- Organisation Live Oak
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Live Oak war der Name einer geheimen[A 1] militärischen Organisation der drei westlichen Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich, die die Sicherheit West-Berlins sicherstellen sollte. Sie wurde als Reaktion auf die Berlinkrise vom November 1958 aufgestellt und bestand von 1959 bis 1990. Ihr erster Sitz befand sich beim United States European Command in Saint-Germain-en-Laye bei Paris. 1961 zog der Live Oak Stab auf das Gelände des europäischen Hauptquartiers der NATO, SHAPE, das zunächst im französischen Fontainebleau, ab 1967 im belgischen Mons stationiert war.[1]
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund
Die Regierung Adenauer hatte in ihren Verhandlungen mit den westlichen Alliierten über einen deutschen Verteidigungsbeitrag von Anfang an klargestellt, dass sie zu einer solchen Leistung nur unter der Voraussetzung westlicher Sicherheitsgarantien für die Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin bereit sei. Die NATO akzeptierte diese Forderung bei ihrem Gipfeltreffen in New York am 27. September 1950 und erklärte, dass sie einen Angriff auf Westdeutschland oder West-Berlin als einen Angriff auf die NATO betrachte. Damit bestand neben der Sicherheitsverpflichtung der drei westlichen Hauptsiegermächte gemäß dem Viermächte-Status eine Sicherheitsgarantie der NATO für West-Berlin.[2]
In den folgenden Jahren hatten sich weder die drei Westmächte noch die NATO insgesamt darüber einigen können, wie diese Sicherheitsgarantie umgesetzt werden könne. Die gewaltsame Durchsetzung des Zugangs nach Berlin erschien angesichts der konventionellen Kräfteverhältnisse gegenüber der Sowjetunion aussichtslos. Im Raum Berlin allein standen den 11.000 westalliierten Soldaten vier sowjetische Divisionen und eine der NVA gegenüber. Insofern barg jede Berlin-Konfrontation das Risiko, in einen nuklearen Konflikt zu eskalieren.[2]
Am 27. November 1958 begann die Berlinkrise mit einem Ultimatum des sowjetischen Partei- und Regierungschefs Chruschtschow, in dem er den Viermächtestatus für Berlin aufkündigte und die Entmilitarisierung West-Berlins forderte. Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, ließ er drei amerikanische Militärfahrzeuge auf dem Transitweg bei Babelsberg anhalten und zehn Stunden lang an der Weiterfahrt hindern. In den folgenden Monaten befuhren bewaffnete westalliierte Militärkonvois die Transitstrecken und testeten die sowjetische Haltung. Im Januar 1959 gab die sowjetische Führung zu erkennen, dass sie keinen allgemeinen Krieg wolle und stellte ihre Störungen ein. Damit war die Krise vorerst entschärft. Als Reaktion auf die Behinderungen beschlossen die Westalliierten den Aufbau einer Organisation, die Gegenmaßnahmen in künftigen Krisen vorbereiten und koordinieren sollte.[2]
Aufbau der Organisation Live Oak
Zur Steuerung der westlichen Reaktionen im Falle künftiger Berlinkrisen wurde ein Vierergremium aus den drei westalliierten und dem deutschen NATO-Botschafter eingesetzt. Angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse ging es im Wesentlichen darum sicherzustellen, dass bei Bedarf ein Signal des starken westlichen Zusammenhalts an die Sowjetunion gesandt werden konnte. Während sich die USA und Frankreich in dieser Hinsicht einig waren, galt Großbritannien als Schwachstelle, weil dort wenig Bereitschaft bestand, für Berlin ein Risiko einzugehen. Auch der deutschen Seite traute man wenig Durchhaltevermögen zu. Die übrigen NATO-Mitglieder, die nicht dem Vierergremium angehörten, wurden nur begrenzt informiert, weil man annahm, dass sie ebenfalls die Konsequenzen aus einem harten Vorgehen gegenüber den Sowjets scheuten.[2]
Nach einem weiteren Zwischenfall auf der Transitroute luden die US-Streitkräfte im März 1959 ihre britischen und französischen Partner zum Aufbau eines eigenen Stabes für die Berlinfragen mit dem Namen Live Oak ein. Deutsche Experten sollten bei Bedarf hinzugezogen, jedoch nicht in den Stab integriert werden.[2] Die Entscheidung, diesen Stab aufzustellen, fiel am 4. April 1959 zwischen den drei Alliierten.[3] Diese Planung wurde zwar geheimgehalten, jedoch war beabsichtigt, dass der KGB vom Aufbau der Organisation Live Oak erfuhr, um die westliche Entschlossenheit zu erkennen.[2]
Live Oak und NATO
Die Organisation Live Oak war kein Bestandteil der NATO, sondern eine Organisation der drei Westalliierten unter begrenzter Einbeziehung der Bundesrepublik Deutschland. Die wesentlichen Maßnahmen, die nach den Live Oak Planungen ergriffen werden sollten, waren jedoch durch die NATO und ihre Kommandostruktur durchzuführen. Bei den drei seinerzeitigen obersten NATO-Komandobehörden Supreme Allied Command Atlantic, Supreme Allied Command Europe und Allied Command Channel existierten Eventualfallpläne für die Sicherheit West-Berlins.[2] Darin war für den Fall einer Berlinkrise die Bereitstellung erheblicher Kräfte aller NATO-Staaten vorgesehen.[4] Die nicht an Live Oak beteiligten NATO-Staaten wurden nur sehr eingeschränkt informiert. Auch der deutsche Verbindungsoffizier erhielt zunächst keine Live-Oak-Dokumente. Erst nach dem Bau der Berliner Mauer wurde im August 1961 ein deutscher Beobachter im Live-Oak-Stab zugelassen.[2] Während die Berlin-Pläne der NATO inzwischen veröffentlicht wurden[4], sind die Unterlagen der Organisation Live Oak noch nicht freigegeben.
Leiter der Organisation Live Oak war der Supreme Allied Commander Europe (SACEUR). Der erste mit dieser Aufgabe betraute SACEUR war General Lauris Norstad.[1]
Die im Zuge der Berlinkrise gemachten Erfahrungen im Umgang mit der Sowjetunion hatten maßgeblichen Einfluss auf die 1967 eingeführte NATO-Strategie Flexible Response.[5]
Maßnahmen
Die Maßnahmen, die im Falle einer neuen Blockade Berlins durch die sowjetischen Kräfte getroffen werden sollten, sahen eine Eskalation vor, die mit leichten Kräften beginnen sollte und mit dem Einsatz von Nuklearwaffen enden konnte. Es handelte sich um direkte Maßnahmen entlang der Transitwege nach Berlin, die allgemeine Truppenverstärkung der NATO-Mitglieder in Europa, den Einsatz maritimer Druckmittel gegen die Sowjetunion und im äußersten Fall einen allgemeinen Krieg.
Im Falle des Festhaltens alliierter Militärfahrzeuge sollte zunächst ein Militärkonvoi auf der Transitstrecke von Helmstedt nach Berlin seinen Weg versuchen durchzuhalten, bis es zum Schusswaffengebrauch käme. Ein erster Testkonvoi sollte unbewaffnet sein, ein weiterer von Aufklärungsfahrzeugen begleitet werden. Auf den Einsatz von Panzern wollte man verzichten, um nicht zu provozieren. An dieser Operation sollten nur Kräfte der drei Westalliierten teilnehmen, die sich die Entscheidung für eine solche begrenzte Operation vorbehielten. Als weitere Schritte waren eine zeitweilige Luftbrücke nach Berlin und Maßnahmen zur Seeblockade an für den östlichen Seeverkehr empfindlichen Punkten vorgesehen.
Aus US-Sicht bestand die Erfolgsaussicht dieses Vorgehens darin, dass die Sowjets gezwungen würden, das Feuer zu eröffnen, um die Konvois anzuhalten. Damit wäre das Risíko einer unkalkulierbaren Eskalation verbunden, von der man annahm, dass die Sowjetunion sie vermeiden würde. Die britische Seite teilte diese Auffassung nicht, so dass es eine dauerhafte Meinungsverschiedenheit zwischen den Westalliierten in dieser Frage gab. Außerdem gab es unterschiedliche Auffassungen darüber, wie schnell man im Falle des Scheiterns zum Einsatz von Nuklearwaffen eskalieren solle. Während die politische Führung der USA unter Präsident Kennedy für ein langsames Vorgehen war, plädierte die militärische Führung für die schnelle Eskalation. In Deutschland neigte Bundeskanzler Adenauer zum behutsamen Vorgehen, während Verteidigungsminister Strauß schneller eskalieren wollte.[2]
Die Planungen der Organisation Live Oak wurden durch Pläne der drei oberen NATO-Kommandobehörden ergänzt. SACEUR erließ 1962 einen Plan BERCON (Berlin Contingency Planning), der verschiedene Optionen der Land-, Luft- und Seekriegsführung bis hin zum demonstrativen Einsatz nuklearer Waffen vorsah.[6] Diesem Plan entsprachen die maritimen Planungen des SACLANT und des CINCHAN, die jeweils ein Maritime Contingency Planning (MARCON) aufstellten.[7][8]
Deutscher Beitrag
Während die NATO-Pläne eine Beteiligung der Bundeswehr vorsahen, waren Live-Oak-Operationen eine Angelegenheit der drei Westalliierten. Deutsche Offiziere wurden zunächst nur einschränkt auf persönlicher Basis informiert und erhielten keine schriftlichen Dokumente. Später wurden die Restriktionen etwas gelockert. Die Alliierten sahen in der direkten Beteiligung von Bundeswehr-Verbänden an Live-Oak-Operationen ein hohes politisches Risiko.[2]
Im September 1961 bot die Bundesregierung die Beteiligung an maritimen Live-Oak-Operationen an. Ein Sonderstab „Sea Spray“ beim Hauptquartier SACLANT war für diese Operationen zuständig, die unter anderem verstärkte Seeaufklärung, die Sperrung von Meerengen und Kanälen und die Verhängung einer Seeblockade umfassen sollten. Dieser Beitrag wurde akzeptiert und blieb die einzige deutsche Beteiligung an Live-Oak-Operationen.[5]
Weblinks
- Military Planning for Berlin Emergency (1961-1968); freigegebener Archivbestand der NATO
- Bruno Thoss. Information, Persuasion, or Consultation. The Western Powers and NATO during the Berlin Crisis, 1958–1962
Einzelnachweise
- ↑ a b NATO. Files On-line. Military Planning for Berlin Emergency (1961-1968), Scope and content
- ↑ a b c d e f g h i j Bruno Thoss. Information, Persuasion, or Consultation. The Western Powers and NATO during the Berlin Crisis, 1958–1962
- ↑ NATO. Archival Description. Military Planning for Berlin Emergency
- ↑ a b Military Planning for Berlin Emergency (1961-1968); freigegebener Archivbestand der NATO
- ↑ a b Sigurd Hess. In bester Schußposition
- ↑ SACEUR BERCON
- ↑ http://www.nato.int/nato_static/assets/pdf/pdf_archives/19620815-DP-3011_C-982-ENG.pdf SACLANT MARCON
- ↑ CINCHAN MARCON
Anmerkungen
- ↑ Bis 1987 war sogar der Name Live Oak als Verschlusssache eingestuft. Quelle: Hess a.a.O.
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