Politischer Konsum

Politischer Konsum

Politischer Konsum ist ein Fachausdruck der deutschsprachigen Politikwissenschaft, der sich aus dem englischen Fachausdruck political consumerism abgeleitet hat. Er bezeichnet ein spezifisches Verhalten des Konsumenten, welches sich durch eine stabile, längerfristige und bewusste Motivation auszeichnet und darauf abzielt, aktiv Einfluss auf Wirtschaft, Gesellschaft und/oder Politik zu nehmen.[1] Dieses öffentliche Interesse unterscheidet den politischen vom individuellen Konsum mit seinen ausschließlich privaten Interessen.[2]

Als „politisches“ Konsumentenverhalten kann dabei sowohl der Erwerb bestimmter Produkte und Dienstleistungen („buycott“) als auch die Entscheidung gegen den Erwerb („boycott“) verstanden werden.[3]

Die Begriffe politischer und ethischer Konsum werden in der betriebswirtschaftlichen Literatur häufig synonym verwendet. Die beiden Bezeichnungen stellen in dieser Fachrichtung zwei unterschiedliche Eigenschaften der gleichen Form des Konsumentenverhaltens heraus. Der Begriff „ethischer Konsum“ betont die kausale Motivation (z.B. Gewissensentscheidung), „politischer Konsum“ hingegen die finale Motivation (z.B. Auswirkungen des Konsumverhaltens).[4]

Inhaltsverzeichnis

Politischer Konsum als Partizipationsform

Politischer Konsum kann als politische Partizipationsform verstanden werden, wenn man eine weite Definition von politischer Partizipation zugrunde legt. Dafür eignet sich z. B. die Definition des Politikwissenschaftlers Günter D. Radtke. Nach dieser ist Partizipation „jede mentale oder im Verhalten sichtbare Beschäftigung mit Politik“.[5]

Politischer Konsum als Partizipationsform sollte sinnvollerweise nicht als Ersatz konventioneller Partizipationsformen verstanden werden, sondern als Ergänzung des Repertoires von Partizipationsmöglichkeiten. Als solche zeichnet sie sich durch folgende Eigenschaften aus: Sie ist legal, unbürokratische und individualisiert. Weiterhin wird sie im gesellschaftlichen Diskurs als legitim und zudem als relativ unkonventionell wahrgenommen.[6]

Politischer Konsum in der Gesellschaft

Politischer Konsum ist ein Phänomen, das in westlichen (postmaterialistischen) Wohlstandsgesellschaften immer größere Bedeutung erlangt[7]. Besonders in den letzten Jahren haben z. B. die BSE-Fälle ab 2000 in der BRD oder die steigende Brisanz von Umwelt- und Klimafragen (u.a. 2007 durch den viel diskutierten, vierten Sachstandsberichts des Intergovernmental Panel on Climate Change) die Relevanz von Politischem Konsum weiter verstärkt. Es muss allerdings festgehalten werden, dass der individuelle, finanzielle Spielraum für eine kostenintensive, politische Konsumentenentscheidung bei vielen Bürgern begrenzt ist. Insofern bilden finanzielle Ressourcen eine wesentliche Grundlage für politisches Konsumverhalten.[8]

Die Akteure

Die Protestaktionen der NGO Greenpeace versuchen häufig mit Hilfe der Medien öffentlichen Druck auf Unternehmen auszuüben. Hier bei einer Demonstration 2006 gegen den Kosmetikhersteller L'Oréal.

Das Interesse von Unternehmen und Verbrauchern steht in einer Wechselbeziehung: Auf der einen Seite versuchen Unternehmen ihre Produkte durch eine (oft) moralische oder ethische Komponente aufzuwerten und motivieren dadurch Verbraucher zum Kauf, auf der anderen Seite sehen die Verbraucher Unternehmen immer häufiger als politische Akteure, die für die politische und soziale Entwicklung verantwortlich seien.[9] Bürgerinitiativen und NGOs nehmen bei dieser Einflussnahme auf Unternehmen eine Schlüsselrolle ein.

Die politikwissenschaftliche Forschung greift Politischen Konsum als Phänomen nur sehr zögerlich auf und der Forschungsstand kann demnach als noch unzulänglich bezeichnet werden.[10]

Chancen und Gefahren

Um Politischen Konsum als Partizipationsform bewerten zu können, ist es sinnvoll, sich mit den Chancen und Gefahren für das demokratische System und seinen Werten zu beschäftigen. Chancen lassen sich natürlich erst einmal in der Erweiterung des bürgerlichen Einflussbereichs feststellen. Weiterhin steckt aber auch in der Belebung öffentlicher Diskurse und in der Politisierung weiterer Lebensbereiche (nämlich des Konsums) ein Potenzial, Demokratie insgesamt zu stärken. Probleme entstehen beim Politischen Konsum besonders durch den Informierungsprozess. So kommt den Medien hier eine sehr große Macht zu, die die Gefahr eines Meinungsmonopols birgt. Gleichzeitig bleibt die Frage, auf welche andere Weise Unternehmenspolitik oder Produktionsweisen transparent gemacht werden können. Die Einführung von Siegeln (z. B. das EU-Bio-Siegel) sind hier eine der populären Strategien, die allerdings ohne kontrollierbare Standards mehr verdecken als sichtbar machen. Zudem erfordert die Wissensaneignung sowohl bestimmte Kompetenzen, die vom Bildungsgrad abhängen, als auch finanzielle Ressourcen, die die Frage nach der Chancengleichheit bei dieser Partizipationsform aufwerfen.

Einzelnachweise

  1. vgl. Micheletti, Michele/Follesdal, Anders/Stolle, Dietlind (2006): Introduction. In: ebenda (Hrsg.): Politics, Products, and Markets. Exploring Political Consumerism Past and Present. New Brunswick, S. XIV.
  2. vgl. Stolle/Hooghe 2004: 282.
  3. vgl. Stolle/Hooghe 2004: 280f; Hoffmann 2008: 16.
  4. vgl. Hoffmann: 19ff.
  5. Radtke, Günter D. (1976): Teilnahme an der Politik. Bestimmungsgründe der Bereitschaft zur politischen Partizipation. Ein empirischer Beitrag. Leverkusen, S. 16. Zitiert nach: Gabriel, Oscar W./Völkl, Kerstin (2005): Politische und soziale Partizipation. In: Oscar W. Gabriel/Everhard Holtmann(Hrsg.): Handbuch Politisches System der Bundesrepublik Deutschland. 3. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. München, Wien, S. 528.
  6. vgl. Gabriel, Oscar W./Völkl, Kerstin (2005): Politische und soziale Partizipation. In: Oscar W. Gabriel/Everhard Holtmann (Hrsg.): Handbuch Politisches System der Bundesrepublik Deutschland. 3. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. München, Wien, S. 531. Sowie vgl. Stolle/Hooghe 2004: 273.
  7. vgl. Jacobsen/Dulsrud 2007: 469.
  8. Vgl. Stolle/Hooghe 2004: 277.
  9. vgl. Stolle/Hooghe 2004: 273.
  10. vgl. Neuner 2007: 342.

Literatur

  • Hoffmann, Stefan (2008): Boykottpartizipation. Wiesbaden: Gabler Edition Wissenschaft. ISBN 978-3834914354.
  • Jacobsen, Eivind/Dulsrud, Arne (2007): Will consumers save the world? The framing of political consumerism. In: Journal of Agricultural and Environmental Ethics 20/2007, S. 469-482.
  • Micheletti, Michele/Follesdal, Anders/Stolle, Dietlind (2006) (Hrsg.): Politics, Products, and Markets. Exploring Political Consumerism Past and Present. New Brunswick.
  • Münkler, Herfried (1997): Der kompetente Bürger. In: Ansgar Klein/Rainer Schmalz-Bruns (Hrsg.): Politische Beteiligung und Bürgerengagement in Deutschland. Möglichkeiten und Grenzen. Baden-Baden, S. 153-172.
  • Neuner, Michael (2007): Politischer Konsum. Wesen, Erscheinungsformen und Bedeutung. In: WiSt Wirtschaftswissenschaftliches Studium, H. 7/2007, S. 342-347.
  • Stolle, Dietlind/Hooghe, Marc (2004): Consumers as political participants? Shifts in political action repertoires in Western societies. In: Michele Micheletti/Andreas Follesdal/Dietlind Stolle (Hrsg.): Politics, products, and markets: Exploring political consumerism past and present. New Brunswick: Transaction Press, S. 265-288.

Weblinks

Siehe auch


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