Die Prinzessin von Clèves

Die Prinzessin von Clèves
Titelblatt der Erstausgabe des Romans, Paris 1678

Die Prinzessin von Clèves (franz. La Princesse de Clèves), auch Die Prinzessin von Cleve, ist ein historischer Roman von Marie-Madeleine de La Fayette. Er wurde 1678 in Paris anonym veröffentlicht. Als Verfasser vermutete man zunächst sowohl La Rochefoucauld, einen engen Freund der Autorin, der eine Autorschaft energisch abstritt, als auch Jean de Segrais, einen bekannten Literaten und zeitweiligen Sekretär der Autorin.

Die aus kleinerem Adel stammende Marie-Madeleine Pioche de la Vergne, die durch Heirat zur Gräfin de La Fayette avanciert war, verkehrte als „Ehrendame“ und Vertraute von Henrietta Stuart, der Gattin des jüngeren Bruders von König Ludwig XIV., des Herzogs Philipp von Orleáns, am königlichen Hof. Sie war eng befreundet mit dem ebenfalls schriftstellernden, jansenistisch geprägten Herzog von La Rochefoucauld und der als Briefautorin berühmten Madame de Sévigné. Über ihren früh verstorbenen Vater hatte sie schon in jungen Jahren Zugang erhalten zu preziösen literarischen Salons ihrer Zeit.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die Titelheldin, so sei vorausgeschickt, ist übrigens gar keine „Prinzessin“ im deutschen Sinne des Wortes, d.h. keine Tochter oder Schwiegertochter eines regierenden Fürsten. Sie ist vielmehr Gattin eines jüngeren Sohnes eines Herzogs (duc), der sich, da sein Bruder den Herzogstitel erbt, mit dem unspezifischen Titel „prince“ (=Fürst) zufriedengeben muss. Der gängige deutsche Buchtitel ist also eigentlich unzutreffend.

Der Roman spielt um 1560 am französischen Hof gegen Ende der Regierungszeit Heinrichs II. Er beginnt mit einer detaillierten Vorstellung des Hofes und der ihn bevölkernden Damen und Herren. Dieser für heutige Leser eher langatmige Vorspann war für das adelige und großbürgerliche Zielpublikum Madame de La Fayettes sicher hochinteressant, da dieses viele der aufgeführten Namen noch kannte und sich überdies zu Vergleichen mit dem Hof Ludwigs XIV. angeregt fühlen musste. Auch die für uns Heutige etwas verwirrende lange Geschichte der Schwierigkeiten, die sich bei der Suche nach einem Ehepartner für die Protagonistin ergeben, spiegelte eine für das genannte Publikum wohl bekannte Realität.

Die Handlung beginnt, als die 16-jährige Mademoiselle de Chartres mit ihrer jung verwitweten Mutter, der hochadeligen und reichen, aber sittenstrengen Madame de Chartres, aus der Provinz nach Paris kommt, wo sie zwecks Partnersuche für sie am Hof eingeführt werden soll. Gleich der erste Mann, dem sie, noch vorher in einem Juweliergeschäft, begegnet, der Prinz von Clèves, verliebt sich in sie, noch ohne zu wissen, wer das schöne junge Mädchen sein könnte. Nach ihrer Einführung am Hof finden sich sehr schnell Interessenten für sie, denn sie ist nicht nur hübsch, sondern auch „eine der besten Partien Frankreichs“. Doch werden die Bewerber teils von Mme de Chartres abgelehnt, teils von ihren eigenen Familien zurückgepfiffen. Die bestmögliche Partie mit einem jungen Verwandten des Königs wird von diesem persönlich auf Geheiß seiner Mätresse blockiert. Clèves, der trotz seiner Verliebtheit seine Sache schon verloren geglaubt hatte, da er nur jüngerer Sohn ist und damit keine optimale Partie, nutzt diese Situation und erklärt dem jungen Mädchen seine Liebe. Diese informiert die Mutter, die ihrer Tochter zu dem jungen Mann rät. Denn von seinem gesellschaftlichen Rang und seinem Besitz her kommt er durchaus in Frage und vor allem scheint er ihr trotz seiner Jugend ehrenhaft und charakterfest zu sein. Dass ihre Tochter ihn nur sympathisch findet und nicht mehr, beunruhigt sie nicht.

Die Ehe wird also geschlossen. Dem jungen Mann wird allerdings bald schmerzlich klar, dass seine Frau seine Gefühle nicht teilt, sondern nur ihre ehelichen Pflichten erfüllt. Dass sie ihm keinerlei Anlass zur Eifersucht gibt, sich vielmehr den Ruf absoluter Unnahbarkeit erwirbt, tröstet ihn wenig.

Auf einem Ball gerät die Prinzessin beim Tanz an den Herzog von Nemours, der gerade von einer Reise zurückkehrt und sie ebenso wenig kennt wie sie ihn. Für beide ist es Liebe auf den ersten Blick, die sich in den nächsten Tagen bei zahlreichen Begegnungen noch vertieft, ohne dass man sie sich eingesteht oder gar erklärt. Nemours, bis dahin ein galanter und erfolgreicher Herzensbrecher, ist wie ausgewechselt. Er sucht keine amourösen Abenteuer mehr, wirkt melancholisch und selbst eine vom König gewünschte und offenbar aussichtsvolle Bewerbung um die Hand der englischen Königin lässt er im Sand verlaufen. Die Prinzessin, die zum ersten Mal in ihrem Leben verliebt ist, wird in einen Strudel widerstreitender Gefühle gerissen. Zwar schätzt sie ihren Mann und ist entschlossen ihm treu zu bleiben, ganz im Sinne der Moralvorstellungen, die ihr die Mutter vermittelt hat, doch kreisen ihre Gedanken nur noch um Nemours. Obwohl sich die beiden in Gesellschaft häufig treffen, verbergen sie ihre Gefühle, auch wenn sie beide sie an winzigen, für Unbeteiligte kaum sichtbaren Signalen ablesen können.

Hin und her gerissen zwischen Vernunft und Leidenschaft, und um allen Versuchungen zu entgehen, zieht sich die Prinzessin auf ein Landschloss der Familie zurück und fleht Clèves an, sie dort zu lassen, was dieser aber wegen seiner gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht will. In einem Ausbruch von Verzweiflung gesteht sie ihm abends in einem Pavillon im Park ihre Liebe zu einem anderen Mann, gibt dessen Namen aber nicht preis. Der Verdacht des Prinzen fällt sofort auf Nemours, zumal ihm zugetragen worden ist, dass er sich zwei Tage auf einem Nachbargut aufgehalten hat.

Nemours, der in der Dunkelheit im Park herumgeschlichen ist, belauscht unfreiwillig das Gespräch und weiß sich nun geliebt. Im Überschwang seiner Freude erzählt er einem Freund von dem ungewöhnlichen Geständnis. Dieser erzählt es seiner Geliebten, die Geschichte verbreitet sich blitzschnell am Hof.

Der Prinz von Clèves, der seine Frau übermäßig liebt, hat zwar mit ihrer „Kälte“ leben können, ihre Liebe zu einem anderen bricht ihm aber das Herz. Er verfällt in Schwermut, erkrankt und stirbt wenig später.

Obwohl der Tod des Prinzen seine Frau für eine Ehe mit dem Herzog frei macht, zieht sie sich vom Hof zurück und bricht jeglichen Kontakt mit dem Herzog ab. In einem letzten Gespräch der beiden Liebenden begründet sie ihren Entschluss damit, dass es keinen Mann gäbe, dessen Liebe nicht in der Ehe erkalte, und der sich dann nicht anderen Frauen zuwende. Auch für sich selbst könne sie solch ein Verhalten nicht ausschließen. Einem Geliebten könne man in einem solchen Fall Vorwürfe machen, aber was könne man schon einem Ehemann vorwerfen, dessen einzige Schuld darin bestünde, keine Liebe mehr zu empfinden? „Monsieur de Clèves war vielleicht der einzige Mann, auf Erden, der seine Liebe auch in der Ehe bewahrt hat.“[1]

Rezeption

Der Roman war in Frankreich von Beginn an ein großer Publikumserfolg, die erste Auflage war kurz nach Erscheinen vollständig vergriffen. Er wurde in allen literarischen Salons der Zeit lebhaft diskutiert, wobei neben der Frage nach dem anonymen Autor vor allem das als schockierend empfundene Geständnis der Protagonistin an ihren Ehemann im Mittelpunkt des Interesses stand. Der Mercure Galant, das vielgelesene Gesellschafts- und Kulturmagazin der damaligen Zeit, in dem Fragen von Kunst, Literatur und Mode diskutiert und auch die neusten Gesellschaftsnachrichten kolportiert wurden, widmete dem Roman, der zwar in schon fernen Zeiten spielte, jedoch die Gesellschaft des zeitgenössischen Lesers widerspiegelte, eine Leserumfrage. Probleme und Charaktere waren für Aristokratie und die literarischen Salons der Zeit typisch. Anstoß nahmen die Leser an dem ungewöhnlichen Geständnis und dem folgenden Verzicht der Prinzessin.

Nachhaltig war seine Wirkung auf den französischen Roman des 18. und 19. Jahrhunderts. Das Buch gilt als frühes Beispiel eines psychologischen Romans, der gleichzeitig ein Panorama einer konkreten Gesellschaft entfaltet und nicht mehr – wie die Vorgänger des Genres – in einem märchenhaften, fantastischen Milieu mit ebenso märchenhaften Helden und heroischen und übersteigerten Affekten angesiedelt ist, sondern das Augenmerk auf die subtilen Regungen des Herzens richtet.

Das Vorbild der Prinzessin von Clèves hatte, wie es Niklas Luhmann ausdrückt, einen "Schweif von Entsagungsromanen" [2] zur Folge, zum Beispiel die wenig später entstandenen Romane einer Marquise de Tencin, es war wirksam bis zur Manon Lescaut des Abbé Prévost oder den Gefährlichen Liebschaften des Choderlos de Laclos. Stendhal, selbst ein Meister in der Analyse von Verwirrungen und Winkelzügen der Liebe und scharfer Beobachter der Gesellschaft seiner Zeit, hat die „göttliche Prinzessin von Clèves“[3] hochgeschätzt.

Die Prinzessin von Clèves war einer der Lieblingsromane des früh verstorbenen Raymond Radiguet. In seinem Roman Der Ball des Conte d’Orgel nimmt er das Hauptmotiv wieder auf, das Geständnis einer Frau, die ihrem Ehemann ihre Leidenschaft für einen anderen Mann gesteht, mit verhängnisvollen Konsequenzen, die daraus für alle Beteiligten entstehen.

Der Roman wurde auch zu einem Symbol der französischen Hochschulbewegung. Nicolas Sarkozy hat Spott und Hohn über den Roman vergossen, als er z. B. äußerte, dass diese Art Lektüre den Schalterbeamten nichts bringen könnte, und dass bloß „Sadisten und Dummköpfe“ [4] dieses Buch empfehlen. Aus Protest lasen am 16. Februar Lehrer und Studenten den Roman in einem Stück vor dem Panthéon vor, 6 Stunden lang [5].

Filme

Der Roman war Grundlage für mehrere Kinofilme. 1961 schrieben Jean Cocteau und Jean Delannoy, der auch Regie führte, das Drehbuch zu dem Film La Princesse de Clèves mit Marina Vlady, Jean-François Poron und Jean Marais in den Hauptrollen. Es folgten 1999 der Film La Lettre des portugiesischen Regisseurs Manoel de Oliveira,mit Chiara Mastroianni als Prinzessin, dann 2000 La Fidélité von Andrzej Zulawski mit Sophie Marceau und schließlich 2008 La Belle Personne von Christophe Honoré mit Louis Garrel, Léa Seydoux und Grégoire Leprince-Ringuet.

2009/11 drehte der französische Regisseur Régis Sauder einen Dokumentarfilm am Lycée Denis Diderot in einem Marseiller Problemviertel, dessen Schüler zum größten Teil Franzosen der ersten und zweiten Generation sind. Sauder filmte die Schüler und Schülerinnen bei der Lektüre des Romans, beim Nachspielen von Dialogen und beim stillen Zuhörern im Klassenraum, als eine Stimme aus dem Off Passagen des Textes rezitiert und dokumentiert ihre Kommentare zum Film. Das überraschende Ergebnis des Filmprojekts ist, dass die Jugendlichen aus unterschiedlichsten Herkunftsländern und einem sozial benachteiligen Milieu "sich mühelos in den Romanfiguren [wiedererkennen]". [6] Die "verhinderte Liebesgeschichte" spricht viele der Mädchen und Jungen direkt an, Mädchen, die nicht "dem Ruf ihres Herzens folgen dürfen", Jungen, denen Liebesbeziehungen zu Jungen verboten sind. Vertraut ist ihnen die Übermacht der Eltern, das Gefühl, in einem Käfig gefangen zu sein, aus dem es kaum ein Entkommen zu geben scheint, es sein denn ein erfolgreich bestandenes Bac. "Die Entdeckung des Vertrauten im Fremden muss nicht, kann jedoch positive Auswirkungen auf das vielbemühte «Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft haben»", ist auch ein - politisches - Fazit des Films. [7]

Ausgaben

Der Text wurde mehrfach ins Deutsche übersetzt:

  • anonym als "Liebesgeschichte des Hertzogs von Nemours und der Printzesin von Cleve" 1711
  • F. Schulz 1790
  • S. Mereau 1799
  • Paul Hansmann 1913
  • Eva u. Gerhard Hess 1946
  • Emil Lerch 1947
  • Hans Broemser 1948
  • Ferdinand Hardekopf 1954
  • Hans Broemser u. Gerda von Uslar 1958
  • Julia Kirchner 1967
  • Marie-Madeleine de La Fayette: Die Prinzessin von Clèves. („La princesse de Clèves“). Übersetzt von E. und G. Hess, Reclam, Stuttgart 1999 u. ö. ISBN 3-15-007986-1

Literatur

  • Ernst Merian-Genast: Madame de La Fayette. Leben und Werk. In: Madame de La Fayette: Die Prinzessin von Clèves und die Prinzessin von Montpensier. Manesse, Zürich 1957
  • Alain Cantillon: La Princesse de Clèves. Mme de La Fayette. Reihe: Balises, Série Oeuvres #6. Nathan, Paris und Klett, Stuttgart ISBN 9782091886015 ISBN 3125310334[8]
  • Jean Garapon: Profil d'une oeuvre: Madame de La Fayette, La princesse de Clèves. Reihe Profil Littérature, 112. Hatier, Paris ISBN 2218036274 [9]
  • Jean Firges: Madame de La Fayette. Die Prinzessin von Clèves. Die Entdeckung des Individuums im französischen Roman des 17. Jahrhunderts. Exemplarische Reihe Literatur und Philosophie, 9. Sonnenberg, Annweiler 2001 ISBN 9783933264169[10]

Weblink

Einzelnachweise

  1. Madame de La Fayette: Die Prinzessin von Cleves. Zürich 1957. S. 281–282.
  2. Niklas Luhmann: Liebe als Passion. Frankfurt a.M. 1982. S. 12.
  3. Brief von Stendhal an Balzac, 1840, zitiert nach Arthur Schurig: Nachwort zu Stendhals „Karthause von Parma“. 1920
  4. "Un sadique ou un imbécile", Rede in Lyon am 23.Februar 2007
  5. Lecture-Marathon de la Princesse de Clèves devant le Panthéon.[1], [2]
  6. NZZ
  7. NZZ [3]
  8. kapitelweise Interpretation mit Zitaten von wichtigen Absätzen; Zeittafel mit einer Synopse des Lebens La F.'s und der französischen Geschichte; Liste aller handelnden Personen. In Französisch
  9. beigefügt sind auf diesen Roman bezogene Zitate von Honoré de Balzac (La duchesse de Langeais), von Paul Claudel (Partage de midi) und von Raymond Radiguet (Le bal du comte d'Orgel). Interview mit Marcel Bozonnet, der eine szenische Adaption gefertigt hat. In frz. Sprache
  10. Eine Interpretation. Der erste 'moderne' Roman, eine Dreiecksgeschichte am Hof Heinrichs II. und Katharinas von Medici. Die Titelheldin entdeckt im Gegensatz von Pflicht und Neigung die Widersprüchlichkeit ihres eigenen Ichs

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