- Cochemer Modell
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Die als Cochemer Modell bezeichnete Arbeitspraxis (daher auch Cochemer Praxis) ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Personen und Institutionen, die am familiengerichtlichen Verfahren beteiligt sind. Im Interesse der Kinder sollen die Eltern trotz Trennung in die Lage versetzt werden wieder miteinander zu sprechen, statt zu streiten, und die Bindung des Kindes zu beiden Eltern zuzulassen. Dieses - vernetzte - Arbeitsmodell wurde im Moselort Cochem 1992 initiiert und zunächst dort umgesetzt, genießt jedoch inzwischen bundesweit Anerkennung.
Inhaltsverzeichnis
Ziele
Die Sichtweise des Kindes wird in den Mittelpunkt gestellt. Streitende Eltern sollen befähigt werden, ihre alleinige und untrennbare elterliche Verantwortung weiter selbst wahrzunehmen, statt diese den begleitenden Professionen zu überlassen. Eltern sollen in die Lage versetzt werden, wenigstens grundlegende Anliegen ihres Kindes miteinander zu besprechen.
Entstehung des Modells
In den neunziger Jahren veränderten sich die Anforderungen an die Jugendhilfe unter anderem durch
- Anwachsen der Scheidungsrate
- Unbefriedigende Sorgerechts- und Umgangsregelungen
- Verabschiedung des KJHG 1991 .
Aufgrund dieser Veränderungen ergaben sich für das Jugendamt die Notwendigkeit und der Wunsch zu einer koordinierteren Zusammenarbeit bei Trennungsfamilien. Die bereits bestehende gute Zusammenarbeit mit der Lebensberatungsstelle erleichterte nach In-Kraft-Treten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes Absprachen zwischen Jugendamt und Erziehungsberatung. Es wurde vereinbart, dass Sorgerechtsvereinbarungen und Stellungnahmen im Scheidungsverfahren ausschließlich Aufgabe des Jugendamtes bleiben. Tiefgreifende Konflikte um die Kinder werden in der Beratungsstelle bearbeitet. Da Familiengericht und Anwälte einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf des Trennungsprozesses haben, wurden Rechtsanwälte, Familienrichter und forensische Sachverständige zu einem Erfahrungsaustausch zum Thema "Wohl des Kindes bei Trennung/Scheidung" eingeladen. Eine weitere Zusammenarbeit wurde beschlossen. Damit begann 1993 der Cochemer Arbeitskreis mit Kompetenzen aus unterschiedlichen Disziplinen einen gemeinsamen Prozess, der seither als Arbeitskreis Trennung Scheidung seiner Arbeit, der die Kompetenzen aus unterschiedlichen Disziplinen in einem gemeinsamen Prozess bündelt und weiterentwickelt.
Der „Arbeitskreis-Trennung-Scheidung im Landkreis Cochem-Zell“ hatte zunächst zum Ziel, alle bei Trennung und Scheidung professionell beteiligten Institutionen und Personen gleichwertig miteinander ins Gespräch zu bringen, sowie deren Hilfsangebote und Arbeitsweisen bekannt zu machen. Richter, Rechtsanwälte, Mitarbeiter von Jugendämtern und Familienberatungsstellen sowie Psychologen waren gefordert, ein stärkeres Bewusstsein für die Problematik der minderjährigen Scheidungskinder zu schaffen. Man war schnell zu der Erkenntnis gekommen, dass durch gerichtliche Entscheidungen Konflikte zwar geregelt, aber selten gelöst werden können. Als effektives Instrument der Konfliktlösung wurde die Kooperation der verschiedenen Professionen entwickelt.
Beteiligte Professionen
- Rechtsanwälte
- Familienrichter
- Forensische Gutachter
- Sozialarbeiter, Sozialpädagogen des Jugendamts
- Psychologen, Sozialpädagogen der Lebensberatungsstelle
- weitere nach Bedarf im Einzelfall.
Arbeitsweise
Die Arbeitsweise zeichnet sich durch den Grundsatz der frühen Intervention aus:
- Rechtsanwälte beschränken sich in verfahrensleitenden Schriftsätzen auf den wesentlichen Sachvortrag, um eine Konfliktverschärfung zu vermeiden, der Schwerpunkt liegt auf mündlichem Vortrag in der Verhandlung.
- Gericht terminiert innerhalb von 14 Tagen nach Antragseingang.
- Mitarbeiter/innen des Sozialen Dienstes der Jugendämter nehmen Gerichtstermine wahr, nachdem sie zuvor mit der Familie Kontakt aufgenommen haben.
- Wird eine einvernehmliche Regelung nicht getroffen, werden die Eltern zur Beratungsstelle begleitet, die wiederum innerhalb von 14 Tagen Termine an diese vergibt.
- Sachverständige verpflichten sich zu lösungsorientiertem Arbeiten.
Im ersten Kontakt zum Anwalt werden die jeweiligen Elternteile bereits auf Beratungsangebote des Jugendamtes und der Lebensberatungsstelle hingewiesen, um eine Neuregelung der Elternverantwortung eigenverantwortlich und kindzentriert zu gestalten, bzw. die Eltern wenden sich mit zunehmender Tendenz unmittelbar an das Jugendamt oder die Beratungsstelle. Kommt es zu einem Scheidungsantrag, wird dieser vom Familiengericht an das Jugendamt als Information weitergeleitet und den Eltern wird von dort Beratung angeboten. Es wird auf eine außergerichtliche Vereinbarung zur Wahrnehmung der Elternverantwortung hingearbeitet.
Gelingt eine außergerichtliche Vereinbarung nicht, wird ein gerichtliches Verfahren eingeleitet. Die Anwälte schreiben nur kurze Anträge an das Familiengericht, welches innerhalb von 14 Tagen terminiert und das Jugendamt hiervon informiert. Das Jugendamt nimmt sofort Kontakt zu beiden Eltern auf. Eine schriftliche Stellungnahme gegenüber dem Familiengericht erfolgt nicht, da der Mitarbeiter des Jugendamtes an der mündlichen Verhandlung teilnimmt. Anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht wird in Zusammenarbeit der anwesenden Professionen mit den Eltern eine Lösung gesucht. Führt die Erörterung nicht zu einer konsensfähigen Lösung für das Kind, werden die Eltern vom Familiengericht erneut auf die noch notwendige Beratung verwiesen und von einem Mitarbeiter des Jugendamtes zur Beratungsstelle begleitet, wo sie je einen ersten Termin erhalten. Die mündliche Verhandlung wird unterbrochen und ein neuer Termin bestimmt.
Wenn die Beratung zu einer Lösung geführt hat, wird das Ergebnis dem Familiengericht mitgeteilt, damit das Verfahren abgeschlossen werden kann.
Sind die Eltern nicht bereit oder in der Lage, mit Hilfe der Beratung einen Konsens zu finden oder wird die Beratung abgebrochen, informieren die Beratungsstelle das Jugendamt und die Eltern ihre Rechtsanwälte. Diese beantragen einen Termin zur mündlichen Verhandlung. Das Gericht trifft, soweit erforderlich, Entscheidungen zur Regelung der Streitigkeiten, möglichst ohne eine Verhärtung der Fronten zu provozieren und zeitlich befristet, um immer wieder die Eltern selbst in die Verantwortung zu rufen. Wenn in einer zeitnahen, erneut mündlichen Verhandlung wiederum keine Einigung möglich ist, wird ein Sachverständiger bestellt. Gutachten werden lösungsorientiert mit den Eltern erarbeitet. Durch die Vernetzung der Professionen wird die Entwicklung des Verfahrens zum Wohl der Kinder eng begleitet, um Gefährdungen des Kindeswohls zu begegnen.
Literatur
- Jürgen Rudolph: Du bist mein Kind: die „Cochemer Praxis“- Wege zu einem menschlicheren Familienrecht. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2007. ISBN 978-3-89602-784-9
- Traudl Füchsle-Voigt/Monika Gorges: Einige Daten zum Cochemer Modell; Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 5-2008
- Traudl Füchsle-Voigt, Koblenz: Verordnete Kooperation im Familienkonflikt als Prozess der Einstellungsänderung:
- Theoretische Überlegungen und Praktische Umsetzung, FPR2004 Heft 11
Weblinks
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