Orgel der Uttumer Kirche

Orgel der Uttumer Kirche
Orgel der Uttumer Kirche
Uttum Orgel.jpg
Allgemeines
Ort Uttumer Kirche
Orgelerbauer unbekannt
Baujahr ca. 1660
Letzte(r) Umbau/Restaurierung 1956/57 durch Ahrend & Brunzema
Epoche Spätrenaissance
Orgellandschaft Ostfriesland
Technische Daten
Anzahl der Register 9
Anzahl der Pfeifenreihen 13
Anzahl der Manuale 1
Tontraktur Mechanisch
Registertraktur Mechanisch

Die Orgel der Uttumer Kirche ist eine der bedeutendsten Renaissanceorgeln, die noch nahezu vollständig original erhalten und spielbar ist. Das wertvolle Instrument im ostfriesischen Uttum wurde um 1660 unter Verwendung älteren Pfeifenmaterials aus dem 16. oder dem Anfang des 17. Jahrhunderts von einem unbekannten Meister erbaut und spiegelt die Blütezeit niederländischer Orgelkunst der Renaissance wider, wie sie auch in die Orgellandschaft Ostfriesland Eingang gefunden hat. Die Orgel verfügt über neun Register auf einem Manual und kein Pedal.

Inhaltsverzeichnis

Baugeschichte

Der Bau fällt in die Zeit des zweiten Predigers Cornelius Wybenius Müller (1655-1666). Verwendet wurde Pfeifenmaterial entweder aus der Vorgängerorgel oder aus einer aufgegebenen Orgel einer Klosterkirche. Eine alte Überlieferung bringt die Anfänge der Uttumer Orgel mit dem Kloster Sielmönken in Verbindung, das nach der Reformation aufgegeben wurde.[1] In ihrer Werkliste führen die Brüder Cornelius und Michael Slegel an, dass sie 1549 zwei Orgeln in Dörfern bei Emden gebaut haben, was auf Uttum zutreffen könnte.[2]

1716 werden die Flügeltüren angefertigt und die Bekrönungen über den drei Pfeifentürmen aufgesetzt. In der Folgezeit sind verschiedene Reparaturen belegt, ohne dass jedoch ein Umbau erfolgte: Johann Friedrich Constabel (1748), Dirk Lohmann (1769-1770), Hinrich Renken de Vries (1785-1786), Gerhard Janssen Schmid (1795-96, 1805), Johann Christian Grüneberg (1811), Johann Diepenbrock (1881).

1804 wurde die Orgel, die ursprünglich auf der Westempore stand, ausgelagert. Dachdem 1827 bis 1829 eine neue Decke eingezogen wurde, wie sie 1829 durch Johann Gottfried Rohlfs auf der Ostempore wieder aufgebaut.

1917 wurden einige Prospektpfeifen irrtümlich zu Kriegszwecken abgegeben, obwohl sie nicht aus Zinn, sondern aus Blei bestanden;[3] sie werden 1924 durch neue ersetzt. Zwischen den Weltkriegen wurde auch die abgängige Spieltraktur erneuert.

Von 1956 bis 1957 wird die Orgel durch Ahrend & Brunzema (Leer-Loga) restauriert. Von den Pfeifen werden die Sesquialtera, der vierte Chor der Mixtur, die sechs tiefsten Prospektpfeifen rekonstruiert, ebenso die Klaviatur und die brüchige Windlade. Die alte mitteltönige Temperatur ließ sich zweifelsfrei nachweisen und wurde wieder angelegt.

Das Gehäuse und die drei Keilbälge sind noch original. Auch ist die alte Intonation noch weitgehend erhalten.

Besonderheiten

Der Aufbau des Gehäuses mit dem trapezförmigen Mittelturm und den beiden nebeneinander stehenden Basspfeifen in der Mitte ist typisch für den Groninger Orgelstil des 17. Jahrhunderts. In optischer Hinsicht fallen die vergoldeten Labien und die fünf Flammenornamente ins Auge, die die Zwischenräume zwischen den Prospektpfeifen im Bassturm ausfüllen. Über dem Spieltisch ist eine Engelskopf angebracht. Darunter ist als goldene Inschrift „Matthias Ennen Ludimagister“ (Schulmeister) zu lesen; dieser wirkte um 1700 in Personalunion als Organist und Lehrer in Uttum. Ungewöhnlich ist auch das Schleierwerk in Form sich windender Schlangen über den Prospektpfeifen und auf dem Gehäuse. Der Hahn auf der Orgel zeugt möglicherweise von einer Stiftung durch die Familie Hane, deren Wappentier auch auf den Totentafeln an der Ostempore zu sehen ist und die neben Uttum auch in Marienhafe und in Leer (Haneburg) Besitzungen hatte. Die Knöpfe an den Registerzügen sind ungewöhnlich groß. Am Sperrventil ist die Anschrift „Noli me tangere“ („Rühr mich nicht an“) angebracht. Am Untergehäuse finden sich Relief-Schnitzereien, die denen der Orgel in Visquard ähneln.

Die alten Pfeifen sind sehr bleihaltig und von einer ungewöhnlichen Klangintensität. Sie stammen zum größten Teil aus einem älteren Instrument. Prästant und Gedackt weisen noch die alte gotische Labienform auf. Die gleichsam singenden Prinzipale sind weit mensuriert und von außerordentlich vokaler Qualität, was durch den flexiblen Wind der Keilbälge noch unterstützt wird. Die Oktave 2′ ist im Diskant so weit mensuriert, wodurch ein flötiger Klang entsteht, der nicht für das Prinzipal-Plenum geeignet ist. Die Mixtur weist eine tiefe Zusammensetzung und eine weite Mensur auf. Sie ist nicht so stark wie in den später für den Gemeindegesang konzipierten Orgeln und für Aufführung polyphoner Musik ideal geeignet. Hingegen fungiert die hoch liegende Sesquialtera als Terzmixtur und kann sinnvoll in einem Zungenplenum eingesetzt werden. Auch beide Quintadenen und das Gedackt bestehen aus schwerem Blei. Ihr Klang zeichnet sich durch große Farbigkeit und Transparenz aus. Eine Besonderheit stellt schließlich die alte Trompete mit den Bleiköpfen und offenen Kehlen dar, die ungewöhnlich farbig, obertonreich und voll wie ein ganzes Bläserkonsort klingt. Sie gilt neben dem der Orgel in Westerhusen als eines der ältesten erhaltenen Trompetenregister weltweit.

Disposition seit ca. 1660

Hauptwerk CDEFGA–c3
Praestant 8′[Anm. 1]
Quintadeen 16′[Anm. 2]
Gedact 8′[Anm. 3]
Quintadeen 8′[Anm. 4]
Octaaf 4′[Anm. 5]
Octaaf 2′[Anm. 6]
Sesquialtera II [Anm. 7]
Mixtur III-IV 11/3[Anm. 8]
Trompet 8′[Anm. 9]
Anmerkungen
  1. Alt (schwere Bleipfeifen, sechs tiefste Pfeifen rekonstruiert).
  2. Alt (zugelötete Bleipfeifen mit langen Seitenbärten).
  3. Alt (zugelötete, gehämmerte Bleipfeifen mit Spitzlabien).
  4. Alt (Bleipfeifen wie bei Quintadeen 16′).
  5. Alt (Bleipfeifen wie bei Quintadeen 16′).
  6. Alt (gehämmerte Bleipfeifen wie bei Gedact 8′, im Diskant mit weiter Mensur).
  7. Rekonstruiert.
  8. Alt (Pfeifen wie bei Oktav 4′, vierter Chor rekonstruiert).
  9. Original (offene Kehlen, Bleiköpfe und stark konische Becher aus Blei, neue Kehlen in der untersten Oktave).

Technische Daten

  • 9 Register, 1 Manual, kein Pedal
  • Traktur:
    • Tontraktur: Mechanisch
    • Registertraktur: Mechanisch
  • Windversorgung:
    • 78 mmWS Winddruck
    • 3 Keilbälge im Balghaus hinter der Empore
  • Stimmung:
    • Höhe ca. ein Halbton über a1= 440 Hz
    • Mitteltönige Stimmung mit leichter Modifizierung (Cis-Gis und Es-B als reine Quinten, wodurch die Wolfsquinte etwas abgemildert wird)

Literatur

  • Walter Kaufmann: Die Orgeln Ostfrieslands. Ostfriesische Landschaft, Aurich 1968.
  • Günter Lade (Hrsg.): 40 Jahre Orgelbau Jürgen Ahrend 1954-1994. Selbstverlag, Leer-Loga 1994.
  • Uda von der Nahmer: Windgesang. Orgeln, Wind und Verwandte. Ostfriesische Landschaftliche Verlags- und Vertriebsgesellschaft, Aurich 2008, ISBN 978-3-940601-03-2.
  • Ralph Nickles: Orgelinventar der Krummhörn und der Stadt Emden. Hauschild Verlag, Bremen 1995, ISBN 3-929902-62-1.
  • Ibo Ortgies: Die Orgel in der Reformierten Kirche zu Uttum. In: Thomas Tomkins: Keyboard Music. Vol. 4. 1997, Musikproduktion Dabringhaus & Grimm, 607 0706-2, CD-Booklet, S. 36-38 (Bernhard Klapprott in Uttum).
  • Harald Vogel, Günter Lade, Nicola Borger-Geweloh: Orgeln in Niedersachsen. Hauschild, Bremen 1997, ISBN 3-931785-50-5.
  • Harald Vogel, Reinhard Ruge, Robert Noah, Martin Stromann: Orgellandschaft Ostfriesland. 2 Auflage. Soltau-Kurier-Norden, Norden 1997, ISBN 3-928327-19-4.

Aufnahmen/Tonträger

  • Orgelland Ostfriesland. 1989, Deutsche Harmonia Mundi, HM 939-2, CD (Harald Vogel in Norden, Uttum, Rysum, Westerhusen, Marienhafe, Weener: Werke von D. Buxtehude, C. Goudimel, Anonymus, J. P. Sweelinck, S. Scheidt, C. Paumann, A. Schlick, A. Ileborgh, P. Hofhaimer, H. Isaac, H. L. Hassler, G. Böhm, J.S . Bach).
  • Orgeln in Ostfriesland. Vol. 2. 1997, Organeum, OC-09602, CD (Harald Vogel in Rysum, Uttum, Norden, Marienhafe).
  • Thomas Tomkins: Keyboard Music. Vol. 4. 1997, Musikproduktion Dabringhaus & Grimm, 607 0706-2, CD (Bernhard Klapprott in Uttum)

Weblinks

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Siehe Kaufmann, Orgeln, 1968, S. 228.
  2. Siehe Nickles: Orgelinventar, 111, 46f., 128, 308, 528.
  3. Siehe Kaufmann, Orgeln, 1968, S. 229, der irrtümlich angibt, dass der gesamte Prästant neu ist; siehe aber 40 Jahre Orgelbau, S. 30, und Vogel, Orgellandschaft, 1997, S. 125-126.
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