Neues Bauen

Neues Bauen
Fagus-Werk in Alfeld von 1911 - ein erster Vorläufer des Neuen Bauens von Walter Gropius

Das Neue Bauen war eine Bewegung in der Architektur und im Städtebau im Deutschland der 1910er bis 1930er Jahre. Sie ist im Kontext zu sehen mit der sich gleichzeitig entwickelnden Bewegung De Stijl in den Niederlanden und den Ansprüchen des Bauhauses. Eine enge Verknüpfung besteht ebenfalls zur architektonischen Stilrichtung der Neuen Sachlichkeit. Dieser Richtung und damit auch der gesamten Bewegung des Neuen Bauens stand die konservativ ausgerichtete traditionalistische Strömung des Heimatschutzstils gegenüber.

Ziel des "Neuen Bauens" war es, durch Rationalisierung und Typisierung, den Einsatz neuer Werkstoffe und Materialien sowie durch sachlich-schlichte Innenausstattungen eine völlig neue Form des Bauens zu entwickeln, bei der der Sozialverantwortung (viel Sonne, Luft und Licht gegen Mietskasernen, Hinterhöfe und vollgestopfte Räume) eine zentrale Bedeutung zukam. So entstand eine Vielzahl an Siedlungen, die häufig zu Zeiten von sozialdemokratischen Mehrheiten in den jeweiligen Gemeindevertretungen auf den Weg gebracht wurden.

Inhaltsverzeichnis

Gesellschaftliche Entwicklung

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts begannen sich in Folge der industriellen Revolution auch langsam die Anforderungen und die Mittel des Bauens zu verändern.

Durch Landflucht und neue Arbeitsstrukturen entstand ein wachsender Bedarf an neuem Wohnraum, der befriedigt werden musste. Zugleich wurden Materialien wie Eisen, Glas und später Beton immer beliebter und besser nutzbar. Neue Bautechniken setzten sich durch: Stahlguss, Eisenskelettbau, große Glasrasterflächen und vorgefertigte Bauelemente. Sie brachten neue konstruktive und gestalterische Anforderungen mit sich.

Wurden die neuen Techniken zuerst im konstruktiven Ingenieurbau eingesetzt, so verwendete man sie bald auch im Gebäudebau. 1851 setzte Joseph Paxton in seinem Crystal Palace in London erstmals Stahl-Glas-Rahmen-Fertigteilkonstruktionen ein. Gustave Eiffel zeigte 1887 mit dem Eiffelturm in Paris die Möglichkeiten der Eisenskelettkonstruktion.

Vorläufer

In der Chicagoer Schule wurden die Techniken erstmals im größeren Stil beim Bau von Wohn- und Bürogebäuden angewandt. Louis Henry Sullivan postulierte 1890 mit form follows function einen Satz, der später zur Grundlage des Neuen Bauens werden sollte. In Europa nutzte Auguste Perret als einer der ersten Architekten die Vorteile der Eisen-Beton-Bauweise im regulären Wohnungsbau.

Auch in Deutschland erkannten Architekten die vielfältigen Möglichkeiten, die die neuen Techniken mit sich brachten, und versuchten daraus ein Neues Bauen zu entwickeln. Im Deutschen Werkbund vereinigten sich 1907 Architekten mit dem Ziel, dem Maschinenzeitalter entsprechend funktionsgerecht zu bauen, ohne historisierende Rücksichten zu nehmen und unter Einsatz moderner Materialien.

„Die neue Zeit fordert den eigenen Sinn. Exakt geprägte Form, jeder Zufälligkeit bar, klare Kontraste, ordnende Glieder, Reihung gleicher Teile und Einheit von Form und Farbe werden entsprechend der Energie und Ökonomie unseres öffentlichen Lebens das ästhetische Rüstzeug des modernen Baukünstlers werden.“

Walter Gropius (1913)

Die drängenden sozialen Probleme und der massenhafte Bedarf an Wohnraum ließ Gleichgesinnte versuchen, die funktionalen und gestalterischen Anforderungen mit den sozialen Problemen zu verknüpfen. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es in Deutschland zu großen politischen Umwälzungen mit weitreichenden Auswirkungen, und 1919 begannen Bruno Taut, Walter Gropius und Hans Scharoun im geheimen Briefwechsel Die gläserne Kette die sozialen Aspekte des Neuen Bauens zu diskutieren.

Prinzipien

Das Neue Bauen setzte konsequent auf die neuen Materialien Glas, Stahl, Beton und Backstein. Damit ließen sich vor allem einfache Formen und deren Dekomposition realisieren: einfache kubische Formen, ineinandergeschobene Raumvolumen, freistehende Wandscheiben und kühne Auskragungen.

Die neue Architektursprache folgte dem ökonomischen Grundprinzip:

  • Soziale Ökonomie: Die Wohnungsnot und der daraus resultierende Massenwohnungsbau zwingen zur Kargheit der Formensprache, Dekorationen und Ornament wurden dabei als Verschwendung angesehen.
  • Konstruktive Ökonomie: Die Reduktion tragender Teile auf einzelne Punkte und Flächen erlaubt ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten - es ergeben sich freiere Formen bei weniger konstruktivem Aufwand.
  • Stilistische Ökonomie: Der formale Rigorismus und die klare asketische Form repräsentieren Allgemeingültigkeit und Objektivität und stellen ein künstlerisches Ziel dar.

Vertreter

Hauptvertreter des Neuen Bauens waren unter anderem Le Corbusier, Adolf Loos, Walter Gropius, Otto Haesler, Hugo Häring, Erich Mendelsohn, Gustav Oelsner, Bruno Paul, Ludwig Mies van der Rohe, Gerrit Rietveld, Wilhelm Riphahn, Hans Scharoun, Bruno Taut, Max Taut, Robert Vorhoelzer, Konrad Wachsmann, Thilo Schoder, Ernst May, Mart Stam, Alvar Aalto, Pier Luigi Nervi und Jörn Utzon.

Das Neue Bauen entwickelte sich im Deutschen Werkbund und bildete die ideelle Grundlage der Bauhaus-Schule. Fast ein halbes Jahrhundert gestaltete es das europäische Bauen wesentlich mit.

Weiterführende Informationen

Siehe auch

Literatur

  • Norbert Huse: Neues Bauen 1918 bis 1933. Heinz Moos Verlag, München 1975, ISBN 3-7879-0090-X
  • Peter Lorenz: Das Neue Bauen im Wohnungs- und Siedlungsbau, dargestellt am Beispiel des Neuen Frankfurt. Karl-Krämer-Verlag, Stuttgart 1986, ISBN 3-7828-0514-3
  • Walter Müller-Wulckow, "Architektur 1900 - 1929 in Deutschland", Reprint und Materialien zur Entstehung. Reprints der vier Blauen Bücher "Bauten der Arbeit und des Verkehrs" (1929), "Wohnbauten und Siedlungen" (1929), "Bauten der Gemeinschaft" (1929) und "Die deutsche Wohnung der Gegenwart" (1932), Vorwort von Reyner Banham, (ausführliche Bibliographie, 182 Architekten-Bio-Bibliographien), Königstein i. Ts. 1999 (= Die Blauen Bücher), ISBN 3784580416

Weblinks

 Commons: Neues Bauen - Architektur der Moderne – Sammlung von Bildern und/oder Videos und Audiodateien

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