De revolutionibus orbium coelestium

De revolutionibus orbium coelestium
Seite aus dem Manuskript
Originalausgabe von Johannes Petreius, Nürnberg 1543
Zweite Auflage, 1566, Basel

In seinem Buch "De Revolutionibus Orbium Coelestium" ("Von den Drehungen der Himmelskreise"), das 1543 in Nürnberg gedruckt wurde, beschrieb Nicolaus Copernicus ein mathematisch-naturphilosophisches Modell, gemäß dem sich die Planeten einschließlich der Erde um die Sonne drehen und sich die Erde um die eigene Achse dreht. Das Werk gehört zu den Meilensteinen der Astronomie in der Neuzeit und stellt ein Schlüsselwerk der Kopernikanischen Wende dar, die von Thomas Samuel Kuhn als Musterbeispiel für eine wissenschaftliche Revolution herangezogen wurde.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Um 1512 stellte Papst Leo X. die allfällige Kalenderreform zur Diskussion. Da die mittlere Länge eines Jahres im julianischen Kalender nicht genau der eines Sonnenjahres entsprochen hatte, hatte sich das Datum der Wintersonnenwende im Laufe der Jahrhunderte um zehn Tage verschoben. Der polnische Domherr Nikolaus Kopernikus äußerte hierzu, dass zuerst die astronomische Theorie berichtigt werden müsse, ehe man sich der Frage der Kalenderreform zuwenden könne.

Damals war man der Auffassung, dass sich die Planeten und die Sonne auf Kugelschalen befanden, die sich um die Erde drehten. Kopernikus fand heraus, dass die Annahme, dass sich die Planeten einschließlich der Erde auf Kugelschalen befinden, die sich um die Sonne drehen, ein einfacheres Verständnis der beobachteten Planetenpositionen erlaubt.

Dieses Modell ermöglicht ein unmittelbares Verständnis der retrograden Planetenbewegung und der Tatsache, dass sich Merkur und Venus nie weiter als bis zu einem Winkelabstand von 28° bzw. 48° von der Sonne entfernen. Es erfordert die Annahme, dass die Erde eine Kugel ist, die sich einmal am Tag um ihre Achse dreht.

Manuskript und Druckausgaben

Kopernikus hatte sein Modell bereits um 1509 mit dem Commentariolus einem kleinen Kreis von Fachleuten zugänglich gemacht. Er schrieb darin, dass die mathematischen Einzelheiten noch ausgearbeitet werden müssten.

Das Manuskript von De Revolutionibus hielt Kopernikus lange zurück. Es wird vermutet, dass er entweder fürchtete, sich mit einer derart absurden Theorie lächerlich zu machen, oder dass er der Auffassung war, es sei nicht opportun, solche Geheimnisse zu enthüllen. Johannes Schöner und Johannes Petreius beauftragten 1538 Georg Joachim Rheticus, der sich zu einem Studienaufenthalt in Nürnberg befand, Kopernikus in Frauenburg aufzusuchen und ihn zu überreden, sein Werk drucken zu lassen. Rheticus hielt sich von 1539 bis 1541 bei Kopernikus auf. 1540 gab er in der Narratio Prima die Ideen von Kopernikus vorab bekannt. Schließlich gelang es ihm, Kopernikus zum Druck und damit zur Veröffentlichung von De Revolutionibus zu überreden.

Dem Manuskript fügte Andreas Osiander, ein lutherischer Geistlicher, für die Drucklegung auf eigene Veranlassung ein anonymes Vorwort hinzu, wonach die heliozentrische Weltsicht weder wahr noch plausibel sein müsse, sondern lediglich den Nutzen habe, astronomische Berechnungen zu vereinfachen. Johannes Kepler entlarvte Osianders "Fälschung" anhand von Notizen im Exemplar des Nürnberger Astronomen Hieronymus Schreiber. Nachdem dieser 1547 in Paris verstorben war, war das Buch über Michael Mästlin zu Kepler gelangt.

Die ersten beiden Ausgaben hatten eine Auflage von 400 bis 500 Exemplaren, von denen noch ca. 258[1] bzw. 290[2] erhalten sind.

Nach der Erstauflage 1543 in Nürnberg durch Johannes Petreius wurde 1566 in Basel von Sebastian Henricpetri, einem Verwandten Petreius', eine wenig veränderte zweite Auflage gedruckt. Eine erste deutsche Übersetzng fertige Nicolaus Reimers (Raimarus Ursus) 1587 in Kassel für den Instrumentenbauer Jost Bürgi an, die als sogenannte Grazer Handschrift [3] [4] [5] erhalten ist. Auch Brahe und Kepler kannten diese. 1617 wurde in Amsterdam von Müller aus Göttingen noch eine dritte Auflage herausgegeben.

Im 19. Jahrhundert stieg das historische Interesse an seinem Wirken. 1854 erschien in Warschau eine Ausgabe mit polnischer Übersetzung und dem echten Vorwort von Kopernikus, 1873 in Thorn eine redigierte Ausgabe des dortigen Coppernicus-Vereins mit der deutschen Übersetzung von Menzzer.

Das Originalmanuskript vererbte Kopernikus an Tiedemann Giese. Von diesem gelangte es an Rheticus, der als Basis für den Druck nur eine Abschrift zur Verfügung gehabt hatte. Valentin Otho brachte es nach Heidelberg, dort signierte es Jakob Christmann, und Comenius erwarb es 1614. Danach lag es bis 1945 in der Bibliothek der Grafen von Nostitz-Rieneck in Prag. Im 19. Jahrhundert wurde es ausgewertet. Nach der Verstaatlichung der Prager Bibliothek kam es von 1945 bis 1956 zunächst in die staatliche Museumsbibliothek, nach Beilegung tschechisch-polnischer Differenzen übereignete die Tschechoslowakei 1956 das Manuskript an den polnischen Staat, der es seither in der Bibliothek der Jagiellonen-Universität in Krakau aufbewahrt, an deren Vorläufer Krakauer Akademie Kopernikus studiert hatte.

Inhalt

Kopernikus schrieb De Revolutionibus Orbium Coelestium ausdrücklich nicht für einen allgemeinen Gelehrtenkreis, sondern ausschließlich für Mathematiker und Astronomen. Ein Zitat aus seinem Werk lautet "Astronomie wird für Astronomen geschrieben" und auf dem Titelblatt steht in Griechisch das Motto der platonischen Akademie "Niemand, welcher der Geometrie unkundig ist, möge hier eintreten".

Das Papst Paul III. gewidmete Werk besteht aus sechs Teilen. In seiner englischen Übersetzung umfasst es 330 Textseiten, 100 Tabellenseiten und über 20.000 tabellierte Werte.

Im ersten Teil umreißt er das heliozentrische Weltbild in groben Zügen und modifiziert die aristotelische Naturphilosophie an den Stellen, an denen sie im Widerspruch zu diesem steht.

Laut Kopernikus besteht das Universum aus acht konzentrischen Kugelschalen ("Sphären"), in deren Mittelpunkt sich bewegungslos die Sonne befindet. Die äußerste Schale ist ebenfalls bewegungslos und enthält die Fixsterne. Die Planetensphären sind in der Reihenfolge Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn um die Sonne herum angeordnet. Der Mond umkreist die Erde und die scheinbare Bewegung der Himmelskörper um die Erde entsteht in Wirklichkeit durch eine Drehung der Erde um ihre eigene Achse.

Dass sich die Planeten auf Kreisbahnen um die Sonne bewegen, schrieb Kopernikus ihrer Natur zu. Dass Gegenstände zur Erde hin fallen, führte Kopernikus darauf zurück, dass sich Materieteilchen natürlicherweise zu Körpern verbünden. Dass keine Sternenparallaxe bekannt war, erklärte Kopernikus damit, dass die Fixsterne sich in einem mindestens zwanzigfach größeren Abstand von der Erde befänden, als man bisher angenommen habe. Was Kopernikus aber nicht erklären konnte, war der Umstand, dass fallende Körper von der sich drehenden und bewegenden Erde offensichtlich nicht zurückgelassen werden.

In den übrigen fünf Teilen formuliert Kopernikus die mathematischen Berechnungsmethoden, die sich aus der Annahme des Heliozentrismus ergeben. Die Abweichungen der beobachteten Planetenbahnen von den Kreisbahnen berücksichtigt Kopernikus durch Hilfskreise und Exzentrizitäten. So steht die Sonne laut Kopernikus nicht genau in der Mitte der Kreise, sondern leicht versetzt. Insgesamt ist sein in den Bänden zwei bis sechs dargelegter Formalismus derart komplex, dass von einer Vereinfachung gegenüber Ptolemäus nicht gesprochen werden kann.

Der zweite Teil stellt einen Grundlagenabschnitt dar, der die Prinzipien der sphärischen Astronomie beschreibt und eine Sternliste enthält. Der dritte Teil beschäftigt sich mit den scheinbaren Bewegungen der Sonne, der vierte mit denen des Mondes. Die beiden letzten Teile schließlich behandeln die Planetenbewegungen.

Das Werk ist in mittelalterlicher Tradition auch von Magie und Mystik durchdrungen. Folgendes Zitat wird häufig wiedergegeben:

„In der Mitte von allem thront die Sonne. Könnten wir, in diesem schönsten aller Tempel, den Lichtbringer an irgendeiner besseren Stelle platzieren, von der aus er das Ganze auf einmal zu erleuchten vermag ? Er wird zu Recht die Lampe, der Verstand, der Beherrscher des Universums genannt; Hermes Trimegistus nennt ihn den Sichtbaren Gott, und die Elektra des Sophokles heißt ihn den Allessehenden. So sitzt die Sonne auf ihrem königlichen Thron und regiert ihre Kinder, die Planeten, die sie umkreisen. ... Und in der Zwischenzeit wird die Erde von der Sonne begattet und geht mit ihrer jährlichen Wiedergeburt schwanger.“

Wirkung

Man vermutet, dass Kopernikus befürchtete, wegen seiner Theorie verspottet zu werden und an Ansehen zu verlieren, und dass er deshalb mit der Veröffentlichung so lange wartete. Man macht diese Vermutung unter anderem an folgendem Zitat fest:

„Möglicherweise wird es Schwätzer geben, die sich als Richter über astronomische Fragen aufspielen, obwohl sie davon überhaupt keine Ahnung haben, und, indem sie einige Bibelstellen zu ihren Zwecken auslegen, mein Werk für falsch halten und es zensieren werden. Diese schätze ich gering, so wie ich ihre Kritik als unbegründet zurückweise. Beispielsweise hat Lactantius, der ansonsten ein glänzender Autor, aber kein Astronom war, sich über diejenigen lustig gemacht, die glaubten, dass die Erde kugelförmig sei. Die Gelehrten sollten also nicht überrascht sein, wenn heute solche Personen sich ihrerseits über mich lustig machen. Astronomie wird für Astronomen geschrieben.“

Mit der tatsächlichen Wirkungsgeschichte hat sich Owen Gingerich ausführlich beschäftigt.

In Gelehrtenkreisen wurde das Buch mit Interesse aufgenommen und die neue Sichtweise fand zahlreiche Anhänger. Erasmus Reinhold verwendete die von Kopernikus angegebenen Berechnungsverfahren, um die Prutenischen Tafeln zu erstellen, die sowohl in die gregorianische Kalenderreform Eingang fanden als auch von Seefahrern verwendet wurden. Tycho Brahe und Johannes Kepler entwickelten das kopernikanische Weltbild weiter. Seit Keplers Entdeckungen war "De Revolutionibus" als Grundlage für neue astronomische Forschungen überholt.

Theologen verwarfen das neue Weltbild, da es an einigen Stellen im Widerspruch zu Bibel stand. Martin Luther, der Kopernikus als "Narren" beschimpfte, führte die in der Folge oft zitierte Bibelstelle Josua 10, 12-13 als Beweis für die Geozentrik ins Feld, Philipp Melanchthon wünschte sich ein Einschreiten der Obrigkeit gegen diese "Zügellosigkeit der Geister", schwächte seine Kritik aber später ab.

Seitens der katholischen Kirche verfasste der Dominikanermönch Giovanni Maria Tolosani eine Abhandlung, die das neue Weltbild verwarf. Die offizielle Amtskirche wurde aber zunächst nicht tätig.

Erst als Galileo Galilei für das heliozentrische Weltbild eintrat, beschäftigte sich die Inquisition unter der Leitung von Robert Bellarmin mit dem Werk. Dieser hielt es für gefährlich, den menschlichen Verstand über die göttliche Macht und den Wortlaut der Bibel zu stellen, solange nicht bewiesen sei, dass die Bibel falsch liege. Im Jahr 1620 forderte die Indexkongregation Korrekturen an dem Werk, in dem Sinne, daß der Hypothesencharakter der Theorie betont wurde. Wenn diese Korrekturen gemacht wurden, war die Verwendung des Werkes aber weiterhin erlaubt.[6] Dieses Gebot wirkte sich vor allem in Italien aus, Bibliotheken nördlich der Alpen ließen ihre Kopien meist unverändert.

Anmerkungen

  1. J. Hamel, Nicolaus Copernicus, Spektrum Akademischer Verlag 1994, S. 246.
  2. http://www.hps.cam.ac.uk/starry/coperbooks.html
  3. UB-Graz / Handschriftenkatalog / Katalogisat Nr.:560
  4. Nicolaus Copernicus Gesamtausgabe: De revolutionibus: die erste deutsche Übersetzung in der Grazer Handschrift [1]
  5. Jürgen Hamel: Die astronomischen Forschungen in Kassel unter Wilhelm IV. Mit einer wissenschaftlichen Teiledition der Übersetzung des Hauptwerkes von Copernicus 1586 (Acta Historica Astronomiae ; Vol. 2) Thun ; Frankfurt am Main : Deutsch, 1998; 2., korr. Aufl. 2002, 175 S., ISBN 3-8171-1569-5 (1. Aufl.), 3-8171-1690-X (2. Aufl.), Abb., 15 x 21 cm, kartoniert EUR 14,80 / sFr 23,10. Inhalt: HTML PDF
  6. J. Hamel, Nicolaus Copernicus, Spektrum Akademischer Verlag 1994, S. 279 ff.

Quellen

Sekundärliteratur

  • O. Gingerich: An annotated census of Copernicus' De revolutionibus (Nuremberg, 1543 and Basel, 1566). Leiden : Brill, 2002 ISBN 90-04-11466-1 (Studia copernicana. Brill's series; v. 2)
  • O. Gingerich: The Book Nobody Read : Chasing the Revolutions of Nicolaus Copernicus. New York : Walker, 2004 ISBN 0-8027-1415-3
  • J. Hamel, Nicolaus Copernicus, Spektrum Akademischer Verlag 1994.
  • N.M. Swerdlow, O. Neugebauer: Mathematical astronomy in Copernicus's De revolutionibus. New York : Springer, 1984 ISBN 0-387-90939-7 (Studies in the history of mathematics and physical sciences ; 10)
  • R.H. Vermij: The Calvinist Copernicans: The Reception of the New Astronomy in the Dutch Republic, 1575-1750. Amsterdam : Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, 2002 ISBN 90-6984-340-4 [2]
  • E. Zinner: Entstehung und Ausbreitung der coppernicanischen Lehre. 2. Aufl. durchgesehen und erg. von Heribert M. Nobis und Felix Schmeidler. München : C.H. Beck, 1988 ISBN 3-406-32049-X

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