Homotopie

Homotopie
Eine Homotopie, die eine Kaffeetasse in einen Donut (einen Volltorus) überführt.

In der Topologie ist eine Homotopie eine stetige Deformation zwischen zwei Abbildungen von einem topologischen Raum in einen anderen, beispielsweise die Deformation einer Kurve in eine andere Kurve.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Eine Homotopie zwischen zwei stetigen Abbildungen f,g \colon X \to Y ist eine stetige Abbildung

H: X \times [0, 1] \to Y

mit der Eigenschaft

H(x,0) = f(x) und H(x,1) = g(x)

wobei [0,1] das Einheitsintervall ist. Der erste Parameter entspricht also dem der ursprünglichen Abbildungen und der zweite gibt den Grad der Deformation an. Besonders anschaulich wird die Definition, wenn man sich den zweiten Parameter als "Zeit" vorstellt (vgl. Bild).

Man sagt f ist homotop zu g und schreibt fg. Homotopie ist eine Äquivalenzrelation, die zugehörigen Äquivalenzklassen heißen Homotopieklassen.

Beispiel

Homotopie eines Kreises in R² auf einen Punkt

Sei X=S^{1}\subset \mathbb R^2 der Einheitskreis in der Ebene und Y=\mathbb R^2 die ganze Ebene. Die Abbildung f sei die Einbettung von X in Y, und g sei die Abbildung, die ganz X auf den Ursprung abbildet, also

f(x)=x,\quad g(x)=0 .

Dann sind f und g zueinander homotop. Denn

H: X \times [ 0, 1] \to \mathbb R^2 mit H(x,t) = (1-t) \cdot f(x)

ist stetig und erfüllt H(x,0)=1\cdot f(x) und H(x,1)=0\cdot f(x)=0=g(x).

Relative Homotopie

Ist E eine Teilmenge von X, und stimmen zwei stetige Abbildungen f,g\colon X\to Y auf E überein, so heißen f und g homotop relativ E, wenn es eine Homotopie H:fg gibt, für die H(e,t) für jedes e\in E unabhängig von t ist.

Homotopie zweier Kurven

Ein wichtiger Spezialfall ist die Homotopie von Wegen relativ der Endpunkte: Ein Weg ist eine stetige Abbildung \gamma\colon [0,1]\to X; dabei ist [0,1] das Einheitsintervall. Zwei Wege heißen homotop relativ der Endpunkte, wenn sie homotop relativ {0,1} sind, d.h. wenn die Homotopie die Anfangs- und Endpunkte festhält. (Sonst wären Wege in der gleichen Wegzusammenhangskomponente immer homotop.) Sind also γ0 und γ1 zwei Wege in Y mit γ0(0) = γ1(0) = x und γ0(1) = γ1(1) = y, so ist eine Homotopie relativ der Endpunkte zwischen ihnen eine stetige Abbildung

H:[0,1]\times [0,1]\to Y

mit H(t,0) = γ0(t), H(t,1) = γ1(t), H(0,s) = x und H(1,s) = y.

Ein Weg heißt nullhomotop genau dann, wenn er homotop zum konstanten Weg γ(t) = x0 ist.

Der andere häufig auftretende Fall ist die Homotopie von Abbildungen zwischen punktierten Räumen. Sind (X,x0) und (Y,y0) punktierte Räume, so sind zwei stetige Abbildungen f,g\colon (X,x_0)\to(Y,y_0) homotop als Abbildungen von punktierten Räumen, wenn sie relativ x0 homotop sind.

Beispiel: Die Fundamentalgruppe

Die Menge der Homotopieklassen von Abbildungen punktierter Räume von (S1, * ) nach (X,x0) ist die Fundamentalgruppe von X zum Basispunkt x0.

Ist zum Beispiel (X,x0) ein Kreis mit einem beliebigen ausgewählten Punkt x0, dann ist der Weg, der durch einmaliges Umrunden des Kreises beschrieben wird, nicht homotop zum Weg, den man durch Stillstehen am Ausgangspunkt x0 erhält.

Homotopieäquivalenz

Seien X und Y zwei topologische Räume und sind f:X \to Y und g:Y \to X stetige Abbildungen. Dann sind die Verknüpfungen g\circ f und f\circ g jeweils stetige Abbildungen von X bzw. Y auf sich selbst, und man kann versuchen, diese zur Identität auf X bzw. Y zu homotopieren.

Falls es solche f und g gibt, dass g\circ f homotop zu idX und f\circ g homotop zu idY ist, so nennt man X und Y homotopieäquivalent oder vom gleichen Homotopietyp. Die Abbildungen f und g heißen dann Homotopieäquivalenzen.

Homotopieäquivalente Räume haben die meisten topologischen Eigenschaften gemeinsam. Falls X und Y homotopieäquivalent sind, so gilt

Isotopie

Definition

Wenn zwei gegebene homotope Abbildungen f:X \to Y und g:X \to Y zu einer bestimmten Regularitätsklasse gehören oder andere zusätzliche Eigenschaften besitzen, kann man sich fragen, ob die beiden innerhalb dieser Klasse durch einen Weg miteinander verbunden werden können. Dies führt zum Konzept der Isotopie. Eine Isotopie ist eine Homotopie

H: X \times [0, 1] \to Y

wie oben, wobei alle Zwischenabbildungen H_t := H(\cdot,t) (für festes t) ebenfalls die geforderten Zusatzeigenschaften besitzen sollen.

Beispiele

Zwei Homöomorphismen sind also isotop, wenn eine Homotopie existiert, so dass alle Ht Homöomorphismen sind. Zwei Diffeomorphismen sind isotop, wenn alle Ht selbst Diffeomorphismen sind. Zwei Einbettungen sind isotop, wenn alle Ht Einbettungen sind.

Unterschied zur Homotopie

Zu verlangen, dass zwei Abbildungen isotop sind, kann tatsächlich eine stärkere Anforderung sein, als zu verlangen, dass sie homotop sind. Zum Beispiel ist der Homöomorphismus der Einheitskreisscheibe in \R^2, der durch f(x,y) = (−x, −y) definiert ist, dasselbe wie eine 180-Grad-Drehung um den Nullpunkt, darum sind die Identitätsabbildung und f isotop, denn sie können durch Drehungen miteinander verbunden werden. Im Gegensatz dazu ist die Abbildung auf dem Intervall [−1,1] in \R, definiert durch f(x) = −x nicht isotop zur Identität. Das liegt daran, dass jede Homotopie der beiden Abbildungen zu einem bestimmten Zeitpunkt die beiden Endpunkte miteinander vertauschen muss; zu diesem Zeitpunkt werden sie auf denselben Punkt abgebildet und die entsprechende Abbildung ist kein Homöomorphismus. Hingegen ist f homotop zur Identität, zum Beispiel via der Homotopie H: [−1,1] × [0,1] → [−1,1], gegeben durch H(x,t) = 2tx-x.

Anwendungen

In der Geometrischen Topologie werden Isotopien benutzt, um Äquivalenzrelationen herzustellen.

Zum Beispiel in der Knotentheorie – wann sind zwei Knoten K1 und K2 als gleich zu betrachten? Die intuitive Idee, den einen Knoten in den anderen zu deformieren, führt dazu, dass man einen Weg von Homöomorphismen verlangt: Eine Isotopie, die mit der Identität des dreidimensionalen Raumes beginnt und bei einem Homöomorphismus h endet, so dass h den Knoten K1 in den Knoten K2 überführt. Eine solche Isotopie des umgebenden Raumes wird auch Umgebungsisotopie genannt.

Eine andere wichtige Anwendung ist die Definition der Abbildungsklassengruppe Mod(M) einer Mannigfaltigkeit M. Man betrachtet Diffeomorphismen von M „bis auf Isotopie“, das heißt, dass Mod(M) die (diskrete) Gruppe der Diffeomorphismen von M ist, modulo der Gruppe der Diffeomorphismen, die isotop zur Identität sind.

Literatur

  • Brayton Gray: Homotopy theory. An introduction to algebraic topology. Academic Press, New York u. a. 1975, ISBN 0-12-296050-5 (Pure and Applied Mathematics 64).
  • Allen Hatcher: Algebraic Topology. Cambridge University Press, Cambridge 2002, ISBN 0-521-79540-0.
  • John McCleary (Hrsg.): Higher Homotopy Structures in Topology and Mathematical Physics. Proceedings of an international Conference, June 13 – 15, 1996 at Vassar College, Poughkeepsie, New York, to Honor the sixtieth Birthday of Jim Stasheff. American Mathematical Society, Providence RI 1999, ISBN 0-8218-0913-X (Contemporary Mathematics 227).
  • George W. Whitehead: Elements of Homotopy Theory. Corrected 3rd Printing. Springer, New York NY u. a. 1995, ISBN 0-387-90336-4 (Graduate Texts in Mathematics 61).

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