- Politischer Witz
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Ein politischer Witz ist ein sehr kurzer Text (Kürzestdialog, Scherzfrage u. ä.), welcher aktuelle Zustände oder Ereignisse der Politik dem Gelächter anheimgeben will.
Inhaltsverzeichnis
Stilmittel
Dabei werden Stilmittel aller Art genutzt (Ironie, Sarkasmus, Satire und andere). Politische Witze sind aus allen Epochen vom Altertum bis zur Gegenwart überliefert. Modernes politisches Kabarett führt politische Witze gern in der Form von angeblichen Berichten, Kommentaren oder Rollenspielen vor Augen. Oft sind die auftretenden Personen Staatsoberhäupter oder Spitzenpolitiker.
Gesellschaftliche Wirkung
Politische Witze sind nicht politisch korrekt. Manche Staaten bedrohen das Erzählen solcher Witze mit Strafe. Andere Staaten lassen Witze zu, weil sich im Witz Unzufriedenheit zunächst ohne weitere Wirkung entlädt. Die Zahl der politischen Witze hängt zusammen mit der „gefühlten“ politischen Situation. Einzelne politische Witze verschwinden sehr schnell wieder, wenn sie nicht mehr aktuell sind. Sie ähneln der politischen Karikatur.
Beispiele
Altertum
Ein später Nachfolger Caesars als Kaiser liebte eines seiner Rösser so sehr, dass er öffentlich die Ehe mit ihm einging. Man kommentierte: „Höchst weise von unserem lieben Kaiser. Wie schön wäre es gewesen, hätte schon sein Vater diese Weisheit besessen.“
Österreich
- Im ersten Weltkrieg hatte die Armee sich aus der Stadt Przemysl zurückziehen müssen. Man meldete dem Kaiser: „Przemysl ist gefallen.“ Der Kaiser antwortete: „Traurig! Traurig! War er jung?“
- Vom Thronfolger Karl sagte man: „Kaiser Karl ist dreißig Jahre alt, sieht aus wie ein Zwanzigjähriger und denkt wie ein Zehnjähriger.“
Sowjetunion
- siehe Radio Eriwan-Witze
USA und Volksrepublik China
- Der Präsident der USA und der Premierminister der Volksrepublik China treffen sich zu einem Arbeitsessen. Was die zwei wohl tun werden? Das, was sie immer tun: Chew and lie.
Deutschland
Flüsterwitze im Nationalsozialismus
Neuere Forschungen widerlegen die seit den 1960er Jahren gängige Darstellung einer angeblich brutalen Verfolgung der Witze-Erzähler, die als Beweis für die totale Unterdrückung oder aber auch als Beispiel für einen breiten Widerstand in der Bevölkerung herangezogen wurde.[1] Regional erhaltene Gestapo-Unterlagen aus Essen und Düsseldorf für 1933 bis 1945 lassen erkennen, dass der so genannte „Flüsterwitz“ tatsächlich in aller Öffentlichkeit getätigt wurde. Die „Täter“ hatten sich keineswegs durch oppositionelle Einstellung hervorgetan: Sie waren nicht vorher aufgefallen, sie hatten keinen „schlechten Leumund“, und unter ihnen waren auch NSDAP-Mitglieder nicht selten vertreten. Die meisten der Beschuldigten gehörten eher einer unteren Sozialschicht an.
Reinhard Heydrich ordnete 1936 an, es sei beim ersten Mal „grundsätzlich zu prüfen, ob nicht schon eine Verwarnung eine ausreichende Maßnahme sei.“[2] Oft kam es gar nicht zu einem Gerichtsurteil und die Strafen fielen vergleichsweise milde aus. In Essen wurden von 53 untersuchten Fällen nur 8 Haftstrafen ausgesprochen (Extremfall: 15 Monate, Durchschnitt 4 Monate), 19 Fälle endeten mit einer mündlichen oder schriftlichen Verwarnung, andere Verfahren führten zu Freisprüchen oder Geldstrafen in Höhe eines Monatslohnes. In sieben der untersuchten 53 Fällen wurden die Beschuldigten von der Gestapo zwischen 4 und 21 Tagen in Schutzhaft genommen.
Joseph Goebbels bemühte sich, das politische Kabarett zu zügeln und schrieb im Februar 1939: „Die Verbotsmaschinerie gegen das Kabarett der Komiker wird nun flott gemacht.“ [...] „Langer Kampf um das Kabarett der Komiker. Ich stauche Schäffers [sic] zurecht. Er weint mir etwas vor. Aber ich bleibe bei meinem Standpunkt. Der politische Witz wird ausgerottet. Und zwar mit Stumpf und Stiel...“.[3]
Der als „Scharfmacher“ geltende Walter Tießler aus der Partei-Kanzlei verwahrte sich gegen die Anregung, mit „Gegenwitzen“ zu reagieren. As Mittel gegen die „Verbreitung parteischädigender Witze“ schlug er im März 1943 vor, den Betreffenden von zuverlässigen und straflos bleibenden Männern „eine Abreibung“ geben zu lassen[4]. Dieser Vorschlag wurde nicht weiter aufgegriffen.
Tatsächlich jedoch blieb der politische Witz ein Ventil, um Unzufriedenheit oder auch Zweifel am Führer und am Endsieg zu äußern. In den Meldungen aus dem Reich, den geheimen Stimmungsberichten des Sicherheitsdienstes, wird am 8. Juli 1943 berichtet: „Das Erzählen von staatsabträglichen und gemeinen Witzen, selbst über die Person des Führers, habe seit Stalingrad erheblich zugenommen. Bei Gesprächen in Gaststätten, Betrieben und sonstigen Zusammenkünften würden die Volksgenossen sich gegenseitig die 'neuesten' politischen Witze erzählen und dabei vielfach keinen Unterschied zwischen solchen einigermaßen harmlosen Inhalts und eindeutig gegnerischen machen. Selbst Volksgenossen, die sich kaum kennen, würden politische Witze austauschen. Offenbar setze man gegenseitig voraus, dass einer heute schon jeden Witz erzählen könne, ohne mit energischer Abfuhr, geschweige denn Anzeige bei der Polizei, rechnen zu müssen. Das Gefühl dafür, dass das Anhören und Weitererzählen politischer Witze eines gewissen Schlages für den anständigen Deutschen und Nationalsozialisten einfach eine Unmöglichkeit ist, sei weiten Kreisen der Bevölkerung und auch einem Teil der Parteigenossenschaft offenbar abhanden gekommen.“[kursiv im Original][5]
Beispiele für politische Witze in der Zeit des Nationalsozialismus:
- „Was gibt's für neue Witze?” - „2 Monate Dachau”
- Treffen sich ein Internist und ein Psychiater. Der Psychiater grüßt: „Heil Hitler!” Der Internist antwortet: „Wieso ich? Du bist doch der Irrenarzt!”
- Text auf eine bekannte Marschmelodie: Die Neger in Ost-Afrika, / die rufen allzugleich: / „Wir wollen deutsche Neger sein, / wir wollen heim ins Reich!“
- Wie sieht ein echter Arier aus? Blond wie Hitler, groß wie Goebbels und schlank wie Göring!
- Was ist der Unterschied zwischen Christentum und Nationalsozialismus? Im Christentum starb einer für alle!
- Hitler unterhält sich auf einem Frontbesuch mit einem einfachen Soldaten. Hitler fragt: „Kamerad, was wünschst Du Dir, wenn Du an vorderster Front im Granathagel stehst?“ Der Soldat antwortet: „Dass Sie, mein Führer, neben mir stehen!“
- Im Sommer 1941 unterhalten sich zwei KZ-Häftlinge über ihren Verhaftungsgrund. Der erste: „Ich sagte am 5. Mai, Heß ist verrückt!“ – Der zweite: „Ich sagte am 15. Mai, Heß ist nicht verrückt!“ (Vorgeschichte: Rudolf Heß flog am 10. Mai 1941 mit einer Messerschmitt Bf 110 nach Schottland, um mit dem vermeintlichen Anführer der englischen Friedensbewegung, dem Duke of Hamilton (Herzog von Hamilton), über Frieden zu verhandeln. In Großbritannien wurde Heß als Kriegsgefangener festgesetzt. In Deutschland erklärte man seinen Flug als Folge geistiger Verwirrung.):
- Es klingt ein Lied im deutschen Land: / „Wir fahren gegen Engeland.“ / Doch wenn dann einer wirklich fährt, / dann wird er für verrückt erklärt.
Ein anderer Witz zum Thema:
- Heß sei auch Churchill vorgestellt worden, der ihn gefragt habe: „Sie sind also der Verrückte?“ worauf Heß antwortete „O nein, nur sein Stellvertreter.“
Lieber Gott, mach mich stumm,
dass ich nicht nach Dachau kumm.
Lieber Gott, mach mich blind,
dass ich alles herrlich find.Lieber Gott, mach mich taub,
dass ich an die Lügen glaub.
Mach mich blind, stumm, taub zugleich,
dass ich pass ins Dritte Reich.Flüsterwitze in der DDR
Auch die Unfreiheiten in der DDR ließen dem Bürger einzig den Witz als Möglichkeit des politischen Protestes. In den ersten Jahren dominierten hierbei u.a. die Themen Antikommunismus, Antistalinismus, Mangelwirtschaft, Reparationen, Verbot der freien Meinungsäußerung. So war es auch hier üblich, die Witze im Flüsterton und unter vorgehaltener Hand weiterzugeben. Schließlich konnten politische Witze gerade in den Anfangsjahren der DDR als "Antisowjethetze" oder "Sabotage des sozialistischen Aufbaus" ausgelegt und mit Zuchthausstrafen belegt werden. Diese erste Phase des politischen Witzes in der DDR dauerte bis zum Bau der Berliner Mauer, der zwar die Unfreiheit erhöhte, aber dennoch den DDR-Staat stabilisierte. Mit der zunehmenden Entspannungspolitik besänftigte sich auch der politische Witz und infolgedessen auch die verhängten Strafen. Der Staat bemühte sich sogar mit der Satirezeitschrift Eulenspiegel einen "amtlich geförderten Witz" zu fördern. Da dabei aber nur Randerscheinungen der innerstaatlichen Probleme angesprochen wurden, existierte weiterhin der freie Witz, der auch die Tabus Regierung, Partei, Militär, Unfreiheit und Staatsgrenze nicht ausließ. Das Kabarett in der DDR hatte wiederum genau diese Tabus zu beachten. Der offizielle Humor in der DDR stand unter der steten Kontrolle von Kulturfunktionären, die ein Programm vor Veröffentlichung abnehmen mussten. So lernte das Publikum mit den Jahren "zwischen den Zeilen zu lesen". Letztlich war der Witz in der DDR eine Reaktion auf den Widerspruch zwischen Idee und Wirklichkeit eines sozialistischen Staatswesens. Und so war der politische Witz und auch die Repression in der DDR stärker ausgeprägt als in der Bundesrepublik Deutschland. Folgender Witz aus dieser Zeit beinhaltet daher eine tragische Realität:
- Walter Ulbricht fragt Willy Brandt, ob er ein Hobby habe. "Natürlich", sagt dieser, "ich sammle Witze, die die Leute über mich erzählen. Und sie?" "Bei mir ist es umgekehrt. Ich sammle Leute, die Witze über mich erzählen."
- Warum gab es im real existierenden Sozialismus so viele Witze? Weil niemand ihn ernst nimmt.
- Die DDR soll ein neues Symbol in ihrer Staatsflagge bekommen: Ein Schaf und einen Stuhl. Wer meckert muß sitzen.
- In einem DDR-Gefängnis sind die Häftlinge zum Appell angetreten. "Morgen kommt unser Staatspräsident Wilhelm Pieck", verkündet der Aufseher. Ein Gefangener ruft: "Das wurde aber auch höchste Zeit."
- Die DDR wird nur bis zum 7. Oktober 2014 bestehen. Warum nicht länger? Da wird sie 65 und darf ausreisen. (Anspielung auf die Regelung, dass Bürger der DDR erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres ausreisen durften. Die DDR war am 7. Oktober 1949 gegründet worden).
- Ein Mann kommt in ein Konsum-Geschäft, sieht sich um und fragt einen Verkäufer: „Sagen Sie, haben Sie keine Brote?“ Antwort: „Keine Brote gibt's dort drüben, hier gibt's kein Gemüse.“
- „Du Papi, warum heißt denn der Trabant 601 Trabant 601?“ „Weil ihn 600 bestellt haben und einer kriegt ihn.“
- „Was war der Unterschied zwischen einem Handwerker und Honecker? Der Handwerker kam nicht, und Honecker ging nicht“
Zur Wendezeit
- „In Ost-Berlin wurden zu dieser Zeit auch Überlegungen angestellt, die Volkskammer in Kammer umzubenennen. Mangels Volk.“
- „Karl Marx schrieb, nachdem er die SED und ihr Treiben in seinem Namen vierzig Jahre lang aus dem Himmel beobachtet hatte, anläßlich der DDR am 7. Oktober 1989 ein Telegramm an alle kommunistischen Parteien der Welt! "Proletarier aller Länder, verzeiht mir!" “
Bundesrepublik Deutschland bis 1989
- Ein Mitglied des Bundestages zum andern: „Wir sollten uns langsam schon auf die Zeit nach Adenauer vorbereiten.“ Der andere antwortet: „Unsinn! Der stirbt nie.“
Bundesrepublik Deutschland nach 1989
- Hast du schon gehört? Rentner dürfen jetzt bei Rot über die Straße gehen. (Anspielung auf die Krise der sozialen Versorgungssysteme).
- Warum gibt es bald nur noch 3-lagiges Klopapier? Ein Durchschlag geht an Schily und einer geht an Beckstein. (Anspielung auf Vorschläge der beiden Innenminister zum Fingerabdruck im Reisepass, Telefonüberwachung und ähnlichen Maßnahmen zur angeblichen Stärkung der inneren Sicherheit).
- Zwei Bundestagsabgeordnete nach der Bestätigung der EU-Verfassung: „Sind wir jetzt bald arbeitslos?“ - „Das nicht, nur scheinselbstständig.“´
Verweise
Einzelnachweise
- ↑ Meike Wöhlert: Der politische Witz in der NS-Zeit am Beispiel ausgesuchter SD-Berichte und Gestapo-Akten. Frankfurt/M 1997, ISBN 3-631-30779-9
- ↑ Meike Wöhlert: Der politische Witz... S.152
- ↑ Joseph Goebbels: Tagebücher. München 2003, Bd. 3, ISBN 3-492-21413-4, S. 1304f zum 1. und 3. Februar 1939
- ↑ Peter Longerich: Hitlers Stellvertreter. München 1992, ISBN 3-598-11081-2, S. 126/127.
- ↑ Heinz Boberach (Hrsg.): Meldungen aus dem Reich. Herrsching 1984, ISBN 3-88199-158-1, Bd. 14. S. 5445f
Literatur
- Rudolph Herzog: Heil Hitler, das Schwein ist tot! Lachen unter Hitler - Komik und Humor im Dritten Reich. Berlin 2006.
- Ralph Wiener: Hinter vorgehaltener Hand. Der politische Witz in Deutschland. Militzke, Leipzig 2003, ISBN 3-86189-283-9.
- Ralph Wiener: Gefährliches Lachen. Schwarzer Humor im Dritten Reich. Rowohlt, Reinbek 1994, ISBN 3-499-19653-0.
- Hans-Jochen Gamm: Der Flüsterwitz im Dritten Reich. Mündliche Dokumente zur Lage der Deutschen während des Nationalsozialismus. Piper, München/Zürich 1993, ISBN 3-492-11417-2.
- Milo Dor, Reinhard Federmann: Der politische Witz. dtv, München 1966, ISBN 3-423-00358-8.
- Hans J. Mesterharm: Völker hört das Gelächter. Politische Witze. Bechtle, München, ISBN 3-7628-0449-4.
- Meike Wöhlert: Der politische Witz in der NS-Zeit am Beispiel ausgesuchter SD-Berichte und Gestapo-Akten. Frankfurt/Main 1996, ISBN 3-631-30779-9.
- Nichts Neues an der finnisch-chinesischen Grenze. Der politische Witz aus Osteuropa. 1984, ISBN 3-85913-128-1.
- Alexander Drozdzynski: Der politische Witz im Ostblock, ISBN 978-3-7700-0395-2.
- Arn Strohmeyer: Da lacht selbst die Partei - Flüsterwitze aus der DDR. Moewig, München 1981, ISBN 3-8118-6809-8.
- Arn Strohmeyer: Neue DDR-Witze & Demosprüche. Eichborn, Frankfurt/Main 1990, ISBN 3-8218-2159-0.
Weblinks
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