Die Spurlosen

Die Spurlosen

Die Spurlosen ist ein Hörspiel von Heinrich Böll, das am 8. November 1957 im NDR und vier Tage darauf im SWF gesendet wurde. Noch im selben Jahr brachte der Verlag des Hans-Bredow-Instituts in Hamburg die gedruckte Fassung heraus.[1]

Kaplan Brühl soll das Geheimnis der Spurlosen lüften. Der Geistliche widersetzt sich aus gutem Grund der Obrigkeit.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Anno 1957: Über Nacht ist der 41-jährige Kaplan Brühl verschwunden. Dem Anschein nach wurde er gerufen, um einem Sterbenden die Sakramente zu spenden. Der Kaplan könnte auch - so vermutet der Kriminalpolizist Kleffer - mit Einbrechern, die Spurlosen genannt, unter einer Decke stecken. Diese haben bereits zum dritten Mal in der Stadt die Centralbank um Gold erleichtert.

Es stellt sich aber heraus, der Kaplan hat mit der „Einbrecherbande“ überhaupt nichts zu tun. Der „Sterbende“, zu dem er tatsächlich gerufen wurde, ist eine Frau. Und der Geistliche wurde nicht „gerufen“, sondern mit sanfter Gewalt in ein Haus entführt, in dem sich die Spurlosen verstecken. In dem Haus wurde der Kaplan aus „Sicherheitsgründen“ zwei Tage festgehalten. Die „Sterbende“ heißt Frau Marianne Kröner. Ihr Ehemann - der Einbrecher Kröner - vermutet, Marianne sei an den Tatort mitgekommen, weil ihr an ihrem Aufenthaltsort am Ufer des Atlantik (wahrscheinlich nördlich von Rio de Janeiro) der geistliche Beistand fehlt. Kröner hat sicherlich Recht. Denn Marianne erholt sich in den genannten zwei Tagen, so dass sie hernach mit der „Bande“ ihres Gatten die Flucht in Richtung Rio ergreifen kann. Mit den Verbrechern hat es folgende Bewandtnis: Bei den Herrschaften handelt es sich um die Besatzung eines U-Bootes der Wehrmacht, das 1944 spurlos verschwand. Die Besatzung hatte 1944 an der dänischen Küste heimlich ihre Frauen und Kinder aufgenommen, war geschlossen desertiert und hatte fortan dort an der südamerikanischen Küste ein Robinson-Dasein gefristet. Die wirtschaftliche Basis dieser Existenz bildeten jene drei Einbrüche, die auch möglich wurden durch den Insider Dr. Krum, Mitglied der „Bande“.

Aber darum geht es in Bölls Hörspiel nicht so sehr. Es geht eigentlich um Marianne - Stellvertreterin für den einsamen Menschen - der die geistliche Fürsorge schmerzlich vermisst, sogar ohne diese nicht mehr länger leben kann. Verursacht hat das Robinson-Dasein Mariannes freilich der Nazi-Staat, der sie und die Ihren mit dem Krieg ins Unglück gestürzt hat. Mariannes Ehemann bleibt nur der Hass auf jene, die ihm im Krieg die Zerstörungsbefehle gaben und die nun in der Heimat mit Erfolg die braven Bürger, die Unschuldslämmer, spielen.[2] Dazu passt Mariannes Haltung, die nicht in Deutschland bleiben kann. Denn „alle, die ich liebte, sind tot, und die ich nicht liebte, leben.“[3]

Böll klagt 1957 einige Stützen der deutschen Nachkriegsgesellschaft an, die offenbar aus der jüngsten Geschichte wenig oder aber auch gar nichts dazugelernt haben. Jene Anklage legt er Kröner und seiner Frau Marianne in den Mund (s.o.). Diese Beschuldigung wird noch untermauert mit der Haltung des Kaplan Brühl. Dieser hat volles Verständnis für die „Einbrecherbande“ und ihre Familien. Zwar gibt er Mariannes Drängen, den „Einbrechern“ an ihren atlantischen Sandstrand zu folgen, nicht nach. Hat er doch daheim genug Problemfälle seelsorgerisch zu betreuen. Aber er lässt sich vom Kriminalpolizisten Kleffer lieber ins Gefängnis stecken, als dass er mit einem Wort die flüchtenden Spurlosen verrät.

Rezeption

  • Bernáth bespricht eine der Kardinalfragen dieses Hörspiels: „Wer ist böser…, die Ausgeraubten oder die Räuber?“[4]

Ausgaben

  • Heinrich Böll: Die Spurlosen. Mit einem Nachwort von Rudolf Walter Leonhard. Hamburg 1957.
  • Heinrich Böll: Die Spurlosen. Drei Hörspiele. Leipzig: Insel-Verlag, 1966.

Literatur

  • Árpád Bernáth: „Heinrich Böll als Hörspiel- und Dramenautor“, in: Bernd Balzer (Hrsg.): Heinrich Böll 1917-1985 zum 75. Geburtstag. Bern: Peter Lang, 1992, S. 61-88 . ISBN 3-906750-26-4
  • Werner Bellmann (Hrsg.): Das Werk Heinrich Bölls. Bibliographie mit Studien zum Frühwerk. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1995. ISBN 3-531-12694-6
  • Gero von Wilpert: Lexikon der Weltliteratur. Deutsche Autoren A-Z. Stuttgart 2004, S. 68. ISBN 3-520-83704-8

Weblinks

  • Heinrich Böll - Kölner Ausgabe Bd.6

Einzelnachweise

  1. Bellmann, S.146, Eintrag 1957.9
  2. Heinrich Böll: Die Spurlosen (1966), S. 96 Mitte
  3. Heinrich Böll: Die Spurlosen (1966), S. 101, 6. Z.v.o.
  4. Bernáth , S. 81, 9. Z.v.o.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Die verlorene Ehre der Katharina Blum — oder Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann ist eine 1974 erschienene Erzählung von Heinrich Böll. Die Erzählung beschreibt, wie eine bisher unbescholtene Frau wegen ihrer Freundschaft zu einem Straftäter Opfer der menschenverachtenden… …   Deutsch Wikipedia

  • Die Waage der Baleks — ist eine Erzählung von Heinrich Böll (1917 1985), die zum Schulbuch Klassiker wurde. Erstmals veröffentlicht wurde sie 1953 (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Juni 1953). Inhalt Die Waage der mächtigen Unternehmerfamilie Balek von Bilgan, mit… …   Deutsch Wikipedia

  • Die schwarzen Schafe — ist eine satirische Kurzgeschichte, für deren Lesung der damals noch unbekannte Autor Heinrich Böll den Literaturpreis der Gruppe 47 auf der Zusammenkunft Anfang Mai 1951 in Bad Dürkheim[1] gewann[2]. Am 12. Juni desselben Jahres wurde die kleine …   Deutsch Wikipedia

  • Die Verwundung und andere frühe Erzählungen — Der Band Die Verwundung und andere frühe Erzählungen von Heinrich Böll erschien im September 1983 im Lamuv Verlag in Bornheim Merten[1]. Die 22 Erzählungen dieser Sammlung entstanden zwischen 1947 und 1952 sind hauptsächlich Mahnung an die… …   Deutsch Wikipedia

  • Die Verschwundenen — Homenaje a los desaparecidos, Skulptur zum Gedenken an die Opfer der Diktatur in Buenos Aires Desaparecidos (span. die Verschwundenen) ist eine in vielen Ländern Mittel und Südamerikas übliche Bezeichnung für Menschen, die von Sicherheitskräften… …   Deutsch Wikipedia

  • Die Grube des Grauens — Filmdaten Deutscher Titel Die Grube des Grauens Originaltitel The Pit Prod …   Deutsch Wikipedia

  • Die Taube auf dem Dach — Filmdaten Originaltitel Die Taube auf dem Dach Produktionsland Deutschland …   Deutsch Wikipedia

  • Richtlinien für die Verfolgung von Straftaten gegen das Reich oder die Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten — Der später so genannte Nacht und Nebel Erlass war ein „Führererlass“ des Deutschen Reiches, verordnet am 7. Dezember 1941 als geheime Richtlinien für die Verfolgung von Straftaten gegen das Reich oder die Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten …   Deutsch Wikipedia

  • Special Unit 2 - Die Monsterjäger — Seriendaten Deutscher Titel: Special Unit 2 – Die Monsterjäger Originaltitel: Special Unit 2 Produktionsland: USA Produktionsjahr(e): 2001 Episodenlänge: etwa 45 Minuten Episodenanzahl …   Deutsch Wikipedia

  • Special Unit 2 – Die Monsterjäger — Seriendaten Deutscher Titel: Special Unit 2 – Die Monsterjäger Originaltitel: Special Unit 2 Produktionsland: USA Produktionsjahr(e): 2001 Episodenlänge: etwa 45 Minuten Episodenanzahl …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”