einen Fehler gemacht).
Sind im Verfahren über die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit die tatsächlichen Grundlagen schlüssig dargelegt, aber unaufklärbar, spricht der Anschein für die Besorgnis der Befangenheit. Hingegen ist für eine Entscheidung „im Zweifel zugunsten des Ablehnenden“ kein Raum, wenn es nur um dessen subjektive Bewertung objektiv feststehender Tatsachen geht.[1].
Einzelfälle begründeter Ablehnung
Besorgnis der Befangenheit wird im Regelfall anzunehmen sein bei enger persönlicher, insbesondere freundschaftlicher, Beziehung des Richters zu einer Partei; bei Interessenwahrnehmung des Richters für eine Partei, etwa durch Erteilung von Rat oder Empfehlungen; bei Ungleichbehandlung der Parteien, wenn etwa die Anträge einer Partei mit einem anderen Maßstab gemessen werden als die Anträge der anderen Partei; bei unsachlichen, abfälligen, beleidigenden oder höhnischen Äußerungen des Richters über eine Partei; bei Äußerungen des Richters, die auf Voreingenommenheit schließen lassen (etwa wenn der Richter schon vor durchgeführter Beweisaufnahme sich auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt hat); bei willkürlicher Benachteiligung einer Partei; bei groben, insbesondere gehäuften, Verfahrensfehlern; bei Untätigkeit und Hinauszögern einer Entscheidung.
Das Ablehnungsgesuch nach § 42 ZPO, § 24 StPO kann außerdem darauf gestützt werden, dass ein Richter von der Ausübung seines Amtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Fälle des Ausschlusses von der Ausübung des Richteramtes sind in § 41 ZPO, § 22 StPO geregelt. Unter anderem darf ein Richter nicht in eigenen Sachen, in Sachen seines Ehegatten oder in Sachen von näheren Verwandten tätig werden. Ein Richter, der Kraft Gesetz von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist, darf an dem Verfahren auch dann nicht mitwirken, wenn kein Ablehnungsgesuch gegen ihn gestellt wird.
Einzelfälle unbegründeter Ablehnung
Keine Besorgnis der Befangenheit begründet in der Regel, wenn der Richter in einer von der jeweiligen Verfahrensordnung vorgesehenen Weise schon mit der Sache befasst war und Entscheidungen erlassen hat, etwa im Zivilprozess einen Hinweis nach § 139 ZPO erteilt oder ein Teil- oder Zwischenurteil erlassen hat oder im Strafprozess an der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens, die Fortdauer der Untersuchungshaft oder die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beteiligt war; auch bei der Mitwirkung an früheren Verfahren derselben Partei wird in der Regel keine Besorgnis der Befangenheit anzunehmen sein. Weiter wird in der Regel keine Besorgnis der Befangenheit anzunehmen sein, wenn der Richter derselben politischen Partei oder derselben Religionsgemeinschaft wie der Gegner des Ablehnenden angehört. Keine Besorgnis der Befangenheit besteht auch bei vorläufigen Meinungsäußerungen des Richters zum Rechtsstreit, insbesondere bei der Äußerung von Rechtsansichten, bei Ausübung der richterlichen Fürsorge- und Hinweispflicht (etwa wenn der Richter darauf hinwirkt, dass die Anträge richtig formuliert werden) sowie bei Verfahrensverstößen und fehlerhaften Entscheidungen, solange diese nicht gehäuft auftreten oder willkürlich sind. Das eigene Verhalten einer Partei (Strafanzeige oder Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Richter, Beleidigung des Richters) begründet nie die Besorgnis der Befangenheit des Richters, denn sonst könnten Parteien nach eigenem Belieben unliebsame Richter aus dem Prozess ausschließen.
Verfahren
Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen. Geschieht dies nicht oder ist der vorgetragene Grund nicht geeignet, ein erfolgreiches Ablehnungsgesuch zu begründen, wird das Ablehnungsgesuch von dem Gericht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig zurückgewiesen. Ein Befangenheitsantrag ist daher ohne weitere inhaltliche Prüfung bereits unzulässig, wenn er offensichtlich rechtsmissbräuchlich gestellt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn mit dem Ablehnungsgesuch verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden oder wenn das Gesuch grob unsachliche und beleidigende Inhalte ohne näheren Sachbezug aufweist. Andernfalls hat sich der abgelehnte Richter über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern, zu der Äußerung ist den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör zu gewähren. Danach entscheidet das Gericht ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters durch Beschluss. Der Beschluss, mit dem das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt wird, ist nicht anfechtbar. Wird das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen, kann der Beschluss durch sofortige Beschwerde angefochten werden. Im Strafprozess kann ein Beschluss, in dem das Ablehnungsgesuch gegen einen erkennenden Richter (also ein Ablehnungsgesuch gegen einen an der Hauptverhandlung beteiligten Richter) zurückgewiesen wird, nur zusammen mit dem Urteil angefochten werden.
Zwischen Ablehnungsgesuch und Entscheidung darf der abgelehnte Richter nur unaufschiebbare Handlungen vornehmen (§ 47 Abs. 1 ZPO, § 29 Abs. 1 StPO). Im Zivilprozess darf der Richter, der während der Verhandlung abgelehnt wird, den Termin fortsetzen, wenn andernfalls eine Vertagung erforderlich wäre; wird die Ablehnung für begründet erklärt, ist der nach dem Ablehnungsgesuch liegende Teil der Verhandlung zu wiederholen (§ 47 Abs. 2 ZPO). Im Strafprozess kann eine Hauptverhandlung so lange fortgesetzt werden, bis eine Entscheidung über die Ablehnung ohne Verzögerung der Hauptverhandlung möglich ist, jedoch längstens bis zum Beginn des übernächsten Sitzungstages oder bis zum Beginn der Schlussvorträge (§ 29 Abs. 2 Satz 1 StPO). Im Strafprozess ist, wenn die Ablehnung für begründet erklärt wird, der Teil der Hauptverhandlung, der nach dem Ablehnungsgesuch liegt, zu wiederholen, falls die Hauptverhandlung nicht ohnehin ausgesetzt werden muss (§ 29 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Liegt ein Verhältnis vor, das eine Ablehnung rechtfertigen könnte, oder wenn aus anderer Veranlassung Zweifel darüber bestehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen sei, muss der betroffene Richter gemäß § 48 ZPO, § 30 StPO dies anzeigen, worauf ebenfalls eine Entscheidung des Gerichts zu ergehen hat (so genannte Selbstablehnung, wobei die Bezeichnung missverständlich ist: Weder hat der Richter ein eigenes Ablehnungsrecht noch kommt es auf seine Sicht an).
Rechtsfolgen erfolgreicher Ablehnung
Die erfolgreiche Ablehnung hat zur Folge, dass der abgelehnte Richter an dem Verfahren nicht mehr mitwirken darf. Im Strafprozess führt eine erfolgreiche Ablehnung regelmäßig dazu, dass eine Hauptverhandlung ausgesetzt, das heißt abgebrochen und neu begonnen werden muss. Dies gilt nur dann nicht, wenn Ergänzungsrichter hinzugezogen waren und ein Ergänzungsrichter an die Stelle des erfolgreich abgelehnten Richters treten kann.
Ablehnung anderer Verfahrensbeteiligter
Die Vorschriften über die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gelten entsprechend für den Rechtspfleger (§ 10 RpflG), den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 49 ZPO, § 31 StPO) und den Sachverständigen (§ 406 ZPO, § 74 StPO). In der Praxis von Bedeutung ist nur die Ablehnung des Sachverständigen. Eine Ablehnung von Zeugen wegen möglicher Voreingenommenheit ist im deutschen Prozessrecht nicht möglich.
Einzelnachweise
- ↑ OLG Braunschweig, Beschluss vom 24. Januar 2000, Az. 1 W 3/00, OLGR Braunschweig 2000, 122.123
Literatur
- Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 27. Auflage, Kommentierung zu §§ 42–49 ZPO.
- Stein/Jonas/Bork, Zivilprozessordnung, 22. Auflage 2004, Kommentierung zu §§ 42–49 ZPO, insbesondere zu § 48 Rn. 3.
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