Eher geht ein Kamel durch das Nadelöhr

Eher geht ein Kamel durch das Nadelöhr

Inhaltsverzeichnis

Das Nadelöhr-Gleichnis im Neuen Testament

Gleichnisdarstellung in der Bonifatiuskirche Dortmund

Bekannt ist das Bild vom Nadelöhr und dem Kamel durch seine Verwendung im Neuen Testament, wo Jesus sagt:

Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. (Mk 10,25 EU)[1]

Das Gleichnis der synoptischen Evangelien verwehrt den Reichen den Eintritt in den Himmel, was eine Flut von Interpretationen zur Folge hatte.

Textkritik, Lesart: Seil

So meinte man, es handle sich um einen Kopier- oder Lesefehler von κάμιλος (kamilos, dt.: „Schiffstau“, „Seil“) zu dem aufgrund des Itazismus gleichlautenden Begriff κάμηλος (kámêlos; dt.: „Kamel“, „Karawane“).[2] Zwar ist κάμιλος in den meisten heutigen Bibeleditionen nur sekundär, aber mittlerweile seien viele Fälle der ursprünglichen Lesart als „Schiffstau“ bzw. „Seil“ bekannt geworden, darunter die Übersetzungen der armenischen[3] und der georgischen[4] Bibel sowie verschiedene Handschriften[5]. Die älteste auf dem griechischen kamilos basierende Quelle findet sich in der syro-aramäischen Peschitta-Bibel, die ab ca. 145 n. Chr. übersetzt wurde.[6] Die einzige erhaltene nicht-biblische Quelle, die die ältere Variante bezeugt, ist die Suda.[7] Die spätere kámêlos-Variante gehört demzufolge in den Komplex der Volksetymologien und Verballhornungen.[8] Diese angeblich ursprüngliche Lesart kamilos sei der Textkritik lange unbekannt gewesen.

Text, Lesart: Kamel

Da die Lesart Kamel in der Forschung für ursprünglich gehalten wird, [9] werden verschiedene Deutungen unternommen, [10] etwa die, nach der eine hypothetische enge Gasse in Jerusalem mit einem kleinen Tor an ihrem Ende gemeint sei, die im Volksmund angeblich den Namen „Nadelöhr“ trug. Nach dieser mittlerweile allgemein verworfenen Vermutung (Pedersen: Art. κάμηλος, Sp. 610) konnte ein Kamel das Tor nur passieren, wenn es kniete und nicht mit zu viel Gütern bepackt war.[11] Eine direkte Herkunft des Gleichnisses aus der aramäischen Kultur ist ausgeschlossen, da ursprünglich keines der Evangelien in diesen Sprachen verfasst wurde. Lediglich bei der Frage nach dem historischen Umfeld ist zu bedenken, dass Jesus aramäisch sprach.[12] Die neutestamentliche Textexegese, die von der Priorität der kámêlos-Variante ausgeht, bedient sich der talmudischen Tradition (s. u.), um Jesu Worte theologisch zu interpretieren. So wird das kámêlos als ein „typisches nahöstliches Bild“ gesehen, das Jesus in Anlehnung an den Elefanten benutzt haben soll, um in der Paradoxie der Kopplung eines großen Tieres mit einem kleinen Durchlass die Unmöglichkeit für Reiche, in den Himmel zu gelangen, aufzuzeigen,[13] obgleich auch in diesem Fall Gottes gnädiges Handeln in den Evangelien nicht ausgeschlossen wird.[14]

Ertrag der Lesarten

Letztlich jedoch sind die genannten Relativierungsversuche irrelevant, da Jesus im weiteren Verlauf der Textstelle selbst sagt, dass er eine Unmöglichkeit ausdrücken wollte [1]:

Da sah Jesus seine Jünger an und sagte zu ihnen: Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen! Die Jünger waren über seine Worte bestürzt. Jesus aber sagte noch einmal zu ihnen: Meine Kinder, wie schwer ist es, in das Reich Gottes zu kommen! Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. Sie aber erschraken noch mehr und sagten zueinander: Wer kann dann noch gerettet werden? Jesus sah sie an und sagte: Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich. (Mk 10,23-27 EU)

Jesus kritische Haltung gegenüber den Reichen findet sich auch an anderen Bibelstellen wie jene über den Mammon:

Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.(Mt 6,24 EU)

Das Nadelöhr in anderen Religionen

Judentum

Im babylonischen Talmud geht es beim „Nadelöhr-Aphorismus“ um „undenkbare Gedanken“, wie sie auch in Träumen vorkommen können. Dort heißt es über die Bedeutung von Träumen: „Sie zeigen weder eine Palme aus Gold, noch einen Elefanten, der durch ein Nadelöhr gehen kann.“ [15].

Islam

Im Koran ist über die Sünder zu lesen: „Es wird keine Öffnung des Himmelstores geben, noch werden sie den Garten Gottes betreten, bevor nicht ein Kamel durch ein Nadelöhr passt.“[16]

Literatur

  • Sigfred Petersen: Art. κάμηλος. Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Bd. II, Stuttgart 1981, Sp. 609-611, ISBN 3-17-007383-4.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b Mk 10:25; ähnlich: Lk 18:25 & Mt 19:24
  2. Vgl. auch Landmann (1989). Demnach gehe die Transformation auf die regionale Verbreitung der Evangelien zurück, welche in den Küstenstädten begonnen und sich entlang der Handelsrouten in die ariden Gegenden im Osten und Süden erstreckt habe, in denen der Seemannsjargon entweder unbekannt oder nicht als solcher erkannt worden sei. Entsprechend enthält auch der Qur'an die arabische Übersetzung der kontinentalen kamêlos-Variante. (s.u.)
  3. FHerklotz, BZ 2, '04, S. 176 f.; Nestlé-Aland: Apparatus zum Novum Testamentum Graece et Latine zu Mt 19:24
  4. Nestlé-Aland: Apparatus zum Novum Testamentum Graece et Latine zu Mk 10:25 (georg.: Mk 13:28)
  5. Nestlé-Aland: Apparatus zum Novum Testamentum Graece et Latine zu Lk 18:25
  6. Mt 19:24; vgl. George M. Lamsa: The New Testament according to the Eastern Text (1940, xxiv)
  7. 1967C; die älteste bekannte Quelle überhaupt für das Wort καμιλος ist die Komödie Sphekes (1035) von Aristophanes: kamilos to pachu schoinion dia tou i.
  8. Bauer & Aland: Wörterbuch zum Neuen Testament (1988); vgl. auch Boisacq: Dict. étym., Bröndal und Haupt: „Camel and Cable“ (American Journal of Philology 45).
  9. Bauer: Wörterbuch zum Neuen Testament. Art. κάμηλος und κάμιλος, Sp. 793f; Pedersen: Art. κάμηλος, Sp. 610f
  10. Früheste Entstehung im 9. Jahrhundert; erstmalig aufgezeichnet vom Erzbischof Theophylactus von Bulgarien († ca. 1107)
  11. Dies sollte als Analogie verstanden werden, wonach (im übertragenen Sinne) auch der Reiche, der nicht an seinen irdischen Gütern hing, sondern diese Last auch ablegen konnte, ins Himmelreich eingehen konnte. Im Volksglauben beliebt war (und ist) auch der Aspekt des knienden Kamels als Parallele zur Demut der Gläubigen vor Gott.
  12. In der Fußnote zu Mt 19:24 einer syro-aramäischen Peschitta-Übersetzung wird abweichend vom Haupttext das „Seil“ mit einem „Kamel“ gleichgesetzt. Dies kann jedoch nicht als relevante Quelle für eine aramäische Herkunft verwendet werden, wie es im Artikel „'The camel and the eye of the needle', Matthew 19:24, Mark 10:25, Luke 18:25“ versucht wird, da die Priorität des Griechischen im Neuen Testament unbestritten ist, sondern dokumentiert höchstens die beginnende Transformation von kamilos zum hebräischen Lehnwort kámêlos in den neutestamentlichen Ur-Quellen.
  13. Kittel/Friedrich (Hg.): Theological Dictionary of the New Testament (abridged, 1985); Pedersen: Art. κάμηλος, Sp. 610
  14. Vgl. Mk 10:27
  15. Talmud: bBer 55b; bBM 38b sowie zum Nadelöhr: MidrHL 5,2; Pes.r. 15.
  16. Al-A'raf („The Heights“), Sure 7, 38.

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