- Deszendenzsysteme
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Die Erforschung von Deszendenzsystemen (auch: Abstammungssysteme, Filiation) ist ein Teilgebiet der Ethnosoziologie. Ein Deszendenzsystem ist ein kulturspezifisches Muster, nach welchem die Abstammungslinie(n) eines jeden Individuums definiert wird/werden. In der Regel kann sich ein Angehöriger einer Gesellschaft also nicht selbst aussuchen, auf welche(n) Vorfahren er sich zurückführt. Die jeweilige Abstammung kann über Gruppenzugehörigkeit, Erbschaft, Thronfolge und andere Dinge von Belange sein. Die verschiedenen Abstammungssysteme werden generell in unilineare und non-unilineare Systeme gegliedert:
Inhaltsverzeichnis
Unilineare Systeme
Der Großteil der verschiedsten Ethnien verwendet ein unilineares (einliniges) Deszendenzsystem (360 von 565 untersuchte Gruppen)[1]. Unilinearität bedeutet, dass diese Systeme in einem gewissen Kontext ihre Abstammung immer auf eine Linie, entweder die Patrilinie oder die Matrilinie beziehen. Man unterscheidet patrilineare, matrilineare, dulineale und parallele Deszendenz:
Patrilinearität
Patrilinearität (etwa: „System der Vaterschaftslinie“) bedeutet, dass jeweils der Vater für die Position der gemeinsamen Kinder verantwortlich ist, sowohl bei Söhnen als auch bei Töchtern. Erweitert man diesen Gedanken, ist der väterliche Großvater sowie dessen Vater alleiniger Verantwortlicher für die Gruppenzugehörigkeit seiner Nachkommen.
Da dieses System weit verbreitet ist, sind generelle Aussagen schwierig zu treffen - nicht jedes patrilineare System ist ein Patriarchat. Oft handelt es sich um Gesellschaften, die ihre Töchter früh verheiraten, um bei möglichen Schwangerschaften schon in frühem Alter zu wissen, wer der Vater und damit der für die Abstammung des Kindes Verantwortliche ist. Ebenfalls kennen patrilinear strukturierte Gesellschaften häufig ein Senioritätsprinzip: Erstgeborene stehen über ihren Geschwistern und Elterngenerationen über ihren Nachkommen. Häufig trägt die Frau im Haushalt die Verantwortung, während dem Mann die Repräsentation nach außen zusteht.
siehe auch Hauptartikel, Beispiele: Nuer, Bunyoro
Matrilinearität
Matriliearität (etwa: „Mutterschaftsprinzip“) bedeutet, dass die jeweilige Mutter ihre Position oä. an ihre Kinder weitergibt. Gemäß dem Spruch mater semper certa est wurde früher von Evolutionisten geglaubt, dass Matrilinearität eine frühere Entwicklungsstufe von Gesellschaften ist. Auch das Vorurteil, Matrilinearität sei das Spiegelbild der Patrilineariät, erwies sich als nicht korrekt: totale Matriarchate sind nicht bekannt, in matrilinaren Systemen ist die Macht immer geteilt.
In Matrilinien übernimmt oft ein Bruder der leiblichen Mutter die soziale Vaterrolle für ihre Kinder. Daher sind sie flexibler, wodurch eine höhere Scheidungsrate erkennbar ist.
siehe auch Hauptartikel, Beispiele: Irokesen, Trobriander
Dulinealität
Das dulineale (auch: bilineale, doppelte) Deszendenzsystem setzt sich aus Patri- und Matrilinarität zusammen. In gewissen Belangen (etwa materielles Erbe oder Gruppenzugehörigkeit) wird zum Beispiel gemäß der Patrilinearität gehandelt, in anderen Belangen gemäß der Matrilinearität.
Beispiel: Yakö, Ngaing
Parallele Abstammung
Dieses System findet man vor allem im südamerikanischen Amazonasgebiet. In diesem System überträgt die Mutter ihre Position auf ihre Töchter, der Vater seine auf die Söhne.
Non-unilineare Deszendenz
In dieser Gruppe ist die Abstammung nicht an eine vorgegebene Linie gebunden, beide Geschlechter sind in der Regel für die Abstammung von gleicher Bedeutung.
Bilaterale Deszendenz
Eine Person versteht sich als Nachkomme all seiner Vorfahren; es wird keine Linie hervorgehoben. Dies bedeutet zum Beispiel, dass man all seine acht Urgroßeltern als seine Vorfahren und Teil seiner Abstammungsgruppe sieht, und nicht, wie zum Beispiel bei der Patrilinearität, sich nur als Nachkomme des Vaters des väterlichen Großvaters definiert. Dieses System findet man zum Beispiel im deutschsprachigen Bereich, aber auch bei den Maori. Man sagt diesem System nach, dass es aufgrund seiner großen Anzahl an Vorfahren einer Gruppe keine große Tiefe zugesteht. Das bedeutet, dass in solchen Abstammungssystemen zwar in der Eltern-, Großeltern- und eventuell Urgroßeltern-Generation alle Angehörigen bekannt sind; im Gegensatz zu unilinearen Gesellschaften ist es jedoch selten, mehr als etwa sechs Angehörige einer Linie namentlich Stammbäume im Kopf zu haben.
Optative Deszendenz
In diesem System kann sich ein Ego eine eigene Abstammungslinie "aussuchen", und dabei auch Geschlechter beliebig mischen (z.B.: Vater-Mutter-Mutter...). Er ist an keine kulturspezifischen Vorgaben gebunden. Eine einmal gewählte Deszendenzlinie kann allerdings meist nicht mehr verändert werden.
Weblinks
- Skriptum zu einer Ethnosoziologie-Vorlesung der Universität Wien (PDF-Datei; 705 kB)
Einzelnachweise
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