Châtelperronien

Châtelperronien

Das Châtelperronien ist eine archäologische Kultur am Übergang vom Mittel- zum Jungpaläolithikum, die mittels Radiokohlenstoffdatierung auf etwa 38 000 - 33 000 BP datiert wird. Im westeuropäischen Verbreitungsgebiet ist es die letzte Kultur, die mit dem Neandertaler in Verbindung steht.[1] Da sie sich zeitlich mit dem älteren Aurignacien überschneidet und Annäherungen in den materiellen Hinterlassenschaften auftreten, gilt sie zugleich als Beleg der kulturellen Beeinflussung des Neandertalers durch den Cro-Magnon-Mensch.[2]

Der Begriff wurde 1906 von Henri Édouard Breuil eingeführt, nach der Fundstelle Grotte des Fées bei Châtelperron (Département Allier).

Inhaltsverzeichnis

Verbreitung

Das Châtelperronien ist lediglich in Frankreich und Nordspanien verbreitet. In Frankreich findet es sich hauptsächlich im Südwesten (Départements Charente, Dordogne, Lot und Vienne), im westlichen Pyrenäenraum sowie im Loire- und im Seinebecken.

Zeitlicher Rahmen

Als Substrat der Entstehung des Châtelperroniens wird das Moustérien vom Typ Moustérien de tradition Acheuléen angesehen. In Südfrankreich wird es gemäß der Gliederung von Denis Peyrony als „Périgordien I“ (auch Périgordien ancien oder Périgordien inférieur) bezeichnet.[3] Das Châtelperronien bestand zeitgleich zum Unteren Aurignacien und wurde vom Mittleren Aurignacien abgelöst.

Klima

Das Châtelperronien liegt in einem Interstadial der Würmeiszeit – einem klimatisch zwar etwas milderen, aber sehr instabilen Zeitabschnitt.

Menschenreste

Menschenreste des Châtelperroniens wurden vor allem in Gestalt isolierter Zähne gefunden. Eine Studie des Jahres 2009 konnte eine gesicherte Zuordnung zum Neandertaler als Träger bestätigen.[1] Die Neandertaler-Bestattung von Saint-Césaire galt indes lange Zeit als unsicherer Beleg, weil die umgebende Fundschicht nach Meinung von Experten wie Gerhard Bosinski eher als spätes Moustérien des Typs MtA denn als Châtelperronien gewertet wurde.

Wiederholt wurden in Fundplätzen mit Châtelperronien Interstratifikationen von Neandertalern und Cro-Magnon-Mensch diskutiert, z. B. in El Pendo (Nordspanien), Roc de Combe und Le Piage 15 (Frankreich) [4] sowie auch in der Typlokalität Grotte des Fées.[5][6][7] Die Frage, wer die Träger des Châtelperroniens waren und inwieweit solche Interstratifikationen belegbar sind, spielt eine große Rolle in der Diskussion zur Genese der jungpaläolithischen Kleinkunst.[8]

Archäologisches Inventar

Werkzeuge

Umzeichnung von Spitzen der Châtelperronien-Industrie

Charakteristisch für die Werkzeugsindustrie des Châtelperroniens ist die Neuentwicklung der Châtelperron-Spitzen (oder -Messer) mit gebogenem, abgestumpften Rücken.

Das Châtelperronien zeichnet sich einerseits durch das Vorkommen typischer jungpaläolithischer Elemente wie Knochen-, Geweih- und Elfenbein-Werkzeuge, Klingen und Schmuck aus. Die Verwendung von Knochenmaterial zur Herstellung von Waffen und Werkzeugen hat einige Vorläufer in den Neandertaler-Kulturen des Mittelpaläolithikums, wie die Knochenspitzen aus Salzgitter-Lebenstedt oder der Großen Grotte bei Blaubeuren. Elfenbein wurde weit häufiger als Werkstoff verwendet als Geweih.[9] Andererseits weisen Inventare des Châtelperronien noch einen deutlichen Anteil mittelpaläolithischer Technologien wie das Vorkommen der Levalloistechnik auf. In anderen Regionen Europas gab es ähnliche Übergangsindustrien, so in Ost- und Mitteleuropa das Bohunicien und Szeletien, in Italien das Uluzzien.

Schmuckgegenstände

32 Millimeter großes, aus Knochen gefertigtes Ohrgehänge von Arcy-sur-Cure

Als sicherster Fundplatz für den Beleg von Schmuckobjekten des Neandertalers galt bislang die zwischen 1949 und 1963 von André Leroi-Gourhan ausgegrabene „Grotte du Renne“ (Rentierhöhle) von Arcy-sur-Cure, Département Yonne. Mit dem Beweis, dass es sich bei den isolierten Zähnen um Reste von Neandertalern handelt, schien zugleich gesichert, dass die in den Châtelperronien-Fundschichten gefundenen Schmuckgegenstände (Ohrgehänge, durchbohrte und mit Rillen versehene Zähne als Schmuckanhänger, Fossilien und anderes) mit dem Neandertaler in Verbindung stehen müssten.[2] Die Fachzeitschrift Nature titelte 1996 anlässlich dieses Beitrags: "Neanderthal Fashion".[10] Offen schien dabei lediglich die Frage, ob dies durch Akkulturation des anatomisch modernen Menschen (Cro-Magnon-Mensch) in Europa geschehen ist, oder ob Neandertaler diese Entwicklung unabhängig vom eingewanderten modernen Menschen hervorgebracht hätten.[11]

Neue 14C-Daten (31 AMS-Daten mit Ultrafiltration) einer 2010 publizierten Revision konnten jedoch zeigen, dass die Châtelperronien-Schichten von Arcy eine Datenstreuung zwischen etwa 21-49.000 BP aufweisen, was im Sinne der Autoren für eine erhebliche Durchmischung des Fundhorizontes spricht.[12] Einige modifizierte Knochen wurden direkt datiert und sind mit weniger als 30.000 BP eindeutig jünger als die letzten bekannten Neandertaler Südwesteuropas. Damit ist trotz der Assoziation mit Neandertalerresten nicht mehr sicher, dass es sich um ungestörte Schichten handelt. Vielmehr steigt die Wahrscheinlichkeit der Vermischung mit Artefakten und Schmuckgegenständen, die der anatomisch moderne Mensch (Cro-Magnon-Mensch) hergestellt hat.

Trotz der Unsicherheit bezüglich Arcy-sur-Cure sind zum Beispiel auch aus der spärlich dokumentierten Höhle von Quinçay, Dep. Vienne ähnliche Schmuckgegenstände aus Châtelperronien-Schichten bekannt. Dabei handelt es sich um perforierte Eckzähne von Wolf, Fuchs und Rothirsch.[13] Auch in der Typlokalität Châtelperron, in Roche au Loup und anderen Fundplätzen sind Schmuckgegenstände gefunden worden.[14][15] Neben aktiv veränderten Schmuckgegenständen spielen auch Fossilien eine Rolle, wie die Dentalien von Saint-Césaire.[15] Eine zugespitzte Infragestellung von Neandertalerschmuck insgesamt[12] scheint daher nicht angezeigt.

Fundplätze

Frankreich

Nordspanien

  • Cueva el Pendo
  • El Pendo

Literatur

  • Breuil, H. Etudes de morphologie paléolithique. 2. L'industrie de la grotte de Châtelperron (Allier) et d'autres gisements similaires. Revue Ecole Anthropol. Paris 29, 29–40 (1910)
  • Delporte, M. H. L'industrie de Châtelperron et son extension géographique. Congrès Préhist. Fr. 14, 233–250 (1955)
  • Delporte, M. H. Les fouilles des grottes paléolithiques de Châtelperron (Allier). Gallia 13, 79–84 (1955)
  • Delporte, M. H. La Grotte des Fées de Châtelperron (Allier). Congrès Préhist. Fr. 15, 452–477 (1957)
  • Leroi-Gourhan, A. Les fouilles d'Arcy-sur-Cure (Yonne). Gallia Préhistoire 4, 3–16 (1961)

Einzelnachweise

  1. a b Shara E. Bailey, Timothy D. Weaver, Jean-Jacques Hublin, Who made the Aurignacian and other early Upper Paleolithic industries? Journal of Human Evolution, Band 57, Nr. 1, 2009, S. 11–26 doi:10.1016/j. jhevol.2009.02.003
  2. a b Jean-Jacques Hublin, F. Spoor, M. Braun, F. Zonneveld, S. Condemi: A Late Neanderthal Associated with Upper Palaeolithic Artefacts. In: Nature, Band 381, S. 224–226 doi:10.1038/381224a0
  3. D. Peyrony: Les industries „aurignaciennes“ dans le bassin de la Vézére. Bulletin de la Société Préhistorique Française XXX, 1933, S. 543–559
  4. Bordes, J.-G.: Les interstratifications Châtelperronien / Aurignacien du Roc-de-Combe et du Piage (Lot, France). Analyse taphonomique des industries lithiques; implications archéologiques. Université de Bordeaux I, 2002
  5. Wil Roebroeks: Time for the Middle to Upper Paleolithic transition in Europe. Journal of Human Evolution, Volume 55/5, 2008, S. 918-926 doi:10.1016/j. jhevol.2008.08.008
  6. B. Gravina, P. Mellars and C. Bronk Ramsey, Radiocarbon dating of interstratified Neanderthal and early modern human occupations at the Chatelperronian type-site. Nature 438 (7064), 2005, S. 51–56 doi:10.1038/nature04006
  7. Paul Mellars, Brad Gravina, Christopher Bronk Ramsey: Confirmation of Neanderthal/modern human interstratification at the Chatelperronian type-site. PNAS February 27, 2007, Vol. 104/9, S. 3657-3662 doi:10.1073/pnas.0608053104
  8. Zilhão, J., D'Errico, F., Bordes, J.-G., Lenoble, A., Texier, J.-P. et Rigaud, J.-P.: Analysis of Aurignacian interstratification at the Châtelperronian-type site and implications for the behavioral modernity of Neandertals. PNAS Vol. 103/33, 2006, S. 12643–12648 doi:10.1073/pnas.0605128103
  9. d'Errico, F. D., Zilhao, J., Julien, M., Baffier, D. and Pelerin, J.: Neanderthal Acculturation in Western Europe? A Critical Review of the Evidence and it's Interpretation. Current Anthropology Supplement to 39, 1998, S. S1-S44 doi:10.1086/204689
  10. Nature, Band 381, 1996, Frontcover
  11. Stringer C., Gamble C.: In Search of the Neanderthals. Thames and Hudson, London, 1993
  12. a b Thomas Higham et al.: Chronology of the Grotte du Renne (France) and implications for the context of ornaments and human remains within the Châtelperronian. PNAS, online 18. October 2010 (in Press) doi:10.1073/pnas.1007963107
  13. J.-M. Granger und F. Lévêque: Parure castelperronienne et aurignacienne: étude de trois séries inédites de dents percées et comparaisons. C. R. Acad. Sci., Paris (Préhist.) 325 (1997), S. 537–543
  14. R. White: Personal Ornaments from the Grotte du Renne at Arcy-sur-Cure. Athena Review 2 (2000) (4), S. 41–46
  15. a b F. d'Errico et al: Neandertal acculturation in Western Europe? A critical review of the evidence and its interpretation. Current Anthropology 39 (1998), S. 1–44

Weblinks

Randall White: Personal Ornaments from the Grotte du Renne at Arcy-sur-Cure (abgerufen am 18. Oktober 2010)


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