St. Jodokus (Bielefeld)

St. Jodokus (Bielefeld)
St. Jodokus von Nordosten: Chor, Dachreiter, anstoßendes Konventsgebäude
Ehemaliges Konventsgebäude, dahinter die Kirche
Grundriss der Klosterkirche 1906

St. Jodokus ist eine römisch-katholische Pfarrkirche und ehemalige Franziskanerkirche im Zentrum von Bielefeld. Die unverputzte spätgotische Hallenkirche mit Dachreiter und die anstoßenden weißen ehemaligen Konventsgebäude im Renaissancestil bilden ein Ensemble in der Bielefelder Altstadt.

Die Kirche ist, wie schon ihre Vorgängerin auf dem Jostberg, dem heiligen Jodokus geweiht, einem Klostergründer, Einsiedler und Pilger, der im 7. Jahrhundert im heutigen Nordfrankreich lebte.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Als erste Pfarrgemeinde der neuen Stadt Bielefeld wurde 1236 durch den Paderborner Bischof Bernhard die Altstädter St.-Nikolaus-Pfarrei durch Auspfarrung aus dem Kirchspiel Heepen errichtet. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts kam in der "Neustadt" eine weitere Stifts- und Pfarrkirche hinzu, die heutige Neustädter Marienkirche. Ferner bestanden im Mittelalter im näheren Umkreis die Peterskirche Kirchdornberg und die Stiftskirche Schildesche mit Pfarrfunktionen.

Im Jahr 1507 beschlossen die Franziskaner, ihre 1498 auf dem Jostberg (Jodokusberg) gegründete Niederlassung auf das sicherere und zugänglichere Stadtgrundstück am heutigen Klosterplatz zu verlegen und die bereits fertiggestellte Jodokuskirche mit den zugehörigen Gebäuden aufzugeben. Der Grund bestand im Wassermangel auf dem Waldgrundstück, aber auch in dem Bestreben, entsprechend der Spiritualität des Ordens nahe bei den Menschen und nicht in der Einsamkeit zu leben.

Die neue St.-Jodokus-Kirche wurde 18. Juli 1511 geweiht;[1] bald danach entstand die übrige Klosteranlage. Das Kloster überstand die Reformation und wurde Stützpunkt und Pfarrkirche für die wenigen Katholiken der Umgebung. Die anderen Pfarr-, Stifts- und Klosterkirchen in Bielefeld und Umgebung wurden ab etwa 1541 protestantisch. 1696 gründeten die Franziskaner in Stockkämpen zusätzlich eine kleine Ordensniederlassung. Erst 1829 – 25 Jahre nach der allgemeinen Säkularisation der Klöster – hob die preußische Regierung auf Betreiben von Stadtirektor Delius das Bielefelder Kloster auf, weil man das Klostergelände zur Erweiterung des Gymnasiums nutzen wollte[2], und die Pfarrseelsorge an St. Jodokus wurde von einem Diözesanpriester übernommen.

St. Jodokus ist die Mutterkirche aller katholischen Pfarreien Bielefelds nach der Reformation. Mit der Industrialisierung der Stadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg der katholische Bevölkerungsanteil an. 1891/92 hielt einer der Vikare von St. Jodokus Gottesdienst in der neuen Herz-Jesu-Kirche in Brackwede, 1906 entstand mit der Marienkapelle in Elpke einer weitere Filiale in Sieker. Solche „Missionsstationen“ bestanden aus einer Kapelle, einem Schulraum und einer Priesterwohnung und wurden vom Bonifatiusverein, einer Organisation zur Unterstützung von Katholiken in der Diaspora, bezuschusst. Im neuen nördlichen Stadtbezirk, dessen Bewohnerschaft sich vor allem aus Arbeitern zusammensetzte, entstand – wenn auch unter Zögern von Pfarrer Bartels von St. Jodokus – 1901/02 zunächst ein Fürsorgeheim für gefährdete Kinder, 1908–1910 wurde dort die St.-Josephs-Kirche erbaut. Herz Jesu in Brackwede wurde 1917 zur selbständigen Pfarrei erhoben, St. Joseph 1933 und St. Bonifatius Sieker 1958. 1931 wurde eine Filialgemeinde in Senne I errichtet, 1934 die Liebfrauenkirche gebaut. In Wellensiek gab es Gottesdienste in der städtischen Schule ab 1930, ab 1939 in der neuen Heilig-Geist-Kapelle. Wegen des starken Zuzugs katholischer Heimatvertriebener und Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg kam es in den 1950er und 1960 Jahren zum Bau von weiteren zwölf Kirchen im Stadtgebiet.

Erstmals 1921 zog die Fronleichnamsprozession von St. Jodokus aus durch die Altstadt, ein Zeichen für ein inzwischen erstarktes Selbstbewusstsein der Katholiken.[3]

Heute nutzen neben der Pfarrgemeinde St. Jodokus auch die Katholische Hochschulgemeinde Bielefeld und das CityKloster Bielefeld (Citypastoral) die Kirche und die Räumlichkeiten im ehemaligen Kloster. Dort ist auch das Büro des Dekanates Bielefeld-Lippe untergebracht.

Gebäude und Ausstattung

Türmchen-der-St-Jodokuskirche-(Klosterkirche).JPG

Das Kirchengebäude ist ein einschiffiger Bau der Spätgotik mit fünf Jochen und Seitennischen sowie einem einjochigen Chor mit 5/8-Schluss. Dem Armutsideal der Franziskaner entsprechend, besitzt die Kirche keinen Turm, sondern nur einen Dachreiter mit vier Glocken. Die Westfassade ist dementsprechend schlicht und schmucklos. Das barocke Von Consbruchsche Portal nach Süden zur Obernstraße stammt von 1713.

Eine Ausweitung und Restaurierung der Kirche erfolgte in den Jahren 1954/55. Zehn Jahre später wurde ein Teil des ehemaligen Klosters hinzugenommen und als Sakramentskapelle – heute „Franziskuskapelle“ genannt – ausgestaltet. 2009/2010 wurde das Konventsgebäude gründlich restauriert. Von Juli 2010 bis März 2011 wurde die Kirche umfassend renoviert und unter Leitung von Professor Norbert Radermacher künstlerisch neu gestaltet.

Die Kirche besitzt bedeutende Kunstschätze, unter anderem die teils spätgotische (1515), teils neogotische (1878) Gewölbeornamentik. Das Gnadenbild der Schwarzen Muttergottes von 1220 gilt als ältestes Bielefelder Kunstwerk. Von kunstgeschichtlicher Seltenheit ist ein Levitenstuhl aus der Frührennaissance im Chorraum, der korrespondierend Christus und Franziskus sowie Maria und Klara darstellt. Weitere Kunstwerke sind die Statue des Pfarrpatrons St. Jodokus, die um 1480 für den Aachener Dom entstand, sowie eine Ikonenwand von Alexej Saweljew (1962), zunächst im Chor und seit 2011 in der Franziskuskapelle aufgestellt. Eine weitere Darstellung des Kirchenpatrons Jodokus mit Pilgermantel und -hut, Muschel und Stab findet sich außen an der Fassade des Klostergebäudes am Klosterplatz.

Orgel

Die heutige Orgel geht zurück auf eine Orgel des Bielefelder Orgelbauers Hans-Henrich Reinking, von dem auch der barocke Orgelprospekt stammt. Die zweimanualige Reinking-Orgel wurde mehrfach ergänzt. Im Jahr 1729 fügte Johann Patroclus Möller (Lippstadt) die beiden Pedaltürme hinzu. 1912 veränderte Anton Feith (Paderborn) das Gehäuse und baute ein neues pneumatisches Werk.

In den Jahren 1973/1974 wurde das Instrument durch die Osnabrücker Orgelbaufirma Kreienbrink umfassend umgestaltet und mit 40 Registern neu erbaut. 1988 wurde die Orgel durch die Orgelbauwerkstatt Fischer & Krämer (Endingen) überholt und um zwei Pedal-Register erweitert (Nr. 35 und 40). Im Hauptwerk wurden die Mixtur und Cymbel durch den Salicional 8′ und das Plein jeu VI ersetzt.

I Rückpositiv C–a3
1. Gedackt 8′
2. Prestant 4′
3. Blockflöte 4′
4. Nasat 22/3
5. Octava 2′
6. Tertia 13/5
7. Spitzquinta 11/3
8. Oberton III
9. Scharff IV
10. Krummhorn 8′
II Hauptwerk C–a3
11. Bourdon 16′
12. Principal 8′
13. Spitzflöte 8′
14. Salicional 8′
15. Octava 4′
16. Querflöte 4′
17. Quinta 22/3
18. Octava 2′
19. Plein jeu VI
20. Trompete 8′
21. Vox humana 8′
Tremulant
III Schwellwerk C–a3
22. Holzprincipal 8′
23. Viola di Gamba 8′
24. Schwebung 8′
25. Octava 4′
26. Rohrquintade 4′
27. Nachthorn 2′
28. Cornett V 8′
29. Fourniture V
30. Fagott 16′
31. Cor Anglais 8′
32. Franz. Trompete 4′
Tremulant
Pedal C–f1
33. Principal 16′
34. Untersatz 16′
35. Quinte 102/3
36. Octava 8′
37. Gemshorn 8′
38. Octava 4′
39. Hintersatz V
40. Bombarde 32′
41. Posaune 16′
42. Trompetenbaß 8′

Glocken

Die Kirche bekam 1995 vier neue Bronzeglocken, die durch die Glocken- und Kunstgießerei Rincker gegossen wurden. Die seit 1950 vorhandenen drei Glocken erhielt zunächst die St. Johann-Baptist-Kirche und dann die St.-Kunigunde-Kirche in Sennestadt.[4]

Nr. Name Durchmesser (mm) Gewicht (kg) Nominal
1 Hedwigsglocke 500 120 b2
2 Josefs- und Marienglocke 570 160 g2
3 Franziskus-Glocke 700 280 es2
4 Jodokus-Glocke 800 380 c2

Literatur

  • Johannes Altenberend, Josef Holtkotte (Hrsg.): St. Jodokus 1511–2011. Beiträge zur Geschichte des Franziskanerklosters St. Jodokus in Bielefeld. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-89534-911-9.

Weblinks

 Commons: St. Jodokus (Bielefeld) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. St. Jodokus vor feierlicher Wiedereröffnung, Eine der ältesten Kirchen Bielefelds, Thomas Günter, in der Neuen Westfälischen, abgerufen am 26. März 2011
  2. Diodor Henniges: Geschichte des Franziskanerklosters Bielefeld. In: Beiträge zur Geschichte der Sächsischen Franziskanerprovinz vom heiligen Kreuz. Band II. Schwann, Düsseldorf 1908, S. 126–151; ders.: Zur Aufhebung des Klosters Bielefeld 1829 (Ein Zitat aus der Aschaffenburger Kirchenzeitung No. 13, Jahrgang 1835). In: ebd. Band IV/V. Schwann, Düsseldorf 1911/12, S. 206f; ders.: Ein trauriger Gedenktag (100 Jahre nach der Auflösung des Klosters Bielefeld). In: Vita Seraphica. 10, 1929, ZDB-ID 606595-8, S. 126–137.
  3. Martin Klein: Veränderungen eines lokalen katholischen Milieus: Bielefeld 1860–1965. In: 90. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg. 2005, ISSN 0342-0159, S. 39–112, S. 44, 53.
  4. Harald Propach: Die Glocken von Bielefeld. Stimme der Kirche, Kulturgut und Kunstwerk. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2008, ISBN 978-3-89534-703-0, (Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg 13), S. 150.
52.0203228.528818

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