Walter Müller-Wulckow

Walter Müller-Wulckow
Walter Müller-Wulckow um 1950, Porträtfotografie von Marta Hoepffner

Walter Lothar Müller-Wulckow (bis 1907: Müller-Dienst; * 18. März 1886 in Breslau; † 18. August 1964 in Oldenburg/Old.) war ein deutscher Kunsthistoriker, Publizist und Gründungsdirektor des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Geboren als Sohn eines Breslauer Kaufmanns bzw. gelernten Chirurgen und dessen Wirtschafterin, wuchs Walter Müller-Dienst (vom Vater 1893 legitimiert) in Dresden und Frankfurt/Main auf. Dem Abitur am Wöhler-Gymnasium folgte ein mehrjähriges Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie in Heidelberg, Berlin, München und Straßburg. 1907 heiratete er und nannte er sich unter Einbeziehung des Mädchennamens seiner Frau „Müller-Wulckow“. 1911 wurde Walter Müller-Wulckow in Straßburg von Georg Dehio im Fach Kunstgeschichte mit einer Arbeit über den Bildaufbau deutscher Grafik im Spätmittelalter promoviert. Sein bevorzugtes Interesse galt schon damals zeitgenössischer Malerei und dem Kunstgewerbe, denen er lebenslang verbunden bleiben sollte. Durch den Tod seines von den Pariser Rothschilds alimentierten Vaters kam Müller-Wulckow 1910 in den Genuss eines beträchtlichen Erbes, das ihm mehrere Jahre lang erlaubte, gezielt zeitgenössische Kunst zu sammeln. Kasimir Edschmid zufolge war er „einer der ersten Sammler mit Scharfblick, der schon während des Krieges Kirchner, Nolde und seine Freunde kaufte“.[1] Von Militär- und Kriegsdienst befreit, nahm Müller-Wulckow 1917-1919 eine Assistenz am Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt wahr. Als Begründer der Frankfurter Vereinigung für Neue Kunst, als Mitglied im Werkbund sowie im Bund Deutscher Architekten (BDA) sah er seine Aufgabe in der Vermittlungsarbeit für moderne Kunst, Architektur und Design unter nachdrücklicher Betonung ihrer stilgeschichtlichen Wurzeln. Müller-Wulckow arbeitete als freier Mitarbeiter für die Frankfurter Zeitung (1911–1927) und schrieb für zahlreiche Architektur- und Kunstzeitschriften sowie ab 1921 für die Oldenburger Nachrichten für Stadt und Land, die Oldenburgische Landeszeitung, Oldenburgische Staatszeitung und Nordwest-Zeitung.

Seit 1916 plante Müller-Wulckow die Herausgabe einer umfangreichen Darstellung der zeitgenössischen Architektur, die von 1925–1930 in vier hervorragend recherchierten und gut illustrierten Bänden der Reihe Blaue Bücher im Verlag Langewiesche erscheinen konnten. Mit diesem Werk hat er sich bleibende Verdienste in der deutschen Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts erworben.

Oldenburger Zeit als Museumsdirektor (1921-1951)

1921 wurde Walter Müller-Wulckow Direktor am Oldenburger Landesgewerbemuseum. Dessen seit mehreren Jahren magazinierte Bestände sollten im Oldenburger Schloss, ergänzt um die Staatliche Gemäldesammlung und weitere Teilsammlungen, neu aufgestellt werden. So entstand das 1923 eröffnete Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg. Basierend auf den Vorarbeiten seines Amtsvorgängers Theodor Raspe und des Baurates Adolf Rauchheld ordnete Müller-Wulckow das Ausstellungsgut in chronologisch und ethnographisch orientierten „Stimmungsräumen“ an, was ihm 1923 heftige Kritik von Max Sauerlandt eintrug.[2] Dennoch blieb das wissenschaftlich umstrittene, jedoch in Oldenburg beliebte Ausstellungskonzept bis 1990 gut erkennbar erhalten.

Ab 1923 konnte sich Müller-Wulckow wieder stärker der Gegenwartskunst zuwenden. Gemeinsam mit der Vereinigung für junge Kunst organisierte er Vortragsveranstaltungen mit maßgeblichen Architekten und Literaten. Bertolt Brecht (1927), Alfred Döblin, Erich Kästner, Walter Gropius, Erich Mendelsohn (alle 1928) und v. a. sprachen damals im Oldenburger Schlosssaal. Norddeutsche Künstler wie Paula Modersohn-Becker (1925), Franz Radziwill, Emil Nolde (beide 1925) und Karl Schmidt-Rottluff (1926), aber auch Paul Klee (1926) wurden in Ausstellungen vorgestellt. Entsprechend dem Verständnis seiner Zeit sah Müller-Wulckow sich als „Lehrer für den guten Geschmack“, dessen Kriterien er letztlich selbst festlegte. Müller-Wulckow gehörte überdies zu den ersten Museumsleitern, die Fotografie als Kunstform wahrnahmen und 1929 Werke von Aenne Biermann und Albrecht Renger-Patzsch ausstellten. Museumsarbeit mit Kindern war ihm ein besonderes Anliegen.

Sein Engagement für die Moderne brachte den Museumsdirektor frühzeitig in Konflikt mit den seit 1932 in Oldenburg regierenden Nationalsozialisten. 1933 sollte er entlassen und durch seinen Assistenten Werner Meinhof ersetzt werden[3], was jedoch auf Grund eines Personalwechsels im Ministerium für Kirchen, Schulen und Justiz unterblieb. Meinhof ersetzte stattdessen seine Oldenburger Vorgängerin Johanna Hofmann-Stirnemann, die mittlerweile die erste weibliche Museumsleiterin in Jena geworden war. Politisch dachte Müller-Wulckow durchaus „völkisch“(Fördermitglied der 24. SS-Standarte Oldenburg seit Mai 1933; die NSDAP-Mitgliedschaft wurde ihm bis 1939 verwehrt) und diente sich dem neuen Regime vor allem mit Worten an.[4] Sein Kunstverständnis trennte ihn freilich von den Nationalsozialisten. So empfand er 1937 die Beschlagnahmung von insgesamt 103 als „entartet“ geltenden Kunstwerken als großen Aderlass für sein Museum. Einige Werke – so will es die Legende – soll er versteckt und durch „Inventarisationswirrwarr“ getarnt haben.[5] Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gehörte Walter Müller-Wulckow zu den wenigen deutschen Museumsdirektoren, die sich auf Grund ihres frühen Engagements für die moderne Kunst unbeschadet in die neue Zeit hinüberretten konnten. Nach Erreichen der Altersgrenze ging Müller-Wulckow im März 1951 in den Ruhestand.

Familie

Walter Müller-Wulckow war dreimal verheiratet und hatte aus erster und zweiter Ehe je einen Sohn. Persönliche Beziehungen unterhielt er zeitweilig zu Johanna Hofmann-Stirnemann, Assistentin am Landesmuseum (1927-1929) und spätere Direktorin des Stadtmuseums Jena (1930-1935), sowie zu der Lohner Künstlerin Luzie Uptmoor.

Trivia

In Georg von der Vrings Erzählung „Die Puppen“ von 1937 diente Walter Müller-Wulckow alias "Dr. Düvelius" als Vorbild für einen im Landgebiet sammelnden Museumsdirektor.[6]

Schriften

Ein Schriftenverzeichnis Walter Müller-Wulckows, zusammengestellt von Ludwig Schreiner, findet sich in der Festschrift „Aufsätze zur Museumspraxis und Kunstpflege“ Festschrift für Walter Müller-Wulckow zum 75. Geburtstag 18. März 1961, herausgegeben von der Oldenburgischen Museumsgesellschaft, Oldenburg 1961, S. 20-23.

  • Die Konstruktion der Bildarchitekturen in der deutschen Graphik des 15. Jahrhunderts (Straßburger philosophische Dissertation von 1911), Frankfurt am Main (Verlag A. Osterrieth),1914.
  • Kleiner Führer durch das Landesmuseum zu Oldenburg i. O., Oldenburg 1922.
  • Bauten der Arbeit und des Verkehrs. Blaue Bücher, Verlag Langewiesche, Königstein i. T. 1. Aufl. 1925 - 3. Aufl. 1926. Reprint 1975; 1999
  • Wohnbauten und Siedlungen. Blaue Bücher, Verlag Langewiesche, Königstein i. T. 1. Aufl. 1928, 2. Aufl. 1929. Reprint 1975; 1999
  • Bauten der Gemeinschaft. Blaue Bücher, Verlag Langewiesche, Königstein i. T. 1. Aufl. 1928, 2. Aufl. 1929. Reprint 1975; 1999
  • Die deutsche Wohnung der Gegenwart. Blaue Bücher, Verlag Langewiesche, Königstein i. T. 1. Aufl. 1930, 2. Aufl. 1932. Reprint 1975; 1999
  • Wilhelm-Tischbein-Gedächtnis-Ausstellung im Oldenburger Landesmuseum. Katalog, Oldenburg 1930.
  • Oldenburgisches Landesmuseum. Führer durch das Kunsthandwerk und die heimatlichen Altertümer anhand der Neuerwerbungen, Verlag Gerhard Stalling, Oldenburg 1938. Die Restbestände dieses Buches sollten im Juni 1945 auf Verlangen des Oldenburgischen Ministerpräsidenten Theodor Tantzen eingestampft werden. Stattdessen wurde es jedoch durch Austausch von vier Druckseiten, die in neuer Version anstelle der beanstandeten eingeklebt wurden, verändert; daraus resultieren zwei Fassungen dieser Schrift, die bibliographisch bislang nicht unterschieden wurden.
  • Der Oldenburger Maler Professor Bernhard Winter, sein Werdegang und sein Schaffen, Oldenburg 1942.
  • Aufsätze zur Museumspraxis und Kunstpflege (1918–1950). Festschrift für Walter Müller-Wulckow zum 75. Geburtstag 18. März 1961, herausgegeben von der Oldenburgischen Museumsgesellschaft, Oldenburg 1961.

Quellen und Literatur

  • Der schriftliche Nachlass von Walter Müller-Wulckow umfasst rund 14 laufende Meter und befindet sich seit 2001 im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg. Der in 176 Konvoluten vereinigte Bestand wird nach Bandnummern, z. B. Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, Nachlass Müller-Wulckow, Akte 40, zitiert.
  • Rainer Stamm: „Bahn frei für das wahrhaft Bedeutsame“ – Walter Müller-Wulckow in Frankfurt. In: Museum Giersch (Hg.), Expressionismus im Rhein-Main-Gebiet. Künstler – Händler – Sammler. Imhof, Petersberg 2011, ISBN 978-3-86568-160-7, S. 304-309.
  • Hans-Curt Köster (Hg.): Architektur 1900–1929 in Deutschland. Band 1: Reprint, Königstein i. T. 1999, ISBN 3-7845-8041-6.
  • Gerd Kuhn (Hg.): KonTEXTe, Walter Müller-Wulckow und die deutsche Architektur von 1900–1930. Königstein i. T. 1999, ISBN 3-7845-8042-4, S. 13–46.
  • Jörg Michael Henneberg: Zur Geschichte des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg. In: Mitteilungsblatt der Oldenburgischen Landschaft. 1995, S. 11–14.
  • Karl Veit Riedel: Müller-Wulckow. In: Hans Friedl und andere (Hgg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg. Isensee Verlag, Oldenburg 1992, ISBN 3-89442-135-5, S. 494.
  • Ders.: Walter Müller-Wulckow (1886–1964). In: Jörgen Bracker (Hg.): Beiträge zur deutschen Volks- und Altertumskunde. ISSN 0408-8220, Bd. 25, 1986/87, Hamburg 1988, S. 149–161.
  • Herbert Wolfgang Keiser: Walter Müller-Wulckow (Breslau 18.3.1886 bis 18.8.1964 Oldenburg). Rede gehalten bei der Trauerfeier am 24. August in Oldenburg-Kreyenbrück. In: Oldenburger Jahrbuch. LXII (1963, erschienen 1964), S. 317–319.
  • Fried Lübbecke: „Dr. Müller-Wulckow“. In: Neue Blätter für Kunst und Literatur, 3. Jg., Nr. 5 v. 5.1.1921, S. 64f.

Weblinks

 Commons: Walter Müller-Wulckow – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Rainer Stamm: „Bahn frei für das wahrhaft Bedeutsame“ – Walter Müller-Wulckow in Frankfurt, in: Museum Giersch (Hg.), Expressionismus im Rhein-Main-Gebiet. Künstler – Händler – Sammler, Petersberg 2011, S. 305.
  2. Schreiben Sauerlandts an Müller-Wulckow vom 19. März 1923: „Meine Bezeichnung Ihrer Arbeit als die eines Dilettanten bezieht sich ausgesprochener Massen (sic) auf den Aufbau der Sammlung im Einzelnen, und ich muß dieses Urteil noch heute in vollem Umfange aufrecht erhalten.“ (Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, Nachlass Müller-Wulckow, Akte 166).
  3. Maschinenschriftlicher Entwurf eines Schreibens Müller-Wulckows an einen unbekannten Adressaten vom 15. April 1933 (Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, Nachlass Müller-Wulckow, Akte 80).
  4. Manuskript für eine Lobeshymne Müller-Wulckows auf den „Führer“ zu dessen 44. Geburtstag am 20. April 1933 (Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, Nachlass Müller-Wulckow, Akte 80), die offenbar für eine oldenburgische Tageszeitung bestimmt war.
  5. Riedel 1988, S. 157f.
  6. Riedel (1988), S. 149.

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