Civitas stipendiaria

Civitas stipendiaria

Cívitas (Plural: Civitates), wörtlich „Bürgerschaft“, ist das lateinische Wort für eine halbautonome Verwaltungseinheit der mittleren Ebene. Die civitates bestanden stets aus einem städtischen Zentrum nebst Umland und wurden meistens nach ihrem Hauptort oder dem zugehörigen Stamm benannt. Typisch für Civitas-Hauptorte sind repräsentative öffentliche Bauten wie Forum, Basilika (Verwaltungsgebäude am Forum), Theater, Tempel, Bäder, Wasserleitungen und Raststationen (mansiones). Die civitas verfügte in der Regel über einen Stadtrat (curia) und eigene Amtsträger, die für die lokale Verwaltung zuständig und Ansprechpartner der römischen Zentralgewalt waren. In den Grenzregionen waren an solchen Orten zumindest in ihrer Entstehungszeit oft wichtige militärische Einheiten, etwa Reitereinheiten (Alen), stationiert. Manche Civitas-Hauptorte, wie etwa das römische Rottweil (Ara Flaviae), waren zugleich Municipia, einige waren sogar Kolonien, wobei sich der Unterschied zwischen diesen beiden Formen zumindest in der Kaiserzeit nicht immer genau bestimmen lässt. Insbesondere im westlichen Teil des Imperiums gründeten die Römer vielfach gezielt städtische Siedlungen, da sich ihre Herrschaft auf urbane Strukturen stützte (im Osten griff man zu diesem Zweck auf die bestehenden poleis zurück).

Die civitates wurden in drei große Untergruppen gegliedert, wobei auch hier die genauen Merkmale nicht immer klar und wohl oft auf die jeweilige Anfangsphase der Beziehung zu Rom zurückzuführen sind. Man unterschied:

  • civitas stipendiaria (abgabepflichtige Gemeinde)
  • civitas foederata (verbündete Gemeinde)
  • civitas libera (freie Gemeinde)

Seit 212 n. Chr. besaßen dann fast alle römischen Städte mindestens den Rang eines Municipiums.

Inhaltsverzeichnis

Spätrömische Zeit

In der Spätantike wurden die Civitas-Hauptorte oft Bischofssitze, da die kirchliche Hierarchie im Westen sich nach dem Ende der Christenverfolgungen im 4. Jahrhundert nicht selten eng an staatliche Strukturen anlehnte. Teilweise haben so die Grenzen der Diözesen über die Stürme der Völkerwanderungszeit hinweg die alten Civitas-Grenzen konserviert. Ein Beispiel dafür ist in Deutschland das relativ kleine (und im frühen 19. Jahrhundert schließlich aufgelöste) Bistum Worms (lateinisch Borbetomagus), dessen Gebiet offenbar recht genau dem der alten Wormser civitas entsprach. Noch im 6. Jahrhundert gab es in Gallien und Italien zahlreiche civitates, wenngleich sich Charakter und Funktion offenbar vielfach gewandelt hatten.

Bekannte civitates in der Provinz Germania Superior

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass noch weitere civitates bestanden. Zu welcher civitas die Provinzhauptstadt Mainz (lateinisch Mogontiacum) gehörte, ist unbekannt. Es darf darüber spekuliert werden, ob die im Umfeld siedelnden Aresacer (ein Teilstamm der Treverer) eine eigenständige civitas verwalteten oder das Gebiet um Mainz eher militärisch oder direkt von dem Statthalter geleitet wurde. Wie die Gebiete im nördlichsten Teil der Germania Superior - dem Bereich um Confluentes (Koblenz) - gegliedert waren, ist ebenfalls unbekannt.

C. S. Sommer betrachtet auch das schweizerische Schleitheim (Iuliomagus) bei Schaffhausen an der von Windisch AG (Vindonissa) kommenden Süd-Nord-Straße als Zentrum einer Civitas. Hauptargument dafür ist die geographische Lage, eindeutige Funde fehlen dort bisher, ein recht großes römisches Bad belegt aber die Bedeutung der Siedlung, die mindestens ein Vicus (Kleinstadt bzw. Lagerdorf) war.

Nach der Entdeckung eines repräsentativen Verwaltungsgebäudes in Heidenheim an der Brenz (Civitas Aquileia) Ende der 1990er Jahre wird diskutiert, ob auch diese Stadt den Rang einer civitas hatte. Dafür wird angeführt:

  1. die Lage an einem Knotenpunkt von fünf Römerstraßen,
  2. die Größe der Siedlung von mindestens 15, eher 20 Hektar,
  3. die bedeutende Garnison der ala II flavia milliaria, einer Einheit mit über 1000 Pferden, die dann aber um 159 n. Chr. in das heutige Aalen verlegt wurde, und
  4. die räumliche Distanz zu anderen Civitas-Hauptorten.

Ein Verwaltungszentrum an diese Stelle wäre insofern logisch und sinnvoll gewesen.

Auch das römische Pforzheim (lateinisch portus) kann zeitweilig Hauptort einer civitas gewesen sein. Hier wurden im 3. Jahrhundert repräsentative Gebäude errichtet, und es liegt kein anderer Civitas-Hauptort in der näheren Umgebung.

Wahrscheinlich bestanden im heutigen Baden-Württemberg einige weitere civitates, vor allem im Oberrheingebiet und in Oberschwaben, deren römische Vergangenheit schlechter erforscht ist als die der näher am Limes gelegenen Gebiete weiter nördlich. Falls dort keine weiteren civitates bestanden haben sollten, müssten für die bekannten civitates sehr weite und wenig harmonische Grenzen angenommen werden.

Civitates der Westslawen

Der Begriff der civitas wurde von der deutschen mittelalterlichen Ethnographie auch verwendet, um Siedlungseinheiten der Slawen zu beschreiben (z.B. Bayerischer Geograph). Dabei ist oft unklar, mit welcher Bedeutung der mittelalterliche Schreiber den Begriff verwendet. In der wissenschaftlichen Diskussion existieren mehrere Deutungen:

- ein Siedlungsgefilde, in dem sich eine gentilgesellschaftlich organisierte Gruppe slawischer Siedler niedergelassen hat

- ein frühfeudal organisiertes Siedlungsgefilde mit einem politischen und militärischem Zentrum in Form einer Hauptburg

- eine frühstädtische Siedlung, oft befestigt, in der eine nicht vorrangig landwirtschaftlich tätige Bevölkerung lebt

- Grenzbezirke slawischer Stammesgebiete, die die zentrale Gefildelandschaft umschließen und primär militärische Aufgaben erfüllen

- zentrale Burganlage, eventuell mit dazugehöriger Vorburgsiedlung

Literatur

C. S. Sommer: Die städtischen Siedlungen im rechtsrheinischen Obergermanien. In: Die römische Stadt im 2. Jahrhundert n. Chr. Der Funktionswandel des öffentlichen Raumes (1992), S. 119 ff.


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