Die gierigen Dinge des Jahrhunderts

Die gierigen Dinge des Jahrhunderts

Die gierigen Dinge des Jahrhunderts (russisch Хищные вещи века/ Chischtschnyje weschtschi weka; wiss. Transliteration Chiščnye vešči veka) ist ein Science-Fiction-Roman der Gebrüder Arkadi und Boris Strugazki aus dem Jahre 1965.

Inhalt

Der aus Russland stammende Iwan Shilin schildert als Ich-Erzähler das Bild einer vom Hedonismus geprägten dekadenten Konsumgesellschaft, die sich in einem fiktiven (wahrscheinlich westeuropäischen) Land noch erhalten hat. Shilins Reflexionen und der in einer Rückblende erwähnte Krieg lassen vermuten, dass es sich dabei um eines der wenigen verbliebenen Gebiete mit einer (post-)kapitalistischen Gesellschaftsform handelt, während in einem großen Teil der Welt der Kommunismus Einzug gehalten hat – eine Situation, wie sie ähnlich auch in dem 1962 erschienenen Episodenroman „Praktikanten“ dargestellt wird.

Wie in den meisten Büchern der Strugazkis geht es jedoch weniger um Ideologie als vielmehr um den Menschen selbst. Der Roman macht deutlich, wie schnell der Mensch aufhört, Mensch zu sein, wenn seine Bedürfnisse von einem starken Hedonismus dominiert, auf das Materielle beschränkt bleiben sowie geistige Lebensinhalte und Werte vernachlässigt werden – das Gegenstück zur „Welt des Mittags“, einer in vielen Büchern der Autoren geschilderten Zukunftswelt. Interessant an dieser Idee ist allerdings, dass viele im Buch zur Position stehenden Entwicklungen erstaunliche Analogien zu den heutigen technologischen Errungenschaften aufweisen. Der "Sleg" entführt den Menschen in eine Welt, in der er sich vor der Realität komplett abwendet kann, ohne die letzten Relikte dieser "Wirklichkeit" noch zu spüren - das "illusorische Dasein", welches von im Buch beschriebener moderner Kommunikationstechnologie wie beispielsweise Elementen der Radiowellentechnik und diversen diffusen Klängen erzeugt wird. Der Mensch findet abstinent der Realität eine kosmische Leere vor, die jedoch gleichsam auf nebulöse Art und Weise die absolute Erfüllung auf Kosten der menschlichen Gesundheit gewährleistet und die Basis jeglicher Kommunikation und sozialer Integration unterbindet. Die Strugazkis sparen auch nicht damit, die Umwelt im Buch häufig als optisch perfekt, aber synthetisch zu skizzieren. So wie Nahrungsmittelprodukte zunehmend synthetischer und nach einer optischen Perfektion ausgerichtet sind, konsumieren die Menschen in der Erzählung fast ausschließlich künstliche Nahrungsmittel. Die Frage nach der Richtigkeit dieser Entwicklung wird außerdem in einem Gespräch zwischen einem Philosophen, der von der Idee des Neohedonismus überzeugt ist - welche die gegenwärtige Situation der westlichen Werte widerspiegelt - und dem Protagonisten kritisch kommentiert.

Der Zeitpunkt der Handlung wird zwar nicht genannt, lässt sich aber anhand von Personen und Ereignissen, die auch in anderen Büchern der Strugazkis erwähnt werden, etwa auf den Anfang des 21. Jahrhundert datieren.

Handlung

Iwan Shilin (bereits aus dem Episodenroman „Praktikanten“ bekannt) wird mit einer Mission betraut: Er soll die Hersteller eines neuen Rauschmittels ermitteln, von dem zunächst nur sein hohes Suchtpotential und seine tödlichen Auswirkungen bekannt sind – eine Aufgabe, an der andere vor ihm schon gescheitert sind.

Als Tourist reist er in ein Land, das auf den ersten Blick paradiesisch zu sein scheint, sich aber schnell als Hort der Oberflächlichkeit zu erkennen gibt. Er trifft auf den „Philosophen“ Doktor Opir, dessen „Neooptimismus“ ein Bild von den hiesigen Idealen zeichnet: Der Mensch wird befreit von aller Mühsal, muss weder denken noch arbeiten und kann sich endlich dem grenzenlosen Genuss hingeben. Die Aufgaben der Wissenschaft sind es, neue Quellen des Genusses zu finden und für die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse zu sorgen.

Der Protagonist stößt bald auf eine Spur: „Sleg“ wird zwar nur hinter vorgehaltener Hand erwähnt, ist „unanständig“ und fast ein Schimpfwort, scheint aber gleichzeitig das Non plus ultra des Genusses für diejenigen zu sein, die alles andere schon kennen. Auf seiner Suche lernt Shilin etliche Facetten dieser Welt kennen: Die allgemeine Geringschätzung und Ablehnung jeglicher Bildung, die nächtlichen Straßen und Bars, wo alle auf der Jagd nach dem schnellen Vergnügen sind, Großveranstaltungen mit Kollektivrausch vom „Traumgenerator“, Nervenkitzel der besonderen (und meist tödlichen) Art in alten U-Bahn-Schächten, „Mäzene“, die mit allen Mitteln die Reste der Kultur vernichten, und auch seinen Vorgänger Riemaier, der den Verlockungen dieser Welt erlegen ist. Zu den wenigen Lichtblicken zählen die „Intels“, eine Gruppe von Intellektuellen, die mit Guerilla-Methoden gegen das exzessive Vergnügen antreten, und die (noch unverdorbenen) Kinder.

Das Ergebnis von Shilins Suche ist überraschend: Es gibt keine geheimen Labors, in denen Geräte oder Drogen fabriziert werden. Eine – wohl zufällig entdeckte Kombination zweckentfremdeter Dinge des Alltags bringt den „ultimativen Kick“, führt schnell zur Abhängigkeit und das Rezept dafür verbreitet sich über Mundpropaganda. Es gibt weder eine geheim agierende Organisation, noch ein Konzept oder überhaupt einen Hersteller, den man bekämpfen könnte. Die Quintessenz geht dem Ursprung der allgemeinen Dekadenz, welche von der Superdroge begünstigt wird, nach. Die Entwicklung der im Buch beschriebenen Misere ist nicht einer inszenierten sozialen Katastrophe, welche von "Außen" auf die Menschheit einwirkt, zuzuschreiben, sondern entspringt der rein menschlichen Natur. Der materielle Überfluss verdrängt dabei das Streben nach ideellem, geistigen Reichtum und zwingt die Menschen zum ständigen Amüsieren, zu "Kicks". Die Wissenschaft der Synthetik und Philosophie des Neohedonismus führen dabei den Menschen in eine tiefe pathologische Befriedigung.

Literatur

  • Arkadi Strugazki u. Boris Strugazki: Die gierigen Dinge des Jahrhunderts. Verlag Volk und Welt, Berlin 1980, Übersetzung: Heinz Kübart
  • Arkadi Strugazki u. Boris Strugazki: Die gierigen Dinge des Jahrhunderts. Suhrkamp Verlag KG (1982); ISBN 3-518-37327-7

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