- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
-
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger geb. Leutheusser (* 26. Juli 1951 in Minden) ist eine deutsche Politikerin (FDP). Sie war von 1992 bis 1996 Bundesministerin der Justiz und ist es erneut seit dem 28. Oktober 2009 im Kabinett Merkel II.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Ausbildung und Beruf
Nach dem Abitur 1970 absolvierte sie in Göttingen und Bielefeld ein Studium der Rechtswissenschaft. Sie legte 1975 das Erste und 1978 das Zweite juristische Staatsexamen ab. Von 1979 bis 1990 war sie beim Deutschen Patentamt in München tätig, zuletzt als Leitende Regierungsdirektorin.
Partei
Seit 1978 ist Leutheusser-Schnarrenberger Mitglied der FDP. Sie gehört dem Freiburger Kreis und dem linksliberalen Flügel der FDP an. Seit 1991 gehört sie zum FDP-Bundesvorstand. Seit 1993 ist Leutheusser-Schnarrenberger Mitglied im Präsidium der FDP (zuerst in ihrer Funktion als der FDP angehörende Bundesministerin, seit Mai 1997 als gewählte Beisitzerin), 2005 wurde sie in diesem Amt bestätigt.
Seit Dezember 2000 ist sie Landesvorsitzende der FDP Bayern. Sie setzte sich in einer Kampfabstimmung nur knapp gegen den bisherigen Landesvorsitzenden Hermann Stützer durch, der das Amt 1998 von Max Stadler übernommen hatte. Der Landesverband war dadurch tief gespalten und ermangelte politischer Ausrichtung, öffentlicher Wahrnehmung und der Fähigkeit zur Kampagne. Zentrales Ziel Leutheusser-Schnarrenbergers war der Wiedereinzug in den Landtag im Jahre 2003. Dieses Ziel wurde klar verfehlt, wenn auch das Ergebnis im Gegensatz zu 1998 um ca. ein Drittel verbessert werden konnte. Bei der Bundestagswahl 2005 gelang es der bayerischen FDP unter ihrer Führung allerdings, sich von 4,5 auf 9,5 Prozent der Stimmen mehr als zu verdoppeln und die Zahl ihrer Bundestagsabgeordneten von vier auf neun zu steigern.
Nach ihrem Rücktritt als Bundesjustizministerin im Januar 1996 (s.u.) wurde sie europapolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. In dieser Eigenschaft begleitete sie für die FDP die Arbeit an einer Verstärkung der verfassungsmäßigen Grundlagen in der Europäischen Union.
Von 2002 bis 2009 war sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende und rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion und ist Obfrau im Rechtsausschuss des Bundestages.
Nach der Landtagswahl 2008 unterzeichnete sie am 24. Oktober 2008 als Parteivorsitzende den Koalitionsvertrag mit der CSU, mit der ihre Partei auf der konstituierenden Sitzung des Landtags am 27. Oktober 2008 zusammenging.
Abgeordnetentätigkeit
Leutheusser-Schnarrenberger ist seit den bayerischen Kommunalwahlen von 2002 Mitglied des Kreistages Starnberg.
Seit 1990 ist sie auch Mitglied des Deutschen Bundestages. Hierfür tritt sie im Wahlkreis Starnberg an, ist aber stets über die Landesliste Bayern in den Deutschen Bundestag eingezogen, 2002 führte sie die Landesliste an. Auch bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 18. September 2005 wurde sie als Spitzenkandidatin der Landesliste in den Bundestag gewählt.
Seit 2003 ist sie Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates[1] und darin des Ausschusses für Recht und Menschenrechte.[2]
Bundesministerin der Justiz
Am 18. Mai 1992 wurde Leutheusser-Schnarrenberger als Bundesministerin der Justiz in die von Bundeskanzler Helmut Kohl geführte Bundesregierung berufen. Am 14. Dezember 1995 kündigte sie aus Protest gegen die geplante akustische Wohnraumüberwachung im Rahmen des Großen Lauschangriffs, der von ihrer Partei in einer Mitgliederbefragung befürwortet worden war, ihren Rücktritt an und schied am 17. Januar 1996 aus dem Amt aus.
Nach der Bundestagswahl 2009 wurde Leutheusser-Schnarrenberger am 28. Oktober 2009 erneut als Bundesjustizministerin berufen, dieses Mal in die von Angela Merkel geführte Bundesregierung.
Sonstiges Engagement
Leutheusser-Schnarrenberger engagiert sich seit 2004 als Stiftungsbeirätin der Stiftung Pro Justitia. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Theodor-Heuss-Stiftung und Mitglied im Board of Advisors der Global Panel Foundation sowie Mitglied des Beirats der Humanistischen Union. Sie gehörte zu den Unterstützerinnen von Alice Schwarzers PorNO-Kampagne, die eine Durchsetzung des Verbots der Pornographie anstrebt.[3] Leutheusser-Schnarrenberger war aktives Mitglied der Mindener Stichlinge, Deutschlands ältestem aktiven Amateurkabarett.
Familie
Ihr Vater Horst Leutheusser war Rechtsanwalt und als CDU-Mitglied von 1964 bis 1969 stellvertretender Bürgermeister von Minden. Wolfgang Stammberger, von 1961 bis 1962 ebenfalls Bundesminister der Justiz, war ihr Onkel.
Ihr Mann, Ernst Schnarrenberger, starb am 23. Februar 2006.[4] Sie lebt in Feldafing.
Politische Positionen
Großer Lauschangriff
Durch das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und die Einfügung der Absätze 3 bis 6 in Art. 13 Grundgesetz wurde der Große Lauschangriff im Januar 1998 vom Bundestag und im März 1998 vom Bundesrat beschlossen. Mit Gerhart Baum und Burkhard Hirsch erhob Leutheusser-Schnarrenberger daraufhin Verfassungsbeschwerde. Durch Entscheid vom 3. März 2004 bestätigte das Bundesverfassungsgericht, dass der Große Lauschangriff teilweise gegen die Menschenwürde verstößt und deshalb verfassungswidrig ist.[5]
Vorratsdatenspeicherung
Ende 2007 erhob Leutheusser-Schnarrenberger vertreten durch Hirsch ebenfalls wie Baum Verfassungsbeschwerde auch gegen die Vorratsdatenspeicherung, die von der Großen Koalition im November 2007 beschlossen worden war.[6]
Am 2. März 2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung in der aktuellen Form, welche Leutheusser-Schnarrenberger nunmehr als Bundesministerin formal mit zu vertreten hatte, für verfassungswidrig.[7]
Internetsperren
In den Jahren nach 2009 war Leutheusser-Schnarrenberger eine der koalitionsinternen Hauptgegner des umstrittenen Vorstoßes von Ursula von der Leyen zur Sperrung von Webseiten mit kinderpornographischem Inhalt. Die Initiative war Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen. Im Februar 2010 distanzierte sich die Bundesregierung von dem Gesetzesvorhaben.[8] Der damalige Bundespräsident Horst Köhler hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt geweigert, das Gesetz zu unterzeichnen.[9] Am 5. April 2011 schließlich beschloss die Bundesregierung, das Zugangserschwerungsgesetz aufzuheben.[10] Die Aufhebung des Gesetzes wurde in den Medien mit ihrem Engagement in einen direkten Zusammenhang gebracht[11] und ihr mitunter auch eindeutig zugeschrieben.[12]
Missbrauchsfälle an katholischen Einrichtungen
Im Rahmen der Enthüllungen von Missbrauchsfällen an deutschen katholischen Einrichtungen forderte Leutheusser-Schnarrenberger am 23. Februar 2010 in einem Fernseh-Interview, dass entgegen der bisherigen Praxis bei vorliegenden Missbrauchsverdachtsfällen in jedem Falle die Staatsanwaltschaft einzuschalten wäre.[13] Da Leutheusser-Schnarrenberger damit der Katholischen Kirche implizit Strafvereitelung unterstellte, wurde sie für diese Äußerung vielfach kritisiert, zumal sie einräumen musste, dass sie in der Sache irrte und eine Anzeigepflicht bei sexuellem Missbrauch so nicht bestand.[14] Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, warf ihr falsche Tatsachenbehauptungen vor und stellte ihr ein Ultimatum von 24 Stunden zur Korrektur ihrer Interviewäußerungen.[15] Nach einem Telefonat mit Merkel und dem Angebot von Leutheusser-Schnarrenberger zu einem Gespräch nahm Zollitsch das Ultimatum zurück.[16] Mit ihrer Forderung nach Aufarbeitung der bekanntgewordenen Missbrauchsfälle in deutschen katholischen Einrichtungen in einem eigenen Runden Tisch im Justizministerium konnte sich Leutheusser-Schnarrenberger im Kabinett nicht durchsetzen. Sie nahm schließlich am Runden Tisch „Sexueller Missbrauch“ zusammen mit Familienministerin Kristina Schröder und Bildungsministerin Annette Schavan teil.[17] Im weiteren Verlauf der Debatte äußerte sich Leutheusser-Schnarrenberger weiterhin sehr kritisch gegenüber der Katholischen Kirche und wurde auch dafür teils heftig kritisiert.[18] Ihre Forderung, die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz von 2002[19] im Sinne einer Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft bei jedem bekannt werdenden Missbrauchsverdacht zu überarbeiten, wurde jedoch von der bayerischen Bischofskonferenz aufgenommen.[20]
Gesamteuropäische Zuwanderungsregelung
Leutheusser-Schnarrenberger fordert die EU zur Verabschiedung einer gemeinsamen Zuwanderungspolitik auf. Die Europäische Union müsse sich „der Realität stellen und durch eine kluge gemeinsame Einwanderungspolitik Zuwanderung steuern”, wobei sie „künftig besser ihren humanitären Verpflichtungen gerecht werden” müsse. Dies gelte für Armutszuwanderung ebenso wie für politische Fluchtbewegungen.[21]
Veröffentlichungen
- Vorratsdatenspeicherung – Ein vorprogrammierter Verfassungskonflikt. In: Zeitschrift für Rechtspolitik, 2007, S. 9 ff.
- Auf dem Weg in den autoritären Staat. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Ausgabe 1/2008, S. 62-70
Anmerkungen und Einzelnachweise
- ↑ Webpräsenz der parlamentarischen Versammlung des Europarates, Deutsche Abgeordnete
- ↑ Deutsche Funktionsträger in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
- ↑ vgl. Parteienbündnis vor dem Karren von Alice Schwarzer, berlinonline.de, 18. August 1998.
- ↑ Bunte: Newsline: Leutheusser-Schnarrenberger denkt nicht an Namenswechsel
- ↑ Bundesverfassungsgericht: Akustische Wohnraumüberwachung ist teilweise verfassungswidrig (Az 1 BvR 2378/98 und 1 BvR 1084/99)
- ↑ Vorratsdatenspeicherung: Verfassungsbeschwerde notwendig. Mitteilung vom 30. November 2007 auf leutheusser-schnarrenberger.de
- ↑ Bundesverfassungsgericht: Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist in der aktuellen Gestaltung verfassungswidrig
- ↑ Der Spiegel: Schwarz-Gelb rückt von Internetsperren ab
- ↑ Die Zeit: Köhler verweigert seine Unterschrift
- ↑ vgl. z.B. Kampf gegen Kinderpornografie-Koalition kippt Internetsperren, tagesschau.de, 5. April 2011 und Kinderporno-Seiten-Koalition kippt "Zensursula"-Gesetz, spiegel.de, 5. April 2011.
- ↑ z.B. Leutheusser feiert gekippte Internet-Sperren als Sieg, sueddeutsche.de
- ↑ vgl. z.B. Streit über Web-Filter-Vernunft siegt über Internetsperren, spiegel.de, 6. April 2011.
- ↑ ARD: Leutheusser-Schnarrenberger fordert Kooperation der katholischen Kirche bei Missbrauchsverdacht
- ↑ http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/keine-anzeigepflicht-bei-missbrauch/
- ↑ Radio Vatikan: Radio Vatikan: Erzbischof Zollitsch stellt Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberger Ultimatum von 24 Stunden
- ↑ Merkel entschärft Konflikt zwischen Leutheusser-Schnarrenberger und Zollitsch
- ↑ http://www.n24.de/news/newsitem_5947200.html, abgerufen am 17. August 2010
- ↑ Weitere Details siehe: Sexueller Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche
- ↑ Deutsche Bischofskonferenz 2002: Leitlinie zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch
- ↑ Erzbischof Marx: bayerische Kirche wird zukünftig jeden Verdachtsfall melden
- ↑ Leutheusser fordert gemeinsame EU-Zuwanderungspolitik
Weblinks
Wikinews: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – in den NachrichtenCommons: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Literatur von und über Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Website von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf abgeordnetenwatch.de
- Biographie beim Deutschen Bundestag
- Global Panel Foundation
- Website der Stiftung ProJustitia
- „Damit wird ein Paradigmenwechsel eingeleitet“. Berliner Zeitung, 9. November 2007
Thomas Dehler | Fritz Neumayer | Hans-Joachim von Merkatz | Fritz Schäffer | Wolfgang Stammberger | Ewald Bucher | Karl Weber | Richard Jaeger | Gustav Heinemann | Horst Ehmke | Gerhard Jahn | Hans-Jochen Vogel | Jürgen Schmude | Hans A. Engelhard | Klaus Kinkel | Sabine Leutheusser-Schnarrenberger | Edzard Schmidt-Jortzig | Herta Däubler-Gmelin | Brigitte Zypries | Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
siehe auch: Amtsinhaber seit 1876
Wikimedia Foundation.
Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:
Sabine Leutheusser Schnarrenberger — bei einer Rede vor dem 60. FDP Landesparteitag. Sabine Leutheusser Schnarrenberger geb. Leutheusser (* 26. Juli 1951 in Minden) ist eine deutsche Politikerin (FDP). Sie war von 1992 bis 1996 Bundesministerin der Justiz … Deutsch Wikipedia
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger — S. Leutheusser Schnarrenberger, en 2011. Mandats … Wikipédia en Français
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger — (born July 26, 1951, in Minden, Germany) is a German politician (Free Democratic Party). She served as Federal Minister of Justice of Germany from 1992 to 1996. Education and work After graduating from highschool in Minden in 1970, Leutheusser… … Wikipedia
Leutheusser-Schnarrenberger — Sabine Leutheusser Schnarrenberger bei einer Rede vor dem 60. FDP Landesparteitag. Sabine Leutheusser Schnarrenberger geb. Leutheusser (* 26. Juli 1951 in Minden) ist eine deutsche Politikerin (FDP). Sie war von 1992 bis 1996 Bundesministerin der … Deutsch Wikipedia
Leutheusser-Schnarrenberger — Leutheusser Schnạrrenberger, Sabine, Politikerin (FDP), * Minden 26. 7. 1951; Juristin, seit 1990 MdB, war 1992 95 Bundesjustizministerin … Universal-Lexikon
Leutheusser — Sabine Leutheusser Schnarrenberger bei einer Rede vor dem 60. FDP Landesparteitag. Sabine Leutheusser Schnarrenberger geb. Leutheusser (* 26. Juli 1951 in Minden) ist eine deutsche Politikerin (FDP). Sie war von 1992 bis 1996 Bundesministerin der … Deutsch Wikipedia
Schnarrenberger — ist der Familienname folgender Personen: Otto Schnarrenberger (* 1929), deutscher Ringer Wilhelm Schnarrenberger (1892–1966), deutscher Maler Sabine Leutheusser Schnarrenberger (* 1951), deutsche Politikerin (FDP), seit 2009 Bundesministerin der… … Deutsch Wikipedia
Sabine (Vorname) — Sabine ist ein weiblicher Vorname, das weibliche Gegenstück zu Sabinus. Inhaltsverzeichnis 1 Herkunft und Bedeutung 2 Namenstag 3 Verbreitung 4 Varianten … Deutsch Wikipedia
Freie Demokratische Partei — Freie Demokratische Partei … Deutsch Wikipedia
Abhöraktion — Als „Großer Lauschangriff” werden in Deutschland, Österreich und der Schweiz umgangssprachlich akustische und optische Überwachungsmaßnahmen der Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendienste bezeichnet. Inhaltsverzeichnis 1 Entwicklung in… … Deutsch Wikipedia