Schnulzenerlass

Schnulzenerlass

Als Schnulzenerlass wurde eine „legendäre“[1] Anweisung des ORF-Generalintendanten Gerd Bacher vom Juli 1968 an die Radiomacher von Ö3 bezeichnet.

Nach einer Meldung der Tageszeitung Express vom 25. Juli 1968 forderte der autoritär auftretende Generalintendant Bacher[2] seine Radiomitarbeiter auf, dem musikalischen Zeitgeist Rechnung zu tragen:[3]

„In den letzten Monaten beginnt eine mir unerklärliche Schnulzeninvasion über Ö3 hereinzubrechen. Wann immer man Allroundprogramme in Ö3 aufdreht, säuselt einem ein germanischer Schwachsinniger in die Ohren. Da ich mein Ersuchen seit Monaten – leider vergeblich – an die diversen Ö3-Herren und Damen richte, würde ich nach meiner Rückkehr nicht mehr bitten, sondern entsprechende Konsequenzen ziehen.“

Gerd Bachers Machtwort, in dem er anwies, mehr „internationale Unterhaltungs- und Popmusik“ zu spielen,[4] hatte gravierende Konsequenzen. Das Programm des Jugendsenders Ö3 reduzierte drastisch die Quote deutschsprachiger Musik zugunsten von Musik angelsächsischen Ursprungs.[5] Die von Bacher im Schnulzenerlass geschmähten deutschsprachigen Schlager werden seitdem verstärkt in den (Bundesländer-)Programmen von Österreich Regional (Ö2) gesendet – die Anweisung des Intendanten zementierte dadurch die programmatische Ausrichtung beider Sender.[6] Der damalige Ö3-Moderator André Heller beschrieb Bacher im Jahr 2008 als „begnadeten Ermutiger“, der sich durch den Schnulzenerlass bei der „Ent-Roy-Blackisierung der Jugendkultur zugunsten von Frank Zappa, den Rolling Stones und Led Zeppelin und der allgemeinen Durchlüftung als Verbündeter“ erwiesen habe.[7]

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Oesterreichisches Musiklexikon, a.a.O.
  2. Vgl. Der Niedergang des Partiachats – Schnulzenerlass.
  3. zitiert nach Paulus Ebner und Karl Vocelka: Die zahme Revolution. ’68 und was davon blieb. Ueberreuter, Wien 1998, ISBN 3-8000-3679-7, Seite 93.
  4. Wolfgang Rumpf: Wolfgang Rumpf: Music in the Air: AFN, BFBS, Ö3, Radio Luxemburg und die RadioKultur in Deutschland. LIT, Münster 2007, ISBN 978-3-825-80329-2; S. 132 (books.google.de).
  5. Hitradio Ö3 – Geschichte.
  6. Die Kinder der Rundfunkreform“: Die Furche 39/07, 27. September 2007, Seite 23. Radio Wien weist allerdings mit einer Quote von 4.2 % heimischer Interpreten aktuell noch weniger als die Hälfte des Ö 3 Anteils von 11.6 % auf (Quelle: Wiener Bezirkszeitung NR. 49/2009)
  7. „68 Luftballons“: Profil 10/08, 3. März 2008, Seite 100.

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