Abwehr (Nachrichtendienst)

Abwehr (Nachrichtendienst)
Soldaten des Geheimen Funkmeldedienstes des OKW beim Ver- oder Entschlüsseln von Nachrichten mithilfe der Schlüsselmaschine ENIGMA

Als Abwehr wurden ab 1920 bis 1944 alle entsprechenden Dienststellen der Reichswehr und später der Wehrmacht bezeichnet, die mit Spionageabwehr, Spionage und Sabotage beauftragt waren.

Inhaltsverzeichnis

Gründung

Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde mit dem Reichsheer auch der deutsche militärische Nachrichtendienst Abteilung III b aufgelöst. In den Jahren 1919 und 1920 gab es keinen militärischen deutschen Geheimdienst.

Im Frühjahr 1920 begannen einige ehemalige Mitarbeiter unter Major Friedrich Gempp, dem ehemaligen Stellvertreter Walter Nicolais, im Rahmen der „vorläufigen Reichswehr“, eine Abwehrdienststelle einzurichten, welche als Abteilung Abwehr von Oberstleutnant Gempp aus den Resten der Abteilung III b gebildet wurde. Die „Abteilung Abwehr“ war ein Heeres-Nachrichtendienst. Als offizielles Gründungsdatum der Abwehr wird der 1. Januar 1921 genannt, der Tag der Bildung des Reichswehrministeriums. Organisatorisch war die Abwehr eine Gruppe im Reichswehrministerium.

Geschichte

Zum 1. April 1928 ordnete Reichswehrminister Wilhelm Groener auf Vorschlag von Schleichers die Zusammenlegung der Gruppe Abwehr mit dem Marinegeheimdienst an und erhöhte die neue Dienststelle zur Abteilung. Gleichzeitig verbot er jeder anderen Dienststelle jede konkurrierende Abwehrtätigkeit. Die Abwehr der 1920er Jahre war zu klein, um ihre Aufgaben erledigen zu können. Sie kann erst unter Conrad Patzig als funktionsfähiger Geheimdienst angesehen werden.

Soldat des Geheimen Funkmeldedienstes des OKW-Amts Ausland/Abwehr

Mit der Wiederaufrüstung und Kriegsvorbereitung unter Adolf Hitler erhielt die Abwehr deutlich mehr Geld und Personal. Bis 1933 hatte die Abwehr nur ca. 150 Mitarbeiter.[1] Bis Juni 1935 waren es dann bereits 956 Mitarbeiter. In den ersten Jahren des NS-Staates nahm die Abwehr auch Aufgaben wahr, die eigentlich der Gestapo zustanden, da diese erst im Aufbau begriffen war. Nach der Ablösung Patzigs, der mit den neuen Machthabern im Streit lag, handelte der neue Chef (ab 2. Januar 1935), Wilhelm Canaris, mit Reinhard Heydrich die sogenannten „zehn Gebote“ aus, in denen die Befugnisse der einzelnen Dienste abgegrenzt wurden. Im Wesentlichen erhielt die Gestapo den zivilen, die Abwehr den militärischen Bereich als Aufgabengebiete.

1938 wurde die Abwehrabteilung zur Amtsgruppe Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht und dort 1941 zum Amt Ausland/Abwehr befördert. Am 11. Februar 1944 wurde Admiral Canaris von Adolf Hitler seines Amtes enthoben. Die Abwehr wurde teilweise als Amt Mil dem Reichssicherheitshauptamt unterstellt.

Gliederung vor 1928

  • Gruppe Abwehr der Abteilung T3
    • Erkundung
    • Chiffrier- und Horchdienst
    • Spionageabwehr

Organisationsaufbau

  • Abteilung Z: Personal- und Finanzverwaltung
    • Gruppe ZF: Finanzen
    • Gruppe ZR: Recht
    • Gruppe ZKV: Zentralkartei der V-Leute
    • Gruppe ZO: Offiziere
    • Gruppe Z Archiv
    • Gruppe ZK: Zentralkartei
    • Gruppe Z Reg: Registratur, Materialverwaltung
    • Gruppe Z B: Außenpolitische Berichterstattung
  • Abteilung Ausland (Ausl.)
    • Gruppe I: Außen- und Wehrpolitik; Militärpolitische Unterrichtung Chefs OKW.
    • Gruppe II: Beziehungen zu fremden Wehrmächten; Allgemeine Registratur; Protokolle der Wehrmacht.
    • Gruppe III: Fremde Wehrmächte; Meldesammelstelle des OKW; Militärische Unterrichtung Chef Amt Ausl/Abwehr und V. O. bei W.F.St.
    • Gruppe IV: Etappenorganisation der Kriegsmarine.
    • Gruppe V: Auslandspresse.
    • Gruppe VI: Militärische Untersuchungsstelle für Kriegsvölkerrecht.
    • Gruppe VII: Kolonialfragen.
    • Gruppe VIII: Wehrauswertung (u.a.Auswertung von Beuteakten).
  • Abteilung I (Abw.I): Geheimer Meldedienst (Auslandsspionage/Nachrichtenbeschaffung)
    • Chef-Gruppe
    • Gruppe I H: Geheimer Meldedienst Heer.
    • Gruppe I M: Geheimer Meldedienst Marine.
    • Gruppe I L: Geheimer Meldedienst Luft.
    • Referat I Wi: Geheimer Meldedienst Wirtschaft.
    • Gruppe I G: Technische Abwehrmittel.
    • Gruppe I J.
    • Gruppe I HT.
    • Gruppe I TLW.
    • Referat I P: Presseauswertung.
    • Referat I i: Funknetz – Abw. Funkstelle.
  • Abteilung II (Abw.II): Sabotage und Sonderaufgaben
    • Gruppe II A: Chefbüro
    • Gruppe II West
    • Gruppe II Ost
    • Gruppe II Südost
    • Gruppe II Übersee
    • Gruppe II Technik/Laboratorium
  • Abteilung III (Abw.III): Spionageabwehr und Gegenspionage
    • Chef-Gruppe III A (Verwaltung und Registratur)
    • Gruppe III W. (Abwehr in der Wehrmacht)
      • Untergruppe III H (Heer)
      • Untergruppe III M (Marine)
      • Untergruppe III L (Luft)
    • Gruppe III C. (Abwehr Inland)
      • Untergruppe III C 1
      • Untergruppe III C 2
    • Gruppe III Wi. (Abwehr Wirtschaft)
    • Gruppe III D. (Sonderdienst)
    • Gruppe III F. (Gegenspionage/Abwehr Ausland)
    • Gruppe III G. (Gutachten)
    • Gruppe III N.
    • Gruppe III Kgf.
    • Gruppe III Org.
    • Gruppe III S. (Sabotageabwehr)
    • Gruppe III Z. (Zentralarchiv)
  • Abwehrstelle Ostland
    • Abwehrnebenstelle Reval (heute Tallinn)
      • Abwehrkommando 166 M
      • „Oran“
      • Referat Luft
      • Referat Marne
  • Abwehrstelle West

Leiter der Abwehr

Wilhelm Canaris von 1935 bis 1944 Leiter der Abwehr

Chef der Abteilung Ausland im Amt Ausland/Abwehr war von 1939 bis 1945 Vizeadmiral Leopold Bürkner.

Ausführungsorgane

Alleinige Ausführungsorgane der Abwehr waren bis 1938 die Abwehrstellen (Ast’en) mit den Abwehrnebenstellen (Anst’en) und den Außenstellen. Die Organisation der Abwehrstellen folgte dem Beispiel der Zentrale. So berichteten beispielsweise die Gruppen 1 einer Ast an die Abteilung 1 der Zentrale usw.

Abwehrstellen waren ausschließlich im Inland tätig. Jeder Wehrkreis erhielt eine Ast, die die Verantwortung für die Spionageabwehr und die Spionage im anliegenden Ausland trug.

Ohne Stützpunkte im Ausland war die Abwehr jedoch nicht in der Lage, ihre Aufgaben zu lösen. So wurde kurz vor Kriegsbeginn mit dem Aufbau der sogenannten Kriegsorganisation (KO) begonnen, personell schwach besetzten Dienststellen im neutralen europäischen und außereuropäischen Ausland.

Als weitere wichtige Ausführungsorgane kamen bei Kriegsbeginn die Abwehrkommandos und Abwehrtrupps hinzu. Sie erhielten später die Bezeichnung Frontaufklärungskommandos und –Trupps. Abwehrkommandos folgten der kämpfenden Truppe und sicherten Dokumente, verhafteten gegnerische Agenten, verhörten Kriegsgefangene und bauten Spionagenetze auf. Auch die Geheime Feldpolizei muss in den Einflussbereich der Abwehr gezählt werden.

Einsätze

In Polen gelang es 1939 Abwehragenten, Teile des oberschlesischen Industriegebietes vor dem Eintreffen regulärer deutscher Einheiten zu besetzen, was eine wirkungsvolle Zerstörung der Anlagen durch polnische Truppen verhinderte, so dass sie nahezu intakt den deutschen Truppen in die Hände fielen.[2]

Im besetzten Frankreich konnte die Abwehr in den 1940er Jahren alle wichtigen Résistance-Gruppen unterwandern. Mit Hilfe der Funkabwehr konnten Zehntausende von französischen Agenten und Widerstandskämpfern verhaftet werden. In der Operation „Englandspiel“ gelang es ihr, ab 1942 für 1,5 Jahre ein SOE-Agentennetz in Holland zu kontrollieren. Auffallend ist hingegen das beinahe vollständige Versagen der Abwehr in der Spionage gegen England und die USA. In schlecht geplanten Unternehmungen wurden über England Hauptleute und Majore als Spione mit dem Fallschirm abgesetzt, die dann in der Regel innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen von den englischen Behörden gefasst und erschossen wurden. Ab dem Jahr 1942 kam die sowieso schon geringe Aufklärung in den USA (siehe: Paul Borchardt) vollständig zum Erliegen.

Fehler der Abwehr

Die Abwehr konnte keine wirksamen Agentennetze in Großbritannien und USA aufbauen. Wenig erfolgreich war auch die Aufklärungsarbeit über die Sowjetunion. Obwohl Hitler schon wenige Tage nach seinem Amtsantritt der Wehrmacht seine Absicht, gegen dieses Land Krieg zu führen, bekannt gegeben hatte, wusste man in Deutschland zu Kriegsbeginn nur sehr wenig über die tatsächliche Stärke der Sowjetunion.

Ein schwerwiegendes Versagen der Abwehr war ihre falsche Einschätzung zur Sicherheit der Verschlüsselungsmaschine Enigma. Der britische Geheimdienst hörte sogar die Abwehr ab.

Literatur

  • Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Abwehrangehöriger (AGEA): Die Nachhut – Informationsorgan für Angehörige der ehemaligen Militärischen Abwehr 32 Hefte (1967–1975).
  • Karl Heinz Abshagen: Canaris, Patriot und Weltbürger. Stuttgart 1954.
  • Karl Glaubauf, Stefanie Lahousen-Vivremont: Generalmajor Erwin Lahousen-Vivremont. Ein Linzer Abwehroffizier im militärischen Widerstand. LIT Verlag, Münster 2005, ISBN 3-8258-7259-9.
  • Heinz Höhne: Canaris. Patriot im Zwielicht. C. Bertelsmann, München 1976, ISBN 3-570-01608-0.
  • Karl Bartz: Die Tragödie der deutschen Abwehr. Verrat oder Verantwortung? Pilgram Verlag, Salzburg 1955.
  • Julius Mader: Hitlers Spionagegenerale sagen aus. Berlin 1970.
  • Norbert Müller (Hg.): Das Amt Ausland-Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht. Eine Dokumentation (= Materialien aus dem Bundesarchiv, Heft 16), Bundesarchiv, Koblenz 2007, ISBN 978-3-86509-767-5.
  • Oscar Reile: Der deutsche Geheimdienst im Zweiten Weltkrieg. Augsburg/München 1990.
  • Oscar Reile: Geheime Westfront. Die Abwehr 1935-1945. Verlag Welsermühl, München/Wels 1962.
  • Oscar Reile: "Der deutsche Geheimdienst im II.Weltkrieg. Ostfront. Die Abwehr im Kampf mit den Geheimdiensten im Osten." Weltbild Verlag 1990, EAN 978-3893500680.
  • Hans Schafranek: Unternehmen „Nordpol“. Das „Englandspiel“ der deutschen militärischen Abwehr in den Jahren 1942–1944. In: Hans Schafranek/Johannes Tuchel (Hrsg.), Krieg im Äther. Widerstand und Spionage im Zweiten Weltkrieg. Picus-Verlag, Wien 2004.

Weblinks

Einzelbelege

  1. Heinz Höhne: Canaris. Patriot im Zwielicht. S. 188–190.
  2. Maier, Rohde: Das Deutsche Reich und der zweite Weltkrieg Band 2, DVA, Stuttgart, S. 116.

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