Dysphemismus

Dysphemismus

Dysphemismus, auch Kakophemismus (latinisierte Form von altgriechisch δυσφημία dysphēmía ‚Worte von übler Vorbedeutung, Schmährede‘; letztlich zurückgehend auf die Vorsilbe δυς-, die etwas Unglückliches bzw. Widriges bezeichnet, entsprechend im Deutschen dem Präfix ‚miss-‘ bzw. ‚un-‘ sowie φημί phēmí ‚ich sage‘; die Variante gebildet mit κακός kakós ‚schlimm, übel, unglücklich‘)[1] ist ein Fachbegriff aus der Sprachwissenschaft für einen sprachlichen Ausdruck, der über Personen, Dinge oder Sachverhalte eine (oft starke) negative Wertung beinhaltet oder negative Assoziationen zu diesen weckt.

Mit einem Dysphemismus wird das Bezeichnete – vielfach in drastischer Weise – herabgesetzt und Missachtung ausgedrückt.

Oft wird besonders in der öffentlichen politischen Diskussion ein solcher abwertender Ausdruck bewusst anstelle eines wertneutralen verwendet.

Inhaltsverzeichnis

Dysphemismen in der öffentlichen Sprache

Im öffentlichen Sprachgebrauch wird der Dysphemismus – gleich wie sein semantisches Gegenstück, der Euphemismus – besonders in der politischen Rhetorik als Stilmittel eingesetzt. Während ein Euphemismus positive Begleitgefühle weckt und der aufwertenden Benennung von (in der Regel) eigenen Angelegenheiten dienlich ist, wird ein Dysphemismus zur bewussten Abwertung der gegnerischen Position herangezogen. Im Wettstreit der politischen Parteien kann es so bei brisanten Angelegenheiten zu dem Zustand kommen, dass zur Benennung ein und derselben Sache zwei semantisch widersprüchliche Ausdrücke zur Verfügung stehen. Als ein klassisches Beispiel dafür gilt die semantische Opposition bei der Bezeichnung für Rebellen gegen ein missliebig gehaltenes Herrschaftssystem: Während von Seiten der Machthaber höchst negativ konnotierte Wörter wie Terrorist, Verräter o. ä. zum Einsatz kommen, dienen aufwertende Ausdrücke wie Freiheitskämpfer, Widerstandskämpfer o. ä. als Benennung derselben Personengruppe von Seiten der Aufbegehrenden. In Deutschland lag in den 1970er Jahren ein solch gelagerter Fall mit der Benennung der Rote Armee Fraktion vor, bei dem diese von staatlicher/politischer Seite abwertend als Baader-Meinhof-Bande bezeichnet, während von Sympathisantenseite neutral von der Baader-Meinhof-Gruppe gesprochen wurde.

Liegt ein solcher Umstand einer zweifachen Benennungsweise vor, kann grundsätzlich in der politischen Berichterstattung in den Medien (auch unbeteiligter Länder) bewusst für eine der beiden semantischen Seiten entschieden und der entsprechende Ausdruck verwendet werden, sodass damit implizit eine Stellungnahme abgegeben wird. Typisches Beispiel hierfür sind die Bezeichnungen Kernkraftwerk und Atomkraftwerk.

Mit einem häufigen und/oder über längere Zeit bestehenden Gebrauch eines Dysphemismus können seine abwertenden Konnotationen über kurz oder lang verloren gehen, und ein solcher sprachlicher Ausdruck wird dann weniger wirksam oder sogar wertneutral. Ein solcher Fall von Verlust solcher Bedeutungskomponenten liegt etwa beim Ausdruck Skandal vor. So wurde beispielsweise in den 1970er Jahren in Österreich ein bestimmtes politisches Vergehen von Angehörigen der Regierungspartei in den Medien und von der politischen Opposition als AKH-Skandal bezeichnet und konnte mit dieser Benennung für Entrüstung sorgen; die betroffene Seite versuchte hingegen, die Angelegenheit als geringfügige AKH-Affäre herunterzuspielen.[2] Mittlerweile ist in solchen Fällen durch den oftmaligen Gebrauch in den Medien das Wort Skandal mit weitaus geringerem negativen semantischen Gehalt zu einem mehr oder weniger gleichwertigen Synonym für Affäre geworden und kann gleich wie dieses eingesetzt werden, wie es etwa in der sogenannten BAWAG-Affäre 2006 der Fall war.[3]

Tritt ein solcher Fall von Verlust der negativen Nebenbedeutung ein, und soll zur Bezeichnung des Gegenstands oder des Sachverhalts aber weiterhin ein stark abwertender Ausdruck zum Einsatz kommen, so muss eine neue Bezeichnung an die Stelle der alten treten. Ein solcher Vorgang wird öfter – analog zum selben Prozess des Verlustes des positiven semantischen Gehalts bei einem Euphemismus, wo es Euphemismus-Tretmühle heißt – als Dysphemismus-Tretmühle bezeichnet.

Unterschiede zu Pejorativ und Schimpfwort

Der Terminus Dysphemismus ist in seiner Bedeutung sehr ähnlich mit den Ausdrücken Pejorativ und Schimpfwort. Die Bedeutungen dieser drei Vokabeln überlappen sich teilweise, sodass öfter der eine Ausdruck synonym für einen anderen gebraucht wird. Dennoch bestehen gewisse Unterschiede:

Ein Pejorativ ist in der Sprachwissenschaft eine herabwürdigende Bezeichnung allgemein. Dieser Terminus benennt die Sache aus der Sicht der Wortschatzuntersuchungen und der Wortbildung. (So werden beispielsweise sogenannte Pejorativsuffixe beschrieben, mittels derer Wörter quasi „automatisch“ einen negativen Gehalt bekommen.) Demzufolge sind mit Pejorativ auch Schimpfwörter gemeint. Mit dem Wort Dysphemismus hingegen wird die Sache mehr aus der Sicht der Pragmatik betrachtet, und die Sprechhandlung selbst – also das Abwerten einer Person oder Angelegenheit – steht eher im Vordergrund als die Beschaffenheit des Wortes.

Oft werden auch die Ausdrücke Dysphemismus und Schimpfwort gleichgesetzt. Schimpfwörter sind mehrheitlich auf Personen bezogen und sind zum Teil im Wortschatz als fixer Bestand vorhanden (so z. B. allerlei Tiernamen wie Ochse, Kuh oder Ziege für jedwede Person oder – vorwiegend in Deutschland – Bulle für einen Polizisten, ebenso Wörter aus dem sexuellen oder Fäkalbereich u. a. m.). Was hingegen als Dysphemismus gilt, ist oft sehr von der aktuellen Redesituation und von der Redeabsicht abhängig. Bereits bestehende, an sich neutrale Ausdrücke können situationsbedingt zu Dysphemismen werden. So entstand beispielsweise erst mit der entsprechenden technischen Entwicklung die dysphemistische Bezeichnung Raubkopie (sowie die dazugehörigen Ableitungen Raubkopierer und raubkopieren) für eine urheberrechtlich nicht erlaubte Kopie von digitalen Datenträgern: Mit dem Verwenden des Wortes Raub wird nach der Absicht gehandelt, der Sache und ihrem Zustandekommen einen kriminellen Charakter zuzuschreiben. Gleichzeitig wird damit das Wort Raubkopie nur für diese eine Sache einsetzbar. Mit einem bestimmten Schimpfwort hingegen kann nicht nur auf eine bestimmte einzelne Person Bezug genommen werden, sondern es ist auf eine ganze spezifische Gruppe von Personen (alle Frauen, alle Polizisten etc.) anwendbar.

Vermeintlich ähnlicher Vorgang: Pejoration

Der bewusste Einsatz von Dysphemismen und der gegebenenfalls im Laufe der Zeit damit einhergehende Verlust der negativen Konnotationen eines sprachlichen Ausdrucks ist nicht zu verwechseln mit dem Prozess der sogenannten Pejoration (auch: Pejorisierung). Die Pejorisierung ist eine scheinbar „von selbst“ vor sich gehende Verschlechterung der Bedeutung eines Wortes über die Zeit. (Als typische Beispiele gelten die Wörter Weib und Pfaffe, die früher wertneutral waren, heute aber in den meisten Fällen und unabhängig von der augenblicklichen Lage als herabwürdigende Bezeichnungen gelten.) Ein Dysphemismus hingegen stellt eine beabsichtigte „Verschlechterung“ einer Person oder Sache dar und benötigt keine bestimmte Zeitspanne, innerhalb der die Wirkung eintritt.

Bildung von Dysphemismen

Was von den Angehörigen einer Sprechergemeinschaft als Dysphemismus gewertet wird, hängt von unterschiedlichen sprachlichen und außersprachlichen Faktoren ab. Da auf sprachlicher Ebene die Ausdrücke Dysphemismus und Schimpfwort in weiten Teilen bedeutungsgleich sind, werden oft bestimmte Wortbildungsmechanismen, die für Schimpfwörter typisch sind, auch zur Beschreibung von Dysphemismen herangezogen. Solche typische sprachliche Strategien sind etwa:

  • das Verwenden von Wörtern, die von sich aus schon eine negative Bedeutung aufweisen, so beispielsweise
    • Regime und Machthaber für Regierung
    • zusammenrotten für sich versammeln
    • paktieren und kollaborieren für zusammenarbeiten
    • Parasit für eine (auch nur vermeintliche) wirtschaftlich unselbständige Person
    • Querulant für einen sich aktiv einbringenden Oppositionspolitiker oder engagierten Bürger
    • Drahtzieher und Hintermänner für Verantwortliche.
  • das Verbinden eines Wortes mit einem anderen, das bereits von sich aus eine negative Bedeutung hat; so z. B. mit Drecks- wie in Dreckskerl. Als besonders ausdrucksstark wird dabei die Kombination aus einem abwertenden Ausdruck mit einem sehr hochwertig konnotierten Wort empfunden. Ein solches ist etwa der aus politisch rechten Kreisen stammende Terminus Volksschädling, bei dem das Wort Volk einen hohen ideologischen Gehalt hat, sodass Schädling als besonders krasses Störelement erlebt wird.
  • das Bilden von Neologismen, die zwar auch mittels Zusammensetzung von bereits bestehenden Wörtern entstehen können, wobei aber die dazu verwendeten Wörter auch konnotationsfrei oder wertneutral sein können; so etwa in
    • Holzklasse für die (heutzutage nur noch selten mit Holzbänken ausgestattete) unkomfortabelste Beförderungsklasse in öffentlichen Verkehrsmitteln,
    • Wirtschaftsflüchtling für eine Person, die nicht aus Gründen politischer Verfolgung oder wegen Hungersnot oder Kriegsgeschehen ihr Heimatland verlässt und damit nicht zu gesetzlichem Asyl berechtigt ist.
  • der Einsatz von Diminutiv-Suffixen, wie etwa in Jüngelchen, Freundchen oder frömmeln. Da aber Verkleinerungssilben gleichzeitig die gegenteilige positive Bedeutung des Liebkosens aufweisen (Schwesterchen, Omilein), wird in solchen Ausdrücken der Akt der Abwertung gleichzeitig wieder zu einem gewissen Grad zurückgenommen und das Wort in seiner Ausdruckskraft entschärft.[4]
  • Umdeuten von Einzelwörtern oder von Wörtern, die als Bestandteile einer Komposition erscheinen. Im Zuge dieser Strategie wird einem bereits bestehenden Ausdruck eine neue Bedeutung zugewiesen, so beispielsweise in
    • Schlepper für einen Fluchthelfer und
    • Schutzwaffe für eine passive Schutzausrüstung wie Schilde, Helme und Polster von Demonstranten.
  • Benutzen von Ethnophaulismen (abwertende Bezeichnungen für ein Volk) und andere Bezugnahmen auf die Volkszugehörigkeit. So z. B. in Form von
    • Verwendung des Volksnamens selbst in abwertender Weise mit zusätzlicher Anwendung auf andere Völker wie etwa bei Kanake,
    • Verballhornung von Volksnamen oder von Bezeichnungen für die Volkszugehörigkeit wie z. B. bei Kümmeltürke für einen Türken, Itaker für Italiener und Polacken für Polen,
    • Verwenden eines Wortelements aus einer anderen Sprache, das für diese typisch ist, wie etwa in (österreichisch) Tschusch (unter Verwendung von čuješ oder ćuš, zwei häufig verwendete Wörter im Serbokroatischen) oder wie (hauptsächlich in Deutschland) in Radikalinski für Radikaler. Bei letzterem Wort liegt derselbe Effekt vor wie auch bei Verkleinerungssilben: Ein abwertendes Moment (radikal) wird verbunden mit einem scherzhaft zu verstehendem Wortteil, hier eben einem fremdsprachlichen (-inski als Endung von slawischen Familiennamen), und bewirkt so eine Abschwächung des verbalen Angriffs.

Einzelnachweise

  1. Wilhelm Gemoll: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch. G. Freytag Verlag/Hölder-Pichler-Tempsky, München/Wien 1965.
  2. Stichwort AKH-Skandal’, in: Oswald Panagl / Peter Gerlich (Hg.): Wörterbuch der politischen Sprache in Österreich. Österreichischer Bundesverlag, Wien 2007.
  3. Stichwort: BAWAG-Affäre, in: Ebenda.
  4. Stichwort Freunderlwirtschaft, in: Ebenda.

Literatur

  • Keith Allen, Kate Burridge: Euphemism & Dysphemism. Oxford University Press, New York/Oxford 1991, ISBN 0-19-506622-7

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