- Eliminativismus
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Der eliminative Materialismus oder Eliminativismus ist eine kontroverse Position innerhalb der Philosophie des Geistes. Seine zentrale These ist, dass die alltägliche Rede über mentale Zustände falsch sei. Eine zukünftige neuro- oder kognitionswissenschaftliche Beschreibung des Menschen werde nicht nur die Alltagspsychologie ersetzen, sondern auch nachweisen, dass es gar keine mentalen Zustände gebe.
Inhaltsverzeichnis
Die Entwicklung des eliminativen Materialismus
Der eliminative Materialismus wurde erstmals in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt und steht in einem scharfen Kontrast zu allen philosophiehistorisch bekannten Positionen. Selbst René Descartes, der eine Philosophie des methodischen Zweifels formulierte, hielt die Existenz der mentalen Innenwelt für gewiss. Lediglich C. D. Broad zog in seinem 1925 erschienenen Werk The Mind and its Place in Nature (Lit.: Broad, 1925) die Möglichkeit eines eliminativen Materialismus kurzzeitig in Betracht, verwarf sie jedoch als unplausibel.
Die Entwicklung des eliminativen Materialismus steht dabei in einem engen Zusammenhang mit der beginnenden wissenschaftshistorischen Betrachtung in der Wissenschaftstheorie, wie sie von Thomas Kuhn und Paul Feyerabend angestoßen wurde. Ein Ergebnis dieser neuen Perspektive war die Erkenntnis, dass sich der wissenschaftliche Fortschritt oft nicht, wie noch in den positivistischen Modellen angenommen, durch Reduktionen vollzieht. Die Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass die alten Theorien oft nicht auf die neuen Theorien zurückführbar sind, was jedoch nicht bedeutet, dass sich widersprechende Theorien langfristig nebeneinander bestehen bleiben. Vielmehr werden die alten Theorien einfach ganz aufgegeben und ihre Falschheit anerkannt. Beispiele sind die Aufgabe des geozentrischen Weltbildes, der Phlogistontheorie oder des Hexenglaubens. Die These der eliminativen Materialisten ist nun, dass sich unsere alltägliche Theorie von mentalen Zuständen in gleicher Weise als falsch erweisen werde. Sie sei von veralteten cartesianischen Vorurteilen geprägt und vollkommen unverträglich mit den neueren Erkenntnissen der Hirnforschung.
Frühe Formulierungen des eliminativen Materialismus stammen von Richard Rorty (Lit.: Rorty, 1965) und Paul Feyerabend (Lit.: Müller, 1965). Diese Ansätze blieben allerdings ausgesprochene Außenseiterpositionen, die sich auf eher allgemeine Überlegungen zum Theorienwandel stützten und für viele Philosophen eine unakzeptable Nähe zum Relativismus aufwiesen. Diese Situation änderte sich in den 80er Jahren durch die Arbeiten von Paul Churchland, Patricia Churchland und Steven Stich. Diese drei Philosophen versuchten eliminativistische Ansätze mit den modernen Neuro- oder kognitionswissenschaftlichen Ergebnissen zu verbinden. Seit dieser Zeit gehört der Eliminativismus zu einer der am meisten diskutierten Positionen in der Philosophie des Geistes, der auch unter Naturwissenschaftlern zunehmend Anhänger findet.
Von vielen Kritikern wird der Eliminativismus als eine bedrohliche Theorie angesehen, deren Wahrheit schreckliche Auswirkungen hätte. Jerry Fodor erklärt etwa:
- „if commonsense psychology were to collapse, that would be, beyond comparison, the greatest intellectual catastrophe in the history of our species [...]." deutsch: „Wenn die Alltagspsychologie zusammenbrechen würde, so wäre dies bei Weitem die größte intellektuelle Katastrophe, die unsere Art erlebt hat.“ (Lit.: Fodor 1987, S. xii)
Im Gegensatz dazu halten Eliminativisten ihre These eher für begrüßenswert. Sie argumentieren, dass ein neurowissenschaftlich fundiertes Vokabular zu einem besseren Verständnis des Menschen und seiner Probleme führen werde.
Argumente für den eliminativen Materialismus
Das Theorienargument
Ausgangspunkt aller eliminativistischen Positionen ist die These, dass es sich bei unseren Vorstellungen von mentalen Zuständen um eine Theorie handele, die - wie jede andere Theorie auch - grundsätzlich falsifizierbar sei. Diese Theorie wird in der Literatur allgemein folk psychology oder Alltagspsychologie genannt. Wenn die Alltagspsychologie nun falsifiziert wäre, so könnte sich herausstellen, dass die Begriffe der Alltagspsychologie sich in Wirklichkeit auf nichts beziehen. Zum Beispiel würde in der Welt den Begriffen „Gedanke“ oder „Seele“ genauso wenig etwas entsprechen, wie dem Begriff „Kristallsphäre“.
Insbesondere die Churchlands haben verschiedene Argumente entwickelt, die zeigen sollen, dass die Alltagspsychologie eine falsche Theorie und abschaffungsreif sei. So argumentieren sie, dass durch die Alltagspsychologie viele Phänomene nicht erklärbar seien, die von den modernen Neurowissenschaften untersucht und erklärt werden könnten. Beispiele seien Geisteskrankheiten, Lernprozesse oder Gedächtnisfähigkeiten. Zudem habe sich die Alltagspsychologie in den letzten 2500 Jahren nicht substantiell fortentwickelt und sei damit eine seit Jahrtausenden stagnierende Theorie. Schließlich hätten schon die alten Griechen eine Alltagspsychologie auf vergleichbarem Niveau gehabt. Demgegenüber seien die Neurowissenschaften ein sich rasant entwickelnder Wissenschaftskomplex, der schon jetzt viele kognitive Fähigkeiten erklären könne, zu denen die Alltagspsychologie keinen Zugang habe.
Im Grunde ist nach Ansicht der Churchlands die Alltagspsychologie sogar seit den ersten Wissenschaftsentwicklungen auf dem Rückzug: In den frühesten Gesellschaften versuchte man noch alle Naturphänomene mit der Zuschreibung von mentalen Zuständen zu erklären: Das Meer war zornig, die Sonne müde. Nach und nach wurden diese alltagspsychologischen Erklärungen durch leistungsfähigere naturwissenschaftliche Beschreibungen ersetzt. Es gebe nun keinen Grund, vor unserem Gehirn Halt zu machen und nicht auch eine leistungsfähigere, naturwissenschaftliche Beschreibung unserer kognitiven Fähigkeiten zu akzeptieren. Wenn wir eine solche Erklärung hätten, brauchten wir eine alltagspsychologische Erklärung unseres Verhaltens genauso wenig, wie eine entsprechende Erklärung des Meeresverhaltens. Beides repräsentiere atavistisches Denken.
Gegen das Theorienargument werden von nichteliminativistischer Seite zwei Arten von Einwänden vorgebracht. Zum einen wird argumentiert, dass die Alltagspsychologie eine durchaus erfolgreiche Theorie ist. Zum anderen wird bezweifelt, dass sich unser Verständnis des Mentalen überhaupt als Theorie begreifen lässt. Jerry Fodor gehört zu den Philosophen, die nachdrücklich auf die Erfolge der Alltagspsychologie hingewiesen haben (Lit.: Fodor, 1987). Sie ermögliche uns in einer extrem effektiven Weise die Kommunikation im Alltag; Verabredungen, Planungen usw. könnten etwa mit wenigen Worten ausgeführt werden. Eine solche Effektivität könne mit einer komplexen neurowissenschaftlichen Terminologie nie erreicht werden. Ein anderes Argument der Churchlands lautete, dass die Alltagspsychologie Phänomene wie Geisteskrankheiten oder viele Gedächtnisprozesse nicht erklären könne. Diesem Argument wird von Antieliminativisten entgegengesetzt, dass es auch gar nicht die Aufgabe der Alltagspsychologie sei, diese Phänomene zu erklären. Es sei daher eine pure Themenverwechslung, wenn man sie wegen dieser „Mängel“ anklage.
Argumente gegen den eliminativen Materialismus
Intuitive Vorbehalte
Die These des eliminativen Materialismus scheint vielen Kritikern so offensichtlich falsch zu sein, dass sich jede weitere Argumentation erübrige. Man müsse sich nur ehrlich selbst befragen, um zu wissen, dass man mentale Zustände habe. Eliminative Materialisten wenden gegen eine solche Ablehnung ihrer Position ein, dass Intuitionen sehr oft zu ganz falschen Bildern der Wirklichkeit geführt haben. Auch hier bieten sich wieder Analogien aus der Wissenschaftsgeschichte an: Es mag offensichtlich erscheinen, dass sich die Sonne um die Erde dreht, doch bei all ihrer scheinbaren Offensichtlichkeit hat sich diese Vorstellung dennoch als falsch erwiesen. Analog: Es mag offensichtlich erscheinen, dass es neben dem neuronalen Geschehen auch noch mentale Zustände gibt, und dennoch könnte sich dies als falsch erweisen.
Doch auch wenn man die Fehleranfälligkeit unserer Intuitionen akzeptiert, lässt sich der Einwand gegen den eliminativen Materialismus reformulieren: Wenn die Existenz von mentalen Zuständen vollkommen offensichtlich scheint und zentral in unserem Weltbild ist, dann brauchte es enorm starker Argumente, um die Existenz mentaler Zustände erfolgreich zu bestreiten. Es scheint aber, dass die Argumente für den Eliminativismus bei weitem nicht stark genug sind, um dies zu erzwingen. Daher gibt es auch keinen Grund, an den eliminativen Materialismus zu glauben. Diese Argumentation setzt allerdings natürlich eine bestimmte Bewertung der eliminativistischen Argumente voraus sowie die Prädisposition, sein Weltbild von Glaube und Intuition bestimmen zu lassen.
Der Inkohärenzeinwand
Manche Kritiker beschränken sich darauf zu argumentieren, dass der eliminative Materialismus eine unplausible Position sei. Andere behaupten hingegen, dass er inkohärent sei, da er letztlich das voraussetzen müsse, was er bestreiten will: Wenn der Eliminativist sagt, dass es keine mentalen Zustände gibt, dann müsse er voraussetzen, dass seine Worte Bedeutung haben, begründet und wahr sind. Nun seien die Begriffe „Bedeutung“, „Grund“ und „Wahrheit“ aber nur unter Bezug auf intentionale, mentale Zustände verständlich. Wenn es in der Welt keine Überzeugungen sondern nur neuronales Geschehen gäbe, so gäbe es auch keine bedeutungsvollen Zustände die wahr oder begründet seien könnten. Da der Eliminativist seiner These allerdings Bedeutung zuspricht und sie für wahr und begründet hält, setze er implizit das voraus, was er eigentlich bestreite – mentale Zustände.
Ein Eliminativist kann auf diesen Einwand reagieren, indem er entweder behauptet, dass sich Bedeutungen, Gründe und Wahrheit auch ohne mentale Zustände erklären ließen, oder er argumentiert, dass er auch ohne diese Elemente auskommen könne. Kritiker erklären jedoch, dass der Eliminativist den Beweis für diese Behauptungen schuldig bleibe.
Qualia
Als ein weiteres Problem für den eliminativen Materialismus gilt die Tatsache, dass Menschen erlebende Wesen sind, also Qualia haben. Da Qualia allgemein als Eigenschaften von mentalen Zuständen angesehen werden, scheint ihre Existenz nicht mit dem Eliminativismus vereinbar zu sein. Tatsächlich lehnen eliminative Materialisten daher auch Qualia ab. Dies ist problematisch, da die Existenz von Qualia vollkommen offensichtlich scheint. Viele Philosophen halten daher einen Qualiaeliminativismus für unplausibel, wenn nicht gar unverständlich. Sie erklären, dass etwa die Existenz von Schmerzerleben schlicht nicht wegzuleugnen ist.
Die klassische Formulierung des Qualiaeliminativismus kommt von Daniel Dennett (Lit.: Dennett 1988). Dennett gibt zu, dass die Existenz von Qualia offensichtlich scheint. Dennoch behauptet er, dass „Qualia“ ein theoretischer Begriff sei, der sich aus einer veralteten Metaphysik bzw. cartesianischen Intuitionen speise. Eine präzise Analyse zeige, dass der Begriff in sich voller Widersprüche und letztlich gehaltlos sei. Dennetts Argumentation wird meist entgegengehalten, dass es zwar wahrscheinlich sei, dass man falsche Überzeugungen in Bezug auf Qualia habe, doch dass dies nicht beweise, dass es Qualia gar nicht gibt.
Auswirkungen auf die Psychologie
Laut des eliminativen Materialismus kommen wir bei der Erklärung und der Therapie von psychischen Fehlfunktionen wesentlich weiter, wenn wir nach anatomischen Defekten oder Anomalien im Gehirn, nach funktionellen Störungen der Physiologie, nach biochemischen Veränderungen des Hirnstoffwechsels und nach genetischen Schädigungen oder Störungen der Gehirnentwicklung suchen. So wird z.B. die Wirkung von Psychotherapien, die auf der Alltagspsychologie aufbauen, vom Eliminativismus als gering eingeschätzt.
Literatur
Eliminativistische Literatur
- Paul Churchland: Eliminative Materialism and the Propositional Attitudes. In: Journal of Philosophy. 1981, S. 67-90 (Zur Elimination von intentionalen Zuständen)
- Patricia Churchland: Neurophilosophy. Toward a Unified Science of the Mind/Brain. MIT Press, Cambridge/MA 1986, ISBN 0262530856 (Ausführliche Darstellung des Eliminativismus)
- Daniel Dennett: Quining Qualia. In: Anthony J. Marcel & Edoardo Bisiach: Consciousness in Contemporary Science. Oxford University Press, Oxford 1988, ISBN 0198521685; 1992, ISBN 0-198-52237-1, S. 42-77 (Klassische Formulierung des Qualiaeliminativismus)
- Paul Feyerabend: Mental Events and the Brain. In: Journal of Philosophy. 1963, S. 295 f. (Frühe Formulierung des Eliminativismus)
- Richard Rorty: Mind-Body Identity, Privacy and Categories. In: Review of Metaphysics. 1965, S. 24-54 (Frühe Formulierung des Eliminativismus)
Eliminativismuskritische Literatur
- C. D. Broad: The Mind and its Place in Nature. Routledge & Kegan, London 1925, ISBN 0415225523 (Broad zog erstmals den Eliminativismus in Betracht, verwarf ihn jedoch.)
- Jerry Fodor: Psychosemantics: The Problem of Meaning in the Philosophy of Mind, MIT Press, 1987, ISBN 0262560526 (Betonung der Erfolge der Alltagspsychologie)
- Hilary Putnam: Representation and reality. MIT Press, 1988, ISBN 0-262-66074-1 (Eliminativismus unplausibel, da er Wahrheit abschaffen müsste)
- dt. Ausgabe: Repräsentation und Realität. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-518-58090-6
Weblinks
- Eintrag in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (englisch, inklusive Literaturangaben)
- Eintrag im Dictionary of Philosophy of Mind (en)
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