Rademacherfunktionen

Rademacherfunktionen
Die ersten drei Rademacherfunktionen

Die Rademacherfunktionen, benannt nach Hans Rademacher, sind für jede natürliche Zahl n auf dem (halboffenen) Einheitsintervall [0,1) definierte Funktionen, die nur die Werte -1 und 1 annehmen.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Die n-te Rademacherfunktion ist so definiert:

r_n(t) := (-1)^k\,, falls \frac{k}{2^n} \leq t < \frac{k+1}{2^n} gilt (mit einem k mit 0 \leq k < 2^n-1).

Alternativ kann man die n-te Rademacherfunktion durch

r_n(t) := \sgn\big(\sin\big( 2^n \pi t \big)\big)

definieren. Diese Definition ist äquivalent zur ersten Definition für alle Zahlen t, die nicht von der Form k/2^n\, sind. Wenn t diese Form hat, so ist \sin\left( 2^n \pi t \right)=0 und daher verschwindet auch das Vorzeichen (sgn). Der Unterschied betrifft jedoch für jedes n nur endlich viele t und spielt daher z.B. in Funktionenräumen wie L2([0,1]) keine Rolle (da hier die Funktionen auf Nullmengen beliebig verändert werden können).

In der Literatur werden gelegentlich die Rademacherfunktionenen auch ausserhalb des Basisintervall periodisch fortgesetzt und die Definition der Rademacherfunktionen erfolgt mit Bezug zu den Walsh-Kaczmarz-Funktionen „Walsh-Sinus“ \operatorname{sir} und „Walsh-Cosinus“ \operatorname{cor} als:[1]

 \operatorname{sir}(x) := (-1)^{\lfloor 2x \rfloor} = \operatorname{sign}(\sin (2\pi x))
 \operatorname{cor}(x) := (-1)^{\lfloor 2x + \frac{1}{2}\rfloor} = \operatorname{sign}(\cos (2\pi x))

Die n-te Rademacherfunktionen sind dann in diesem Zusammenhang als Paar definiert als:

\operatorname{sir}(2^n x)
\operatorname{cor}(2^n x)

Mit obiger Festlegung lassen sich leichter Bezüge, ähnlich wie bei den trigonometrischen Funktionen, bilden wie beispielsweise:

\operatorname{sir}(x) \operatorname{cor}(x) = \operatorname{sir}(2x)

Beispiele

Für die Funktion r_1(t)\, gilt also:

r_1(t) = 
\begin{cases}
 1 \quad & 0 \leq  t < 1/2,\\
-1 & 1/2 \leq t < 1,
\end{cases}

und für die Funktion r_2(t)\,:

r_2(t) = \begin{cases}
 1 \quad & 0 \leq  t < 1/4,\\
-1 & 1/4 \leq t < 1/2,\\
 1 \quad & 1/2 \leq  t < 3/4,\\
-1 & 3/4 \leq t < 1.\\
\end{cases}

Allgemein ordnet die n-te Rademacher-Funktion einer Zahl t im Einheitsintervall eine –1 zu, wenn die n-te Ziffer in der Binärdarstellung von t eine 1 ist, und eine 1, falls diese Ziffer 0 ist.[2] Zum Beispiel gilt

r1(0,375) = r1(0,0112) = 1

und

r2(0,375) = r2(0,0112) = –1.

Rademachersystem

Die Rademacherfunktionen bilden ein Orthonormalsystem des Raum der quadratintegrierbaren Funktionen L2([0,1]). Das heißt es gilt

\int_0^1 r_n(x) r_m(x) \mathrm{d} x = \delta_{mn},

wobei δmn das Kronecker-Delta ist. Dieses Orthonormalsystem trägt den Namen Rademachersystem, es ist jedoch keine Orthonormalbasis von L2([0,1]).

Normale Zahlen

Die Zahl t \in [0,1) heißt einfach normal zur Basis 2 (siehe auch normale Zahl), wenn die beiden Ziffern 0 und 1 in ihrer Binärdarstellung gleich häufig vorkommen. Die Tatsache, dass fast alle Zahlen einfach normal sind, kann man mit Hilfe der Rademacherfunktionen so beschreiben:

Es gilt für fast alle t in [0,1)

\lim_{n \to \infty}\frac{r_1(t) + \cdots + r_n(t)}{n}=0.

Interpretiert man die Binärdarstellung jeder der Zahlen im Einheitsintervall als unendliche Folge von Münzwürfen (Bernoulli-Prozess mit p = 1 / 2), so ist das gerade die Aussage des starken Gesetzes der großen Zahlen.

Chintschin-Ungleichung

Eine einfache Version dieser Ungleichung, die nach Alexander Jakowlewitsch Chintschin benannt ist und in der die Rademacherfunktionen r_n(t)\, vorkommen, lautet wie folgt.[3]

Ist (an)n eine Folge reeller Zahlen, so gilt für jede natürliche Zahl N

\int_0^1\left|\sum_{n=1}^N a_n r_n(t)\right|dt \ge \frac{1}{\sqrt{2}}\left(\sum_{n=1}^N a_n^2\right)^{1/2}.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Eugen Gauß: Walsh-Funktionen für Ingenieure und Naturwissenschaftler. Teubner, 1994, ISBN 3-519-02099-8 (Kapitel 3.1).
  2. Diese Beschreibung ist allerdings mehrdeutig für Zahlen der Form t = k / 2n (die auch dyadische Rationalzahlen genannt werden). Diese Zahlen haben zwei Binärdarstellungen (Bsp.: 1/2 = 0,12 = 0,0111…2).
  3. Siehe die Diplomarbeit von Peter Karlhuber-Vöckl, S. 9.

Literatur

  • Hans Rademacher: Einige Sätze über Reihen von allgemeinen Orthogonalfunktionen. Mathematische Annalen 87, 112–138, 1922 (Online).
  • Mark Kac: Statistical independence in probability, analysis and number theory. Carus Mathematical Monographs 12), Mathematical Association of America, 1959 (Kapitel 1 und 2: Anwendung auf Münzwurf).
  • Donald Knuth: The Art of Computer Programming, Volume 4A: Combinatorial Algorithms. Addison Wesley, Reading (MA), 2011 (insb. S. 287/288).

Weblinks


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