Stéphane Hessel

Stéphane Hessel
Stéphane Hessel bei einer Versammlung der Europe Écologie am 10. März 2010

Stéphane Hessel (* 20. Oktober 1917 in Berlin) ist ein französischer ehemaliger Résistance-Kämpfer, Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald, Diplomat und Lyriker. Er ist Sohn des Schriftstellers Franz Hessel.

Hessel wurde nach dem Überleben der KZ-Haft 1946 Büroleiter des Vize-UN-Generalsekretärs Henri Laugier und 1948 Sekretär der neu geschaffenen UN-Menschenrechtskommission. 1962 gründete er in Frankreich die Vereinigung für die Ausbildung von afrikanischen und madagassischen Arbeitnehmern. Bekannt wurde Hessel in den letzten Jahren vor allem als Schriftsteller.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Stéphane Hessel wurde in Berlin geboren. Seine Eltern waren der deutsche Schriftsteller Franz Hessel, der dem in Preußen assimilierten polnisch-jüdischen Bürgertum entstammte, und die aus einer deutschen protestantischen Familie stammende Journalistin Helen Grund. Sein Bruder Ulrich wurde 1914 geboren. 1924 zog die Familie nach Paris, seit 1939 ist Stéphane Hessel französischer Staatsbürger.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde Hessel zunächst von den deutschen Truppen festgenommen, ihm gelang aber die Flucht nach London.[1] Nachdem sich Hessel im Mai 1941 der französischen Résistance angeschlossen hatte, wurde er im Juli 1944 von der Gestapo in Frankreich verhaftet, gefoltert und in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Dort lernte er den Schriftsteller Eugen Kogon[2] kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband.

Der als Spion zum Tode verurteilte Hessel überlebte nur, weil der Kapo Arthur Dietzsch ihm die Identität des kurz zuvor verstorbenen Gefangenen Michel Boitel verschaffte. Dessen Leichnam wurde verbrannt, während Hessel unter falschem Namen in das Außenlager Rottleberode und später nach Mittelbau-Dora überstellt wurde.[3][4] Am 6. April 1945 gelang ihm die Flucht aus dem Zug auf dem Weg nach Bergen-Belsen.[3][5]

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Hessel 1946 Büroleiter des Vize-UN-Generalsekretärs Henri Laugier und 1948 Sekretär der neu geschaffenen UN-Menschenrechtskommission, die mit der Erarbeitung der Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen beauftragt wurde.[6] Er assistierte als „Co-Editor“[7] bei der Erarbeitung, selber Verfasser oder Unterzeichner der Erklärung war er jedoch nicht.[8]

Anschließend bereiste er im Auftrag der UNO und des französischen Außenministeriums die Welt, trieb die Entkolonialisierung voran und vermittelte in Konflikten.

Entwicklungshilfe, Demokratie und Menschenrechte gehören zu den Themen, die Hessel besonders am Herzen liegen und für die er bis heute kämpft. 1962 gründete er in Frankreich die Vereinigung für die Ausbildung von afrikanischen und madagassischen Arbeitnehmern (Association de formation des travailleurs africains et malgaches, AFTAM), die sich für die Rechte von Afrikanern einsetzt, außerdem war er Mitglied der französischen Sektion der Nationalen Menschenrechtskommission. Vom französischen Staat erhielt er den Titel „Ambassadeur de France“.

Nach dem Terroranschlägen am 11. September 2001 erregte Hessel Aufsehen, als er das „Collegium international“ zur Verhinderung eines Kriegs zwischen den Zivilisationen mitbegründete. Dabei forderte er auch die Regierung Israels zu einer anderen Politik auf („Dass Juden ihrerseits Kriegsverbrechen begehen können, ist unerträglich.“) und schloss sich der Forderung nach einem Boykott israelischer Produkte an.[1]

Anlässlich der im März 2009 kurz bevorstehenden Durban-Review-Konferenz sprach er von Fortschritten bei der Verwirklichung der universellen Menschenrechtsdeklaration, da Kolonialismus, Totalitarismus oder Militärregime in mehreren Ländern ihr Ende nahmen. Zugleich warnte er vor Einschränkungen der Rede- und Meinungsfreiheit durch die Gefahr von Medienmonopolen, Übermacht von Konzernen und insbesondere das Bestreben größerer Religionen, die Kritik an der Religion zu unterbinden. Er sprach sich somit gegen ein Verbot der religiösen Diffamierung aus, die Probleme seien durch Dialog zwischen den größeren Kulturen und Zivilisationen zu lösen.[9]

In seinem Buch Empört Euch! aus dem Jahr 2010, das im Januar 2011 bereits mehr als 900.000 Mal gedruckt wurde,[10] spricht er sich für die Wiederbelebung der Werte der Résistance aus.[11] Er kritisiert im Buch außerdem den Finanzkapitalismus, die Behandlung von Minderheiten wie den Roma oder sogenannten illegalen Einwanderern, plädiert für Gewaltlosigkeit und sieht eine Lösung des Konflikts im Nahen Osten als elementar an für die Befriedung weiterer Konflikte.[1]

Stéphane Hessel lebt mit seiner zweiten Frau in Paris.[5]

Schriften (Auswahl)

  • Tanz mit dem Jahrhundert. (Memoiren) Arche Verlag, 2002, ISBN 3-716022381.
  • O ma memoire. La poésie, ma nécessité. Verlag Le Seuil, 2006, gesammelte Lyrik.
    • deutsch: Ô ma mémoire. Gedichte, die mir unentbehrlich sind. Übersetzt von Michael Kogon, Grupello Verlag, 2010, ISBN 978-3-89978-124-3.
  • Citoyen sans frontières. Conversations avec Jean-Michel Helvig. Verlag Fayard, 2008, Témoignages pour l'Histoire.
  • Indignez-vous ! Verlag Indigene, 2010.
  • Engagez-vous ! (dt.: Engagiert euch!) Mit Gilles Vanderpooten, Éditions de l'Aube, Paris 2011 ISBN 978-2-815902298[12]

Preise (Auswahl)

  • 2008 UNESCO-Preisträger (Bilbao Prize for the Promotion of a Culture of Human Rights).[13]
  • 2009 Eugen-Kogon-Preis

Literatur

  • Ronald Hirte, Hannah Röttele, Fritz von Klinggräff: Von Buchenwald(,) nach Europa. Weimarer Verlagsgesellschaft Ltd., Weimar 2011, ISBN 978-3-941830-14-1.

Weblinks

 Commons: Stéphane Hessel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c Jürg Altwegg: Bestseller Empörung. In: FAZ vom 5. Januar 2011.
  2. Eugen Kogon beschreibt das Schicksal Hessels in Buchenwald ausführlich im Kapitel seines Buches Der SS-Staat: „Exekution alliierter Fallschirmspringer und Geheimagenten“ (Taschenbuchausgabe, Heyne-Sachbuch, ISBN 3-453-00671-2, S. 266–274).
  3. a b Stéphane Hessel: „Wie ich Buchenwald und andere Lager überlebte“. In: FAZ. Nr. 17 vom 21. Januar 2011, S. 35.
  4. „Drei Offiziere kamen mit dem Leben davon“. In: Die Zeit, Ausgabe 1 vom 1. Januar 1960.
  5. a b Julia Jüttner: „Der glückliche Lebenskünstler“ auf Spiegel-Online. 7. Mai 2009
  6. S. Hessel, Indignez-vous !, p. 15. Indigène éditions. Montpellier. 2010. ISBN 978-2-911939-76-1.
  7. Zu Deutsch: Als Mitherausgeber oder Mitautor: 30th anniversary of the Human Rights Procedure in UNESCO (104 EX/Decision 3.3), Programm der Veranstaltung vom 30. September 2008. Unesco Homepage. Abgerufen am 24. Februar 2011.
  8. « J'assistais aux séances et j'écoutais ce qu'on disait mais je n'ai pas rédigé la Déclaration. J'ai été témoin de cette période exceptionnelle, ajoute-t-il. » Hessel : La Déclaration des droits de l'homme, témoin de l'audace de l'époque. Centre d'Actualités de l'ONU, 10 décembre 2008 [1].
  9. In swissinfo.ch: Menschenrechtsanwalt Stéphane Hessel sieht Redefreiheit in Gefahr am 11. März 2009
  10. Jakob Augstein: Sarrazin-Debatte: Im Land der Niedertracht, Spiegel Online, 13. Januar 2011.
  11. The Guardian: Political essay by 93-year-old tops Christmas bestseller list in France, 26. Dezember 2010
  12. Spiegel Online. 9. März 2011, abgerufen am 9. März 2011.
  13. UNESCO/Bilbao Prize - Laureates

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