Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz

Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz

Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz heißt eine Leitlinie der römisch-katholischen Kirche in Deutschland. Sie wurde von der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda 2002 erlassen und regelt die Ausführung des päpstlichen Dekrets Sacramentorum sanctitatis tutela aus dem Vorjahr[1]. Sie beschreibt den empfohlenen Ablauf der innerkirchlichen Untersuchung und die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen bei erwiesenen Fällen. Nach dieser Leitlinie sollen Geistliche, die wegen erwiesenen sexuellen Missbrauchs mit einer Kirchenstrafe belegt worden sind, nicht mehr in Bereichen eingesetzt werden, die sie mit Kindern und Jugendlichen in Verbindung bringen.[2] Die Leitlinien wurden im August 2010 reformiert.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die Leitlinie in der Fassung von 2002 gliedert sich in neun Abschnitte. Der erste regelt die Zuständigkeit. Der Diözesanbischof ernennt einen Beauftragten, dem ein Arbeitsstab aus Fachleuten wie Psychologen, Ärzten und Juristen, Laien und Geistlichen zur Seite gestellt werden kann. Der Beauftragte, an den sich kirchliche Mitarbeiter zu wenden haben, die von sexuellem Missbrauch erfahren haben, ist auch zuständig für Kontakte zu Strafverfolgungsbehörden. Der zweite Abschnitt regelt die Prüfung und Beurteilung des Falles. Der vom Diözesanbischof Beauftragte spricht mit dem Verdächtigten und nimmt Kontakt mit dem, wie es heißt, mutmaßlichen, Opfer auf. Der Diözesanbischof ist von der Untersuchung zu unterrichten. Der dritte Abschnitt regelt das Verfahren der kirchlichen Voruntersuchung nach dem Codex Iuris Canonici. Durchgeführt wird die Voruntersuchung von einer vom Bischof bestimmten Person. Das Ergebnis der Voruntersuchung ist dem Apostolischen Stuhl zuzuleiten.

Abschnitt IV befasst sich mit der Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörde: „In erwiesenen Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wird dem Verdächtigten zur Selbstanzeige geraten und ggf. das Gespräch mit der Staatsanwaltschaft gesucht. [...] In erwiesenen Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wird dem Verdächtigten - falls nicht bereits eine Anzeige vorliegt oder Verjährung eingetreten ist - zur Selbstanzeige geraten und je nach Sachlage die Staatsanwaltschaft informiert.“

Nach Abschnitt V ist vorgesehen, dass der Bischof mit dem Opfer und seinen Angehörigen spricht und sein Bedauern ausdrückt. Dem Opfer werden Hilfsangebote unterbreitet. Vom Täter wird eine Therapie verlangt. Abschnitt VI regelt kirchliche Strafmaßnahmen, die einen unterschiedlichen Umfang haben können. Ein Abschnitt über die Information der Öffentlichkeit schließt sich an. Abschnitt VIII behandelt Präventionsmaßnahmen. Im letzten Abschnitt ist der Umgang mit kirchlichen Mitarbeitern im haupt- und nebenamtlichen Dienst, die sich sexuellen Missbrauchs Minderjähriger schuldig gemacht haben, beschrieben. Bei Beschäftigten der Kirche sind arbeitsrechtliche Maßnahmen vorgesehen.

Umsetzung der Leitlinien

In der Folge zu diesen Leitlinien haben die deutschen Bischöfe jeweils Ansprechpartner für Verdachtsfälle sexuellen Missbrauchs ernannt, die auch über die Homepages der Bistümer zu kontaktieren sind.[3] Zu den Beauftragten gehören sowohl Geistliche als auch Laien (z. B. in Magdeburg und Regensburg). Hauptamtliche Mitarbeiter werden im Verdachtsfall bis zur Klärung des Vorwurfs beurlaubt. Der bzw. die Diözesanbeauftragte ist auch Kontaktperson für die staatlichen Strafverfolgungsbehörden.

Entwicklung

Vor dem Hintergrund zahlreicher Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen, die dennoch ohne Einschaltung der Staatsanwaltschaft geblieben waren, kritisierte am 23. Februar 2010 die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: „Kindesmissbrauch ist ein Offizialdelikt, und da können nicht andere darüber entscheiden, ob dieses Delikt verfolgt wird oder nicht.“ [4] Da Leutheusser-Schnarrenberger damit der Katholischen Kirche implizit Strafvereitelung unterstellte, wurde sie für diese Äußerung vielfach kritisiert, zumal sie einräumen musste, dass sie in der Sache irrte und eine Anzeigepflicht bei sexuellem Missbrauch so nicht bestand.[5] Münchens Erzbischof Reinhard Marx erklärte jedoch am 19. März 2010 in der Vollversammlung der bayerische Bischöfe, dass die Bischöfe in Bayern künftig jeden Verdachtsfall von Kindesmisshandlung oder sexuellen Missbrauch melden wollten.[6]. Gegen dieses Vorhaben wurde jedoch eingewandt, dass eine generelle Anzeigepflicht ebenfalls gegen die Wünsche des Opfers verstoßen könne und deshalb auch von Experten abgelehnt werde.[7][8].

Änderungen im August 2010

Im August 2010 wurden die Leitlinien erweitert und teilweise verschärft.[9] Nach Angaben des Trierer Bischofs Stephan Ackermann soll nur noch dann auf eine Strafanzeige verzichtet werden, wenn das Opfer dies ausdrücklich wünscht, der Verzicht rechtlich zulässig ist und keine weiteren mutmaßlichen Opfer bekannt sind. Die neue Fassung hält ausdrücklich fest, dass die kirchliche Untersuchung die strafrechtlichen Ermittlungen weder behindern darf noch ihnen vorgeordnet ist.[10] Die Gültigkeit der neuen Leitlinien ist nicht mehr auf Geistliche beschränkt: Von allen haupt- oder nebenamtlichen kirchlichen Mitarbeitern, die mit Kindern oder Jugendlichen arbeiten, soll künftig ein polizeiliches Führungszeugnis eingeholt werden. Die diözesanen Missbrauchsbeauftragten sollen zur Sicherstellung ihrer Unabhängigkeit nicht mehr der Bistumsleitung angehören.[11]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Arno Kleinebeckel. Pontifikale Geheimnisse. Telepolis 20. März 2010
  2. Leitlinien mit Erläuterungen Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz. 26. September 2002 (online)
  3. Beispiele: Bistum Würzburg, Erzbischöfliches Ordinariat Freiburg, Bistum Magdeburg, Bistum Regensburg, Bistum Augsburg
  4. ARD: Leutheusser-Schnarrenberger fordert Kooperation der katholischen Kirche bei Missbrauchsverdacht
  5. http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/keine-anzeigepflicht-bei-missbrauch/
  6. Erzbischof Marx: bayerische Kirche wird zukünftig jeden Verdachtsfall melden
  7. Kath.net: ‚Es gibt in Deutschland keine Anzeigepflicht’, 14. April 2010, online
  8. Parvin Sadigh: "Missbrauch wird nur bekannt, wenn Kinder Vertrauen haben", Zeit Online, 24. Mai 2011, online
  9. Neuer Wortlaut: Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker, Ordensangehörige und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz, 31. August 2010
  10. Katholische Kirche: Missbrauch soll schneller zur Anzeige gebracht werden, Focus, 31. August 2010
  11. Bischöfliche Leitlinien gegen Missbrauch: Nur mit Führungszeugnis ins Ehrenamt, Focus, 31. August 2010

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