- Gruppenbild mit Dame
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Gruppenbild mit Dame ist ein Roman von Heinrich Böll aus dem Jahr 1971. Das Erscheinen dieses Romans gab den Ausschlag, dass Böll 1972 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde.[1]
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Der als Verf. bezeichnete Erzähler rekonstruiert anhand von Gesprächen mit Zeitzeugen und hinterlassenen Zeugnissen das Leben der Leni Pfeiffer. Der Roman ist eine Art poetische Dokumentation; man spricht auch von pseudodokumentarischer Konstruktion. Die meisten Dokumente sind fiktiv, aber es sind auch zahlreiche authentische Dokumente verarbeitet, u.a. aus den Akten der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse (u.a. in Kapitel 8). Die Kriegsprosa Alois Pfeiffers (in Kapitel 4) stammt aus folgendem Werk: Kampferlebnisse aus dem Kriege an der Westfront 1940. Nach Schilderungen von Frontkämpfern hrsg. vom Generalstab des Heeres, Berlin 1941. – Böll selbst sagte im Juni 1971 zu seinem Roman: „Die Idee zu diesem Buch hat mich schon sehr lange beschäftigt, wahrscheinlich schon bei den meisten Romanen und Erzählungen, die ich bisher geschrieben habe. Ich habe versucht, das Schicksal einer deutschen Frau von etwa Ende Vierzig zu beschreiben oder zu schreiben, die die ganze Last dieser Geschichte zwischen 1922 und 1970 mit und auf sich genommen hat.“ Eine wichtige Rolle spielen der Luftkrieg sowie die Eroberung der Stadt – in der die Zentralfigur Leni Pfeiffer lebt – durch die Amerikaner am Ende des Zweiten Weltkriegs (aus vielen Details ist unschwer zu erkennen: Die zentralen Kapitel spielen in Bölls Heimatstadt Köln). Im September 1969 erklärte Böll in einem Rundfunkinterview: „Der eigentliche Aspekt des Krieges war für mich die Bombardierung der Städte. Das war vollkommener Irrsinn. Die Frauen und Kinder in den Städten hatten es ja viel, viel schlimmer als sogar ein Soldat an der Front.“
Die Zentralfigur Leni Pfeiffer, geborene Gruyten, ist eine intelligente und gutherzige aber ungebildete Frau. Ihre Familie zählt zu Beginn der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zu den Gewinnern dieser Zeit. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wird ihre Familie von mehreren Schicksalsschlägen getroffen, und Leni ist schließlich fast auf sich selbst gestellt. Gegen Ende des Krieges arbeitet sie in einer Kranz- und Blumenbinderei und lernt dort den sowjetischen Kriegsgefangenen Boris Lvović Koltowski kennen. Die beiden beginnen, obwohl dies verboten und außerordentlich gefährlich ist, eine Liebesbeziehung, und Leni gebiert kurz vor Ende des Krieges ein Kind von Boris. Dieser gerät durch unglückliche Umstände als deutscher Kriegsgefangener in ein alliiertes Kriegsgefangenenlager und stirbt in einem französischen Bergwerk. – Die Schlusspartien des Romans spielen in der Nachkriegszeit und erzählen unter anderem von der Partnerschaft Lenis mit dem türkischen Gastarbeiter Mehmet. Diese Beziehung steht in Parallele zur zentralen Romanepisode: der Liebe Lenis zu dem russischen Kriegsgefangenen Boris, die ihr die Verunglimpfung „blonde Sowjet-Hure“ eingetragen hat. Leni zeigt sich unberührt von gesellschaftlichen Tendenzen, bestimmte Personengruppen auszugrenzen und „abfällig“ zu behandeln. „Abfall“ und „Abfälligkeit“ sind nach Aussage des Autors Schlüsselwörter des Romans.
Die Verfilmung
Das Buch wurde 1976/77 mit Romy Schneider als Leni Gruyten/Pfeiffer und Brad Dourif als Boris Koltowski verfilmt. Zum Ensemble gehörten ferner Vadim Glowna, Richard Münch, Witta Pohl, Kurt Raab, Otto Sander und Bettina Kenter. Regie führte der Jugoslawe Aleksandar Petrović, der 1967 für seinen Film Ich traf sogar glückliche Zigeuner bei den Festspielen in Cannes den Großen Preis erhalten hatte. Am Drehbuch hat Böll mitgearbeitet, sich dann aber nicht mehr um das Projekt gekümmert, was vor allem die Hauptdarstellerin heftig kritisierte und beklagte. Die Uraufführung fand am 26. Mai 1977 bei den Filmfestspielen in Cannes 1977 statt.
Die Kritik war überwiegend negativ. Beispielhaft dafür steht die fundierte Besprechung von Ruprecht Skasa-Weiß, der die Mängel unter dem Titel Kopf-Salat statt Gruppenbild deutlich benannte.[2] Hellmuth Karasek schrieb: „… cineastischer Anstrengungsschweiß … eine Schnulze … nach ‚Briederchen‘-Manier à la Ivan Rebroff … ins unfreiwillig Groteske … teils aus Scham, teils aus ambitioniertem Unvermögen … beklemmend typischer Fall eines Kinounternehmens, das … von Eitelkeit angetrieben scheint und daher anstelle von Realität dauernd nur das eigene Imponiergehabe vermittelt … kein Operetten-Abziehbild ist ausgelassen … Romy Schneider [ist] in dem Film so zu Hause wie Heinrich Böll im Crazy Horse …“[3]
Für den Zuschauer vorstellbar herausgearbeitet sind die Schicksale der Männer in der Familie Gruyten, also das Schicksal des Vaters und das der Brüder Lenis. Sogar Schicksale von Nebenfiguren, wie z. B. das des Inhabers der Kranz- und Blumenbinderei, ein Spitzel der Alliierten, bleiben im Kopf des Zuschauers haften. Dasselbe trifft für die männliche Hauptfigur, den Russen Boris, zu. Ganz anders sieht es mit Leni aus. Obwohl Romy Schneider die Hauptdarstellerin ist, bleibt ihr Auftritt beinahe hintergründig. So bereitet z. B. dem Durchschnitts-Zuschauer die Frage erhebliches Kopfzerbrechen, was Lenis Geschichte mit den eingangs intensiv gespielten Szenen im und um das Nonnenkloster zu tun haben soll. Überhaupt wird am Anfang und am Ende des Films manches getan, um den Zuschauer zu desorientieren – ganz zum Schluss treten alle im Krieg umgekommenen männlichen Akteure des Films zusammen mit der ergrauten Leni kurz auf. Weil dieser Film aber ein Kunstwerk ist, kommt der Zuschauer nach einigem Besinnen darauf, was die letztgenannte Szene bedeutet: Gruppenbild mit Dame.
Literatur
Ausgaben
- Böll, Heinrich: Gruppenbild mit Dame. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1971, 400 Seiten (Erstausgabe); Abb. → [1].
- heute lieferbar: dtv-Taschenbuchausgabe.
- Wichtige Informationen zu Gruppenbild mit Dame sind enthalten in: Heinrich Böll – Dieter Wellershoff: Gruppenbild mit Dame. Ein Tonband-Interview. In: Akzente 18 (1971) H. 4. S. 331-346.
Rezensionen
- Karl Korn: Heinrich Bölls Beschreibung einer Epoche. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 171. 28. Juli 1971.
- Joachim Kaiser: Mitleidiger Naturalismus und mystische Vision. Heinrich Bölls neuer Roman: "Gruppenbild mit Dame". In: Süddeutsche Zeitung. Nr. 182. 31. Juli/1. August 1971.
- Marcel Reich-Ranicki: Nachdenken über Leni G. Heinrich Bölls neuer Roman "Gruppenbild mit Dame". In: Die Zeit. Nr. 32. 6. August 1971. S. 13.
- Wolfram Schütte: Häretische Marienlegende, kräftig abgedunkelt. Heinrich Bölls neuer Roman "Gruppenbild mit Dame". In: Frankfurter Rundschau. Nr. 180. 7. August 1971.
Forschungsliteratur
- Manfred Durzak: Heinrich Bölls epische Summe? Zur Analyse und Wirkung seines Romans "Gruppenbild mit Dame". In: Basis. Jahrbuch für deutsche Gegenwartsliteratur 3 (1972) S. 174-197.
- Hans Joachim Bernhard: Die Romane Heinrich Bölls. Gesellschaftskritik und Gemeinschaftsutopie. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. Berlin 1973. (Zu "Gruppenbild mit Dame": S. 335-381.)
- Renate Matthaei (Hrsg.): Die subversive Madonna: ein Schlüssel zum Werk Heinrich Bölls. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1975. [Eine Sammlung von Aufsätzen zu Gruppenbild.] ISBN 3-462-01046-8
- Jochen Vogt: "Gruppenbild mit Dame". In: Heinrich Böll. Romane und Erzählungen. Interpretationen. Hrsg. von Werner Bellmann. Reclam, Stuttgart 2000. S. 222-248. ISBN 3-15-017514-3
- Werner Bellmann: Heinrich Böll, Gruppenbild mit Dame. Erläuterungen und Dokumente. Reclam, Stuttgart 2002. ISBN 3-15-016028-6
- Werner Bellmann: Die Akten der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse als Quelle für Heinrich Bölls Roman "Gruppenbild mit Dame". In: Euphorion 97 (2003) H. 1. S. 85-97.
- Bibliographie der Forschungsliteratur: http://www2.uni-wuppertal.de/FBA/germanistik/Bellmann/Teilbib.htm#BM6_Gruppenbild
Weblinks
- Gruppenbild mit Dame in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
Einzelnachweise
- ↑ Presseerklärung zur Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Heinrich Böll 1972
- ↑ Kopf-Salat statt Gruppenbild. Heinrich Bölls Roman – jetzt als Film, in: Stuttgarter Zeitung, Nr. 123, 31. Mai 1977.
- ↑ Film: Im Rasierspiegel, Der Spiegel, 6. Juni 1977.
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