Loeser & Richter

Loeser & Richter
Loeser & Richter
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Rechtsform KG
Gründung 5. März 1874
Sitz Löbau, Deutschland
Branche Nahrungsmittelindustrie

Die Firma Loeser & Richter produzierte unter dem Handels- und Schutzzeichen Anker Marken-Nudeln. Sie war die erste deutsche Fabrik, die Nudeln in Cellophan einpackte. Vor dem Zweiten Weltkrieg belieferte das Unternehmen auch den US-amerikanischen Markt. Unternehmenssitz war das sächsische Löbau. Die Geschichte des Unternehmens stand in engem Zusammenhang mit dem Bau des Haus Schminke.

Inhaltsverzeichnis

Unternehmensgeschichte

Die ersten Jahre

Die Firma Woldemar Loeser & Co. wurde mit der Unterzeichnung des Gesellschaftsvertrag am 5. März 1874 von dem Dresdner Kaufmann Georg Woldemar Loeser und dem Gutsbesitzer und Kaufmann Stephan von Keszycki aus Ilgen bei Fraustadt gegründet[1] Bereits im Folgejahr, am 20. Oktober des 1875 schied Stephan von Keszycki als Mitinhaber der Firma aus. Neuer Gesellschafter wurde am 23. Oktober 1875 der Löbauer Rentier Herrmann Lange.[2] Auch dieser schied ein Jahr später, am 2. Oktober 1876, wieder aus dem Unternehmen aus. Neuer Mitinhaber wurde nun der Löbauer Kaufmann Julius Richter. Gemeinsam mit dem Namen des neuen Teilhabers entstand der bis 1946 geführte Firmenname Loeser & Richter.[3] Woldemar Loeser verstarb im Alter von 41 Jahren am 23. November 1888 in Löbau.[4]

Schon 1881 bekamen die Teigwarenprodukte die Handels- und Schutzmarke Anker, mit der sich die Löbauer Nudeln rasch zur weltbekannten Marke entwickelten.

Im Jahr 1890 verfügt die Firma mit der Rufnummer 42 bereits über einen von 44 Telefonanschlüssen des Fernsprech-Vermittelungsamtes Löbau.[5]

Während das Unternehmen anfangs nur in gemieteten Räumen produzierte, beschäftigte man sich kurz vor der Jahrhundertwende mit dem Bau eigener Gebäude. 1899 erwarb die Firma schließlich ein geeignetes Grundstück am Stadtrand und ließ darauf eigene Fabrikgebäude errichten, welche am 28. März 1900 bezogen wurden.[6]

Am 1. Juli 1908 wird dem Löbauer Kaufmann Max Richard Urban die Prokura erteilt.[7]

Verkauf an Wilhelm Schminke

Einkaufszettelblock als Werbebeigabe, ca. 1920

Vermutlich kam der Glauchauer Textilfabrikant Wilhelm Schminke mit der Firma in Kontakt, als diese im Juni 1904 am Glauchauer Gastwirtstag teilnahm.[8] Kurz später, am 4. Juli 1904 kaufte er die Firma von Julius Richter. Da die bisherigen Absatzmärkte im Ausland zunehmend nur noch unrentierlich bewirtschaftet werden konnten, bemühte sich Wilhelm Schminke, zunächst verstärkt den einheimischen deutschen Markt zu erobern. Nur so konnte er den Weiterbestand der Fabrik zu sichern. Dank geschickter Werbestrategien trug er dazu bei, der Nudel neben der Kartoffel einen festen Platz in deutschen Küchen zu sichern. Wilhelm Schminke war sich darüber im Klaren, dass der deutsche Markt nur mit den besten Qualitäten zu erschließen sei. So stellte er die Produktion auf Gries um, wie dies bereits bei größeren süddeutschen Fabriken der Fall war.[9] Der wirtschaftliche Aufschwung, der vor allem aus dem immer größeren deutschen Kundenkreis herrührte, kam mit dem Ersten Weltkrieg ins Stocken. Die staatlichen Behörden erkannten aber bald die Vorzüge der Teigwaren für die Truppenverpflegung. Im Sommer 1906 bekam die Firma einen großen Auftrag des Reichsfiskus für die Belieferung der Schutztruppe deutscher Kolonien.[10]Der größer werdende Absatz ermöglichte, dass die Firma weiter ausgebaut und modernisiert werden konnte.

So beteiligte sich die Firma zwischen 1919 und 1920 auch an Planungen für den Bau eines Entladegleises in der Bautzener Vorstadt, welches gemeinsam mit anderen Unternehmen gebaut werden sollte. Wegen der „gegenwärtig direkt ungesunden Geldverhältnisse“ stieg die Firma jedoch 1920 aus dem Projekt aus.[11]

Modernisierung unter Fritz Schminke

Nach dem Tod Wilhelm Schminkes am 28. April 1920, übernahm sein ältester Sohn Fritz im Frühjahr 1920 offiziell die Leitung der Fabrik, welche er schon seit 1918 kommissarisch innehatte. Er gestaltete die Firma Loeser & Richter systematisch zum Hersteller von Markenprodukten um. So ließ er nur noch einheitlich ausgerichtete Faltschachtel-Verpackungen in den Farben Blau und Orange, teilweise mit Sichtfenstern verwenden. Die neuen Verpackungsmaschinen ermöglichten, dass Loeser & Richter zur den ersten deutschen Nudelfabriken gehörte, die ihre Produkte in Cellophan verpackt auf dem Markt anbot.[12]

Nachdem Fritz Schminke sich vom Werkbund-Architekten Hans Scharoun ein privates Wohnhaus errichten lassen hatte, beauftragte er diesen auch mit Planungen für den Um- und Ausbau der Fabrikgebäude. So wurde in den Jahren 1934 bis 1935 die Fabrikfassade an der Äußeren Bautzener Straße großflächig umgestaltet. Zum damals beabsichtigten vollständigen Umbau der Fabrik kam es nicht, zunächst infolge finanzieller Zwänge und später wegen des Ausbruches des Zweiten Weltkrieges.

Soziales Engagement

Schminke investierte in zahlreiche Verbesserungen für die Belegschaft: etwa Sanitäranlagen mit Duschen und Spülklosetts, eine Betriebsküche mit Kantine, ein Pausengarten, aber auch eine Betriebsbiliothek und eine Ausleihstation für Urlaubsutensilien wie Ferngläser, Zelte und Wanderkarten. Derartige soziale Verbesserungen auf betrieblicher Ebene waren seit den 1920er Jahren verbreitet, sie dienten der Motivation und der Bindung der Belegschaft an das Unternehmen. Auch Betriebsausflüge mit Autobus wurden organisiert.[13] In Schminkes humanistischem Weltbild war jeder einzelne Mitarbeiter ein gleichwertiger Mensch und nicht etwa bewegliches Kapital. Dies belegt auch die Tatsache, dass im Nationalsozialismus die Fabrikmitarbeiter „Anker-Familienkreis“ genannt wurden. Diese Bezeichnung erfolgte in bewusster Abkehr von der Terminologie der Nationalsozialisten, die die Belegschaften „Gefolgschaft“ nannten.

Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beschäftigte Loeser & Richter ca. 280 Männer und Frauen. Die zum Wehrdienst einberufenen „Ankerianer“ unterrichtete nun die „Anker-Feldpost“ über alle Neuigkeiten innerhalb und außerhalb der Fabrik und ihrer Belegschaft.

Firmenzeitschrift

Von 1934 bis 1939 wurde die hauseigene Zeitschrift „Nach Ladenschluss“ für Kolonial- und Feinkosthändler herausgegeben und kostenlos verteilt. Das Blatt befasste sich in erster Linie damit, dem Einzelhandel Warenkunde, Verkaufskunde, Werbemöglichkeiten und Anregungen für die Umsatzsteigerung im Einzelhandel zu vermitteln. „Nach Ladenschluss“ erreichte eine Auflage von bis zu 10.000 Stück.

Ab 1939 leitete Joachim Schminke, der jüngere Bruder Fitz Schminkes, die Firma, da sein Bruder zum Kriegsdienst einberufen wurde. Unter seiner Leitung stieg die Anker-Produktion kriegsbedingt nochmals stark an, da auch die Deutsche Wehrmacht beliefert wurde. Weil sich das Fehlen der zum Wehrdienst einberufenen Mitarbeiter in der Produktion deutlich bemerkbar machte, wurde das Sortiment wesentlich reduziert.

Situation zum Kriegsende

Mit Ende des Zweiten Weltkrieges unterband Mangel an Mehl zunächst jede weitere Nudelproduktion. Zur Beschäftigung der Belegschaft wurden deshalb vorübergehend Spielsachen und Handtaschen hergestellt. Erst ab Sommer 1945 kam mit Lohnaufträgen für die Rote Armee und einzelne Privatkunden die Produktion wieder in Gang. Dabei wurde abgeliefertes Mehl in Teigwaren umgerechnet (oft in Kleinstmengen bis 500g). In den vorhandenen Trockenschränken wurde auch die Lohntrocknung von Obst und Gemüse aufgenommen.

Enteignung

Am 1. Juli 1946 wurden die Brüder Fritz und Joachim Schminke enteignet. Wegen der Lieferung von Nahrungsmitteln an die Deutsche Wehrmacht galten die Unternehmer in der sowjetischen Besatzungszone als Kriegsverbrecher. Fritz Schminke selbst befand sich zu dieser Zeit noch in russischer Kriegsgefangenschaft, aus der erst im November 1948 entlassen wurde.

Volkseigener Betrieb

Nach der Enteignung wurde die Firma zum Volkseigenen Betrieb VEB Anker-Teigwaren. In den Nachkriegsjahren steigerte sich die Produktionsmenge allmählich wieder und erreichte schon 1948 den größten Warenausstoß seit Gründung der Fabrik. So wurde diese zum Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre nochmals erweitert und modernisiert. 1953 wurde ein großer Gebäudeteil aufgestockt, wie schon 1934 geplant. Dieses erfolgte sogar annähernd an die Planung des Architekten Hans Scharoun.

Anfang der 1950er Jahre wurden zum zweiten Male in der Betriebsgeschichte wieder in größerem Umfang Kleinpackungen unter der Marke Anker und in den althergebrachten Hausfarben blau und orange auf den Markt gebracht. Gleichzeitig wurde erstmalig nach Kriegsende mit relativ hohem Aufwand die Beteiligung an der Leipziger Messe betrieben. Infolge von Umstrukturierungen der DDR-Planwirtschaft wuchs die Firma durch Zuordnung anderer Lebensmittelbetriebe zwar, allerdings hatte dies zunehmend zur Folge, dass notwendige Modernisierungs- und Werterhaltungsmaßnahmen im Stammwerk ausblieben. Die Produktionsmenge begann deshalb wieder zu sinken.

Nach der Deutschen Wiedervereinigung

Nach der Deutschen Wiedervereinigung wurde die Anker-Teigwarenfabrik in eine GmbH umgewandelt. Durch die jahrelang verfehlte DDR-Wirtschaftspolitik war die Anker-Teigwarenfabrik jedoch nicht mehr wettbewerbsfähig und musste 1992 die gesamte verbliebene Belegschaft entlassen. Bemühungen der Familie Schminke, nach dem Fall der Berliner Mauer die Fabrik wieder in Familienbesitz zu überführen, scheiterten am politischen Widerstand der Betriebsleitung und am Fehlen von zielführenden Entscheidungen der Treuhandanstalt. 1992 wurde die Firma liquidiert.

In den 1990er Jahren erwarb die Sipo Lehrbauhof GmbH die Fabrik, um sie zu einem Schulungs- und Ausbildungszentrum für Bauberufe auszubauen. Nach der Insolvenz dieser Firma wird der Lehrhof e.V. Mieter des Gebäudekomplexes. Der Verein zog am 31. Dezember 2010 aus dem Gebäude aus.[14] Gegenwärtig steht das wegen der Umbauten durch Hans Scharoun denkmalgeschütze Gebäudeensemble leer und ist dem Verfall ausgesetzt.

Produktpalette

Die Tagesproduktion von 15 Zentnern im Jahre 1904 konnte bis 1914 auf 100 Zentner gesteigert werden. Zum Ende des 1. Weltkrieges betrug die Tagesleistung sogar 300 Zentner.

Ursprünglich wurden die "Anker-Teigwaren" unter Beimengung von Kartoffelmehl vor allem aus Weizenmehl hergestellt. Wilhelm Schminke führte 1904 zusätzlich auch die Produktion von Eier-Teigwaren.[15] Dafür wurden neben normalen Haushuhn-Eiern auch Kiebitz-, Perlhuhn- und Minorka-Eier verarbeitet.

Anker Eier-Faden-Nudeln
Anker Eier Makkaroni
Anker Eier Stifte
Anker Eier Spaghetti
Kiebitz Eier Maccaroni
Minorka Feinste Eier-Nudeln
Perlhuhn Maccaroni

Werbeslogans

  • „Anker koche jede Woche!“ (ca. 1920)
  • „Im neuen Jahr - auf jedem Tisch zum Alltag und bei Festen,

Spaghetti, Makkaroni frisch vom Anker - sind die besten!“ (1935)

Auszeichnungen

  • Juni 1904: Glauchauer Gastwirtstag: Silberne Medaille.[16]
  • April 1905: Internationale Kochkunst-Ausstellung Leipzig: Goldene Medaille.[17]
  • 3. Oktober 1905: Niederschlesische Gewerbe- und Industrieausstellung Görlitz: Ehrendiplom[18]
  • Januar 1906: Internationale Kochkunst-Ausstellung Wien: Goldene Medaille.[19]
  • Juli 1907: Jubiläums-Bäcker-Ausstellung Dresden: Goldene Medaille auf dem Gebiete der echten ungefärbten Eierteigwaren[20]

Literatur

  • Martin Meßer: Studien zur ehemaligen Anker-Teigwarenfabrik Löbau – Scharouns Umbauten und eine Zukunftsvision. sowie Sanierung Anker-Nudelfabrik Löbau - Anker-Kongresszentrum. (Diplomarbeit, Studiengang Architektur, Hochschule Zittau/Görlitz 2003)
  • Claudia Muntschick: Fabrik reanimiert – Industrielle Nachnutzung der ehemaligen Nudelfabrik "Loeser & Richter" im Kontext des Haus Schminke, Löbau'. (Masterarbeit, Studiengang Denkmalpflege und Stadtentwicklung, TU Dresden 2008)

Einzelnachweise

  1. Amtliche Mitteilung des Königl. Handelsgericht im Bezirksgericht im Sächsischer Postillon vom 24. April 1874, Nr. 94
  2. Amtliche Mitteilung des Königl. Gerichtsamt Löbau im Sächsischer Postillon vom 31. Oktober 1875, Nr. 253
  3. Amtliche Mitteilung des Königl. Gerichtsamt Löbau im Sächsischer Postillon vom 6. Oktober 1876, Nr. 233
  4. Sächsischer Postillon vom 25. November 1888, Nr. 275
  5. Abdruck des Verzeichnis der an das Oberl. Fernsprech-Vermittelungsamt angeschlossenen Theilnehmer von Löbau u. Umg.. Sächsischer Postillon vom 4. Oktober 1905, Nr. 231
  6. Geschäftsanzeige in Sächsischer Postillon vom 27. März 1900, Nr. 70
  7. Amtliche Mitteilung des Königl. Amtsgericht Löbau im Sächsischer Postillon vom 3. Juli 1908, Nr. 151
  8. Mitteilung im Sächsischer Postillon vom 17. Juni 1904, Nr. 138
  9. Beilage zum Sächsischen Postillon vom 10. Oktober 1926 50 Jahre Anker-Eier-Teigwaren
  10. Sächsischer Postillon vom 13. Juni 1906, Nr. 133
  11. Brief an den Stadtrat zu Löbau vom 23. Oktober 1920
  12. Werbeanzeige inSächsischer Postillon vom 31. Juli 1937, Nr. 176
  13. Sächsischer Postillon vom 20. August 1936, Nr. 194
  14. Löbauer Zeitung in Sächsischer Zeitung vom 18. November 2010
  15. Klaus Kürvers: Entschlüsselung eines Bildes, Eigenverlag, Berlin 1995
  16. Sächsischer Postillon vom 17. Juni 1904, Nr. 138
  17. Sächsischer Postillon vom 4. April 1905, Nr. 78
  18. Sächsischer Postillon vom 4. Oktober 1905, Nr. 231
  19. Sächsischer Postillon vom 14. Januar 1906, Nr. 10
  20. Sächsischer Postillon vom 9. Juli 1907, Nr. 157

Weblinks

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