- Satz von Nielsen-Schreier
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Der Satz von Nielsen-Schreier ist ein grundlegendes Ergebnis der kombinatorischen Gruppentheorie, einem Teilgebiet der Mathematik, das sich mit diskreten (zumeist unendlichen) Gruppen beschäftigt. Der Satz besagt, dass in einer freien Gruppe jede Untergruppe frei ist. Neben dieser qualitativen Aussage stellt die quantitative Fassung eine Beziehung her zwischen dem Index und dem Rang einer Untergruppe. Dies hat die überraschende Konsequenz, dass eine freie Gruppe vom Rang Untergruppen von jedem beliebigen Rang und sogar von (abzählbar) unendlichem Rang hat.
Der Satz kann besonders elegant und anschaulich mit Hilfe algebraisch-topologischer Methoden bewiesen werden, mittels Fundamentalgruppe und Überlagerungen von Graphen.
Inhaltsverzeichnis
Aussage des Satzes
Ist F eine freie Gruppe, dann ist jede Untergruppe U von F ebenfalls frei. Diese qualitative Aussage gilt ganz allgemein; im endlichen Fall gilt zudem folgende quantitative Aussage: Ist F eine freie Gruppe von endlichem Rang r und ist U eine Untergruppe von endlichem Index n, dann ist U frei vom Rang 1 − n(1 − r).
Beweise
Der Satz lässt sich wahlweise mit algebraischen oder topologischen Argumenten beweisen. Der topologische Beweis gilt als besonders elegant, und soll im Folgenden skizziert werden. Er benutzt auf raffinierte Weise die Darstellung freier Gruppen als Fundamentalgruppen von Graphen und ist ein Paradebeispiel für die fruchtbare Wechselwirkung zwischen Algebra und Topologie.
Freie Gruppen als Fundamentalgruppen von Graphen
Sei Γ ein zusammenhängender Graph. Diesen realisieren wir als topologischen Raum, wobei jede Kante einem Weg zwischen den angrenzenden Ecken entspricht. Die entscheidende Feststellung ist nun, dass die Fundamentalgruppe π1(Γ, * ) eine freie Gruppe ist.
Um dieses Ergebnis explizit zu machen und damit auch zu beweisen, wählt man einen maximalen Baum , also einen Baum, der alle Ecken von Γ enthält. Die verbleibenden Kanten liefern eine Basis von π1(Γ, * ), indem man für jede Kante einen Weg ws wählt, der vom Fußpunkt * im Baum T bis zur Kante s läuft, diese überquert und anschließend in T wieder zum Fußpunkt zurückkehrt. (Man wählt als Fußpunkt zweckmäßigerweise eine Ecke von Γ; diese liegt dann automatisch in jedem maximalen Baum T.) Die Tatsache, dass die Homotopieklassen [ws] mit eine Basis von π1(Γ, * ) bilden, kann man mittels kombinatorischer Homotopie beweisen, oder durch explizite Konstruktion der universellen Überlagerung des Graphen Γ.
Dieses Ergebnis können wir quantitativ fassen, wenn Γ ein endlicher Graph mit e Ecken und k Kanten ist. Er hat dann die Euler-Charakteristik χ(Γ) = e − k. Jeder maximale Baum enthält dann genau e Ecken und e − 1 Kanten, und hat insbesondere die Euler-Charakteristik χ(T) = 1. Es verbleiben die Kanten und deren Anzahl ist r = k − e + 1 = 1 − χ(Γ). Die Fundamentalgruppe π1(Γ, * ) ist demnach eine freie Gruppe vom Rang r = 1 − χ(Γ).
Topologischer Beweis des Satzes von Nielsen-Schreier
Qualitative Fassung: Jede freie Gruppe F lässt sich darstellen als Fundamentalgruppe π1(Γ, * ) eines Graphen Γ. Zu jeder Untergruppe gehört eine Überlagerung . Der Überlagerungsraum ist dann wieder ein Graph, also ist die Gruppe frei.
Quantitative Fassung: Jede freie Gruppe F von endlichem Rang r lässt sich darstellen als Fundamentalgruppe π1(Γ, * ) eines endlichen Graphen Γ mit Euler-Charakteristik χ(Γ) = 1 − r. Zu jeder Untergruppe von Index n gehört dann eine n-blättrige Überlagerung . Der überlagernde Graph hat also die Euler-Charakteristik , und die Gruppe ist demnach frei vom Rang .
Folgerungen
Untergruppen der ganzen Zahlen
Für den Rang r = 0 ist F die triviale Gruppe, die nur aus dem neutralen Element besteht, und die Aussage des Satzes ist leer.
Die erste interessante Anwendung finden wir im Rang r = 1. Hier ist die freie abelsche Gruppe, und wir finden die Klassifikation der Untergruppen von wieder: Die triviale Untergruppe {0} ist frei vom Rang 0, jede andere Untergruppe ist von der Form vom Index n und selbst wieder frei abelsch vom Rang 1.
Untergruppen nicht-abelscher freier Gruppen
Für eine freie Gruppe F vom Rang folgt aus dem (quantitativen) Satz von Nielsen-Schreier, dass F freie Untergruppen von beliebigem endlichen Rang enthält. (Man kann sogar eine Untergruppe von abzählbar unendlichem Rang konstruieren.)
Diese erstaunliche Eigenschaft steht im Gegensatz zu freien abelschen Gruppen (wo der Rang einer Untergruppe stets kleiner oder gleich dem Rang der gesamten Gruppe ist) oder Vektorräumen über einem Körper (wo die Dimension eines Unterraums stets kleiner oder gleich der Dimension des gesamten Raums ist).
Untergruppen endlich erzeugter Gruppen
Der Satz von Nielsen-Schreier handelt zwar zunächst nur von freien Gruppen, seine quantitative Fassung hat aber auch interessante Konsequenzen für beliebige, endliche erzeugte Gruppen. Ist eine Gruppe G endlich erzeugt (von einer Familie mit r Elementen aus G), und ist eine Untergruppe von endlichem Index n, dann ist auch H endlich erzeugt (von einer Familie mit 1 − n(1 − r) Elementen aus H).
Wie schon im Fall freier Gruppen muss man im Allgemeinen also damit rechnen, dass eine Untergruppe mehr Erzeuger benötigt als die gesamte Gruppe G.
Geschichte
Der Satz ist benannt nach den Mathematikern Jakob Nielsen und Otto Schreier. Er wurde 1921 von Nielsen bewiesen, zunächst allerdings nur für freie Gruppen von endlichem Rang. Schreier konnte diese Einschränkung 1927 aufheben, und den Satz auf beliebige freie Gruppen verallgemeinern.[1] Max Dehn erkannte die Beziehungen zur algebraischen Topologie und gab als erster einen topologischen Beweis des Satzes von Nielsen-Schreier.[2] Kurt Reidemeister stellte diese Entwicklung 1932 in seinem Lehrbuch über kombinatorische Topologie dar.[3]
Einzelnachweise
- ↑ Otto Schreier: Die Untergruppen der freien Gruppen. In: Abhandlungen aus dem Mathematischen Seminar der Universität Hamburg. 5, 1927, S. 161–183. doi:10.1007/BF02952517.
- ↑ Siehe Wilhelm Magnus, Moufang, Ruth: Max Dehn zum Gedächtnis. In: Mathematische Annalen. 127, Nr. 1, 1954, S. 215–227. doi:10.1007/BF01361121..
- ↑ Kurt Reidemeister: Einführung in die kombinatorische Topologie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1972 (Nachdruck des Originals von 1932)
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