Dr.-Böhm-Orgel

Dr.-Böhm-Orgel

Die Dr.-Böhm-Orgel ist eine elektronische Orgel, die der Physiker Rainer Böhm in den 1960ern zunächst für ein Lehrbuch entwickelte und bis in die Mitte der 1980er Jahre über sein Unternehmen Dr. Böhm in Minden produzierte.

Der Vertrieb der Instrumente erfolgte – ähnlich dem Vertrieb von Kraftfahrzeugen – über ein eigenes Netz von Firmenniederlassungen, primär in der Bundesrepublik Deutschland, jedoch auch im Ausland.

Die Instrumente wurden zum Selbstbau angeboten. Der Kunde musste gemäß einer Bauanleitung zunächst alle Leiterplatten durch Auflöten der einzelnen Bauteile bestücken sowie die Tastaturen und Bedienelemente in das leere Orgelgehäuse einsetzen.

Das gleiche Vertriebskonzept – Selbstbau in Kombination mit eigenen Werksniederlassungen – wurde später von der deutschen Firma Wersi adaptiert.

Die „klassische“ Dr.-Böhm-Orgel ("nT"-Reihe für neu mit Transistoren) hat eine analoge Tonerzeugung: Der jeweils höchste der 12 Halbtöne wird durch den sogenannten „Hauptoszillator“ erzeugt, die tieferen Oktaven entstehen durch Frequenzteilung im Verhältnis 2:1, und zwar auf analogem Wege über synchronisierte Sperrschwinger-Oszillatoren.

Die Zuordnung der einzelnen Fußlagen zu den Tasten erfolgt bei diesen Modellen noch über eine sogenannte „Verharfung“: Unter jeder Taste befinden sich acht oder mehr gleichschaltende Kontakte aus versilbertem Federdraht, über die bei Tastendruck die NF-Signale an die entsprechenden Register weitergeleitet werden.

Die Disposition der Orgelregister orientiert sich intensiv am Vorbild der Kirchenorgel. Zu diesem Zweck bedient sich die Dr.-Böhm-Orgel der subtraktiven Synthese. Der elektronische Tongenerator (siehe Sperrschwinger) erzeugt – ähnlich wie beim Moog-Synthesizer – obertonreiche Ausgangstöne in Sägezahnform. Für die Klangcharakteristika der einzelnen Register werden diese Ausgangstöne elektronisch gefiltert. Damit ist ein grundsätzlicher Unterschied zur Hammond-Orgel oder ähnlichen Instrumenten gegeben, deren Tonerzeugung auf der Addition von Sinus-Schwingungen beruht.

Instrumente bis zum Baujahr 1974 kann man überdies mit verschiedenen musikalischen Temperaturen betreiben, da jeder der zwölf Halbtöne einzeln gestimmt werden kann. Durch den Wechsel der Tongeneratoren von Transistorschaltungen zu moderneren integrierten Schaltkreisen ging diese Möglichkeit jedoch verloren, die Instrumente wurden gleichschwebend.

Im Laufe der Zeit wurden aufgrund der Marktnachfrage für die Dr.-Böhm-Orgel zahlreiche Zusatzmodule und Erweiterungen angeboten, die ebenso im Selbstbau in das Instrument nachgerüstet werden konnten. Ausgehend von der „reinen Lehre“ der elektronischen Kirchenorgelsimulation entstanden immer mehr Zusatzeffekte, die das Ein- und Ausschwingverhalten natürlicher Instrumente simulierten oder eine Annäherung an die Hammond-Orgel durch Sinus-Zugriegel und ein elektronisch nachempfundenes Leslie-Kabinett versuchten. Es gab „elektronische Schlagzeuge“ (der Begriff Drumcomputer wurde noch nicht verwendet), zusätzliche Spielhilfen und sogar Synthesizer- und Sampling-Baugruppen.

Man kann daher davon ausgehen, dass jede Dr.-Böhm-Orgel ein individuelles Einzelstück mit eigener Entwicklungsgeschichte ist.

Die Dr.-Böhm-Orgel kam zu ihrer Zeit primär als Heimorgel oder als Instrument für Alleinunterhalter zum Einsatz. Jedoch auch in kleineren Kirchen waren Exemplare zu finden, die dort als Ersatz für eine Pfeifenorgel fungierten. Speziell hierfür gab es sogar das 4-manualige Modell GnT. Aber auch in der Popmusik oder im Jazz kamen diese Orgeln dank ihrer vielen dafür optimierten Zusatzsoptionen zum Einsatz.

Mit Orgeln dieses Herstellers trat der Künstler Ady Zehnpfennig auf und verschaffte ihnen Bekanntheit.

Mitte der 1980er Jahre ging die Produktion der analogen Dr.-Böhm-Orgeln durch die Entwicklung digitaler Tonerzeugungssysteme – auch im gleichen Hause – langsam zurück. Sie wurde dann nach einem Brand in der Lagerhalle des Herstellers abrupt eingestellt. Besitzer und Liebhaber dieser früheren Instrumente finden diese Modelle oder Ersatzteile dafür in großer Zahl auf dem Gebrauchtmarkt.

Heute wird die Marke Böhm von der Firma Keyswerk Musikelektronik in Bückeburg betreut. Dort werden nach wie vor elektronische Orgeln für den Markt der Studio- und Bühnenmusiker, der Hausmusiker und Alleinunterhalter produziert, bei den kleineren Modellen sogar immer noch für den Selbstbau.

Literatur

  • Böhm: Elektronische Orgeln und ihr Selbstbau, Franzis Verlag, München, „Radio-Praktiker-Bücherei“ (RPB) Nr. 101/102 (2. Auflage von 1963 noch in Röhrentechnik); dito RPB Nr. 101 (5. Auflage von 1973 in Transistortechnik, ISBN 3-7723-1015-X)

Weblinks


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