Geozentrisches Weltbild

Geozentrisches Weltbild
Geozentrisches Weltbild im Mittelalter aus der Schedelschen Weltchronik um 1493

Im geozentrischen Weltbild (griechisch γεοκεντρικό geokentrikó „erdzentriert“) steht die Erde im Zentrum des Universums. Mond, Sonne und Planeten umkreisen die Erde geometrisch auf Kurvenbewegungen. Beim homozentrischen System als einer der Spielarten der Geozentrik erfolgt dies in verschiedenen, von innen nach außen konzentrisch angeordneten Sphären. Die Achsen der Kreisbahnen gehen dabei durch das Erdzentrum.[1] Diese Sphären wurden teilweise als durchsichtige Hohlkugeln aufgefasst. Die äußerste Sphäre wird von den Fixsternen besetzt. Nach der Epizykeltheorie steht die Erde zwar weiterhin im Zentrum, die Planeten beschreiben um sie aber keine vollkommene Kreisbahn mehr. Das geozentrische Weltbild ist nicht identisch mit dem Konzept einer flachen Erde. Seit Aristoteles wurde überwiegend eine Kugelform der Erde im Rahmen eines geozentrischen Weltbildes vertreten. Es ist das Resultat langer systematischer Beobachtungen und exakter Berechnungen. Bis zu seiner Ablösung in der Renaissance galt es fast 2000 Jahre lang als wissenschaftlich wahr.

Inhaltsverzeichnis

Griechische Antike

Die Erde im Zentrum

Geozentrisches Weltbild in der Variante der Homozentrik (oben) im Gegensatz zum heliozentrischen Weltbild (unten)

Das geozentrische Weltbild wurde im klassischen Altertum in Griechenland eingeführt und setzte sich gegen frühe Meinungen z.B. des Aristarchos von Samos[2] durch, nicht die Erde, sondern die Sonne[3] stehe im Mittelpunkt des Kosmos. Bis zum Ende des Mittelalters war es in Europa allgemein verbreitet. Auch im alten China und in der islamischen Welt wurde ein geozentrisches Weltbild gelehrt. Ob es bereits vor den Griechen in Mesopotamien vertreten wurde, ist nicht sicher. Das geozentrische Weltbild basiert auf der Annahme, dass die Erde und damit mittelbar auch der Mensch im Zentrum des Universums sei, und dass alle Bewegungen des Mondes, der Sonne und der Planeten geometrisch auf Kurvenbewegungen abliefen um die als ruhend oder um ihre Achse rotierend gedachte Erde. Beim homozentrischen System des Eudoxos von Knidos findet diese Kurvenbewegung auf Kreisbahnen statt, deren Achsen durch das Erdzentrum gehen und somit perfekt erscheinen.[4] Bereits Apollonios von Perge und Hipparchos nahmen für ihre Modelle der planetarischen Bewegungen Exzentern und Epizykeln zu Hilfe. Ptolemäus arbeitete mit Ausgleichspunkten um fiktive, exzentrisch gelegene Punkte unter Einschluss von Exzentern und Epizykeln zu erhalten. Herakleides Pontikos wird teilweise ein System zugeschrieben, bei dem sich die Planeten Merkur und Venus um die Sonne drehen, die sich ihrerseits wie der Mond und die Fixsternsphäre um die in ihrer Zentralstellung bewahrte Erde dreht.[5] Dies würde einen Kompromiss zwischen dem geozentrischen und dem heliozentrischen Weltsystem darstellen. In der neueren Forschung ist das Weltsystem des Herakleides allerdings heftig umstritten.[6] Die wichtigste Begründung für die Annahme des geozentrischen Weltbildes war die Beobachtung der Schwerkraft, die sich damit erklären ließ, dass alles Schwere seinem natürlichen Ort, dem Mittelpunkt der Welt, zustrebe. Auch Aristoteles war ein einflussreicher Verfechter des geozentrischen Weltbilds. Die Aristotelische Physik verträgt sich aber streng genommen nicht mit den Hilfsannahmen von Exzentern, Epizyklen und Ausgleichspunkten. Am besten harmoniert sie mit der homozentrischen Variante. Von der Sonne und den Planeten nahm man teilweise an, sie bestünden aus einem überirdischen „fünften Element“, der Quintessenz, dessen natürliche Bewegung die Kreisbahn sei.

Ptolemäisches Weltbild

Hauptartikel: Epizykeltheorie
Schleifenbahn eines Planeten nach der Epizykeltheorie. Die Erde steht zwar weiterhin im Zentrum, die Planeten beschreiben um sie aber keine vollkommene Kreisbahn mehr.

Das Werk des Claudius Ptolemäus Mathematices syntaxeos biblia XIII hat das geozentrische Weltbild für fast 1500 Jahre festgeschrieben. Er verwendete die sogenannte Epizykeltheorie, insoweit wird dann auch vom Ptolemäischen Weltbild gesprochen. Eine Herausforderung für das geozentrische Weltbild war die plötzliche scheinbar rückwärtige Bewegung der äußeren Planeten, beispielsweise des Jupiters, gegen den Sternenhintergrund. Sie führt insgesamt aus der Erdperspektive zu einer scheinbaren Schleifenbewegung des Planeten. Dieses auch als „retrograde Bewegung“ bezeichnete Phänomen tritt gerade dann auf, wenn der Planet der Erde am nächsten ist. Um die astronomischen Beobachtungen mit dem geozentrischen Weltbild in Einklang zu bringen, wurde es notwendig, einen Teil der Himmelskörper auf ihren Bahnen weitere Kreise um diese Bahn ziehen zu lassen. Dies sind die sogenannten Epizykel.[7] Danach bewegen sich die äußeren Planeten in einer Kreisbahn um einen gedachten Punkt, der wiederum die Erde umkreist. Ein Planet bewegt sich zunächst auf einem gleichförmig durchlaufenen Tragekreis (Deferent). Auf diesem rotiert gleichförmig ein zweiter Kreis, der sogenannte Aufkreis (Epizykel). Der Planet selbst läuft gleichförmig auf dem Aufkreis um. Das Zentrum des Aufkreises rotiert gleichförmig um den Mittelpunkt des Tragekreises. Damit stellt sich der von der Erde aus beobachtete Planetenumlauf als Überlagerung dieser Bewegungen dar. Teilweise wurden dann auch noch weitere Bahnen um diese Kreise modelliert. Berechnungen innerhalb dieses Modells waren sehr kompliziert. Durch den Einsatz von etwa 80 solcher Bahnen konnte Ptolemäus die damals möglichen Beobachtungen der Planetenbewegungen in Einklang mit der Geozentrik bringen. Bei der Sonne tritt keine Retrogression auf. Die Ptolemäische Astronomie verknüpfte die Planetenbewegung mit dem Sonnenumlauf unter der Prämisse der Geozentrik und ermöglichte mit ihrem komplexen Modell weitgehend zutreffende Vorhersagen. Im heliozentrischen Weltbild sind Epizykel dagegen überflüssig.

Die christlichen Kirchen

Geozentrisches Weltbild mit Planetenbahnen und Tierkreiszeichen im Kloster St. Georgen um 1506

Das geozentrische Weltbild war - zumindest in seiner homozentrischen Grundform - nahe an der alltäglichen Erfahrung des Beobachters und widersprach nicht der Bibel. Die christlichen Kirchen übernahmen und verteidigten es entschieden. Es ging zunächst auf die griechischen Kirchenväter wie zum Beispiel Basilius der Große (330–379) über. Er behandelte in neun Homilien exegetisch den Schöpfungsbericht und zeichnete ein Naturbild, das unmittelbar an die Antike anknüpfte.[8] Seine Fastenpredigten beeinflussten seinen Freund Ambrosius von Mailand (340–397). Über diesen wurde es auch Augustinus von Hippo bekannt, der ein Schüler des Ambrosius war. Die Originaltexte des Ptolemäus lagen dem Westen im Mittelalter nicht vor, seine und des Aristoteles Theorien waren hauptsächlich durch lateinische Kompendienliteratur bekannt. Die wenigsten Mönchsgelehrten beherrschten überhaupt noch das Griechische. Auch die Scholastiker des 13. Jahrhunderts sahen in der Erde das absolute Zentrum, mit dem die Stellung des Menschen definiert sei. Dagegen befinde sich in der höchsten Sphäre des Himmels das Reich Gottes und der Heiligen: das Empyreum. Bis zum Ende des Mittelalters wurde das geozentrische Weltbild nicht hinterfragt und galt auch wissenschaftlich als wahr. Nachhaltige Zweifel daran kamen erst in der Renaissance auf. Abweichungen davon wurden von der Inquisition zum Teil als Ketzerei verfolgt.

Der Fall Giordano Bruno

Giordano Bruno setzte die Fixsterne mit der Sonne gleich und vermutete dort weitere Planeten und womöglich sogar Leben. In seinem Weltbild stand nicht einmal die Sonne im Mittelpunkt des Universums. Er wurde nicht nur für diese Thesen im Jahr 1600 in Rom öffentlich verbrannt.

Der Fall Galileo Galilei

Als Galileo Galilei Anfang Januar 1610 als erster mit dem Fernrohr die vier größten Monde des Planeten Jupiter entdeckte, wirkte dies schockierend. Es widersprach der Vorstellung, die Erde sei der Mittelpunkt aller Himmelsbewegungen. Auf Anraten des Kardinals Robert Bellarmin wurde im Auftrag des Papstes ein theologisches Gutachten eingeholt, das zu folgenden Ergebnissen kam:

„1. Die Sonne ist der Mittelpunkt der Welt und steht völlig unbeweglich im Raum. Kritik: Nach allgemeiner Auffassung ist dieser Satz philosophisch töricht und absurd, und formal ist er ketzerisch, insofern er der ausdrücklichen Meinung der Heiligen Schrift, wie sie an vielen Stellen aufscheint, widerspricht, und zwar ihrem Wortlaut an sich wie auch den anerkannten Auslegungen dieser Stellen und den Meinungen der Kirchenväter und der Theologie.
2. Die Erde ist weder der Mittelpunkt der Welt noch unbeweglich, sondern bewegt sich als ganze und befindet sich in einer täglichen Bewegung. Kritik: Alle sagen, für diesen Satz gelte in philosophischer Hinsicht das gleiche wie für den vorigen, und hinsichtlich der theologischen Wahrheit ist er zumindest glaubensmäßig irrig.“

Päpstliches Gutachten[9]

Die römisch-katholische Kirche zwang Galilei zum Widerruf seiner Thesen, mit denen er die Erkenntnis des Kopernikus bestätigt hatte, dass sich die Erde um die Sonne drehe. Im 17. Jahrhundert folgten von katholischer Seite noch zahlreiche Versuche, die Geozentrik zu verteidigen. Ein namhafter Hauptvertreter war dabei der Jesuit Giovanni Battista Riccioli, der in Ferrara Professor für Philosophie, Theologie und Astronomie war.[10] Galileis Bücher standen bis 1835 auf dem Index der verbotenen Bücher (Index Librorum Prohibitorum). Erst 1992 wurde er offiziell rehabilitiert.

Tycho Brahe

Hauptartikel: Tychonisches Weltmodell
Weltsystem nach Tycho Brahe: Im Zentrum der Welt steht die Erde, jedoch bewegen sich andere Planeten um die Sonne

Tycho Brahe identifizierte den gedachten Punkt des Ptolemäus mit der Sonne, blieb aber grundsätzlich noch beim geozentrischen Weltbild. In seinem System kreisen Mond und Sonne um die Erde, die anderen Planeten um die sich bewegende Sonne. Es handelt sich um einen Kompromiss zwischen dem geozentrischen und dem heliozentrischen Weltsystem.

Heliozentrisches Weltbild

Hauptartikel: Heliozentrisches Weltbild

Erst durch die Vorarbeiten von Nikolaus Kopernikus[11] und vor allem nachdem Johannes Kepler durch Aufgabe der Theorie der Kreisbewegung zu sehr einfachen mathematischen Gesetzen der elliptischen Planetenbewegung gekommen war, erwies sich das geozentrische Weltbild als überholt. Es wurde durch das letztlich einfachere und mathematisch leichter benutzbare heliozentrische Weltbild ersetzt, das sich etwas später mit Isaac Newtons Gravitationstheorie auch hervorragend theoretisch erklären ließ. Die Unterscheidung zwischen irdischer und himmlischer Materie konnte somit entfallen.

Die Milchstraße

Hauptartikel: Galaktisches Zentrum
Das galaktische Zentrum links oben im infraroten Spektrum, verdeckt von Staubwolken

Bereits Galileo Galilei hatte gesehen, dass der Nebel der Milchstraße - in der auch unser Sonnensystem liegt - aus Sternen besteht. Der 1738 in Hannover geborene Wilhelm Herschel stellte auf der Grundlage der Beobachtungen von Charles Messier einen Katalog mit 2500 Nebeln zusammen. Diese Gebilde entpuppten sich dann zum größten Teil als Galaxien, ähnlich unserer Milchstraße. Nach der Entdeckung des Aufbaus und der Rotation der Milchstraße konnte auch die Sonne nicht mehr als Mittelpunkt des Universums gelten. Das Massenzentrum unserer Milchstraße wird als galaktisches Zentrum bezeichnet. Es liegt im Sternbild Schütze. Dort erscheint das sichtbare Band der Milchstraße am dichtesten. Das galaktische Zentrum enthält das nächste uns bekannte supermassereiche Schwarze Loch. Der modernen Kosmologie und der Einsteinschen Relativitätstheorie zufolge lässt sich mit naturwissenschaftlichen Methoden ein absolutes Zentrum des Universums gar nicht ermitteln. Ungeachtet dieser wissenschaftlichen Debatten stimmen bei Umfragen in westlichen Gesellschaften regelmäßig 20-30 % der Befragten der Aussage zu, dass sich die Sonne um die Erde drehe.[12] In der alltäglichen subjektiven Wahrnehmung des Betrachters auf der Erde bewegen sich Sonne, Mond und Planeten weiterhin um seinen relativen Beobachtungsstandpunkt: „Morgens geht die Sonne auf“.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Jürgen Mittelstrass, Art. Geozentrisch, geozentrisches Weltsystem, in: HWPh Bd. 3, S. 329 ff.
  2. Aristarch von Samos, Über die Größen und Entfernungen der Sonne und des Mondes
  3. Heliozentrisches Weltbild
  4. Vgl. O. Becker, Das mathematische Denken der Antike, 1957, S. 80 ff.
  5. Herakleides, Fragmente 104–117, herausgegeben von Fritz Wehrli, Basel 1953.
  6. Vgl. Hans Krämer, Herakleides Pontikos, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie, Band 3, 2. Auflage, Basel 2004, S. 77 f.
  7. Der Begriff Epyizykel (griech. epíkyklos, Neben- oder Aufkreis), beschreibt den kleinen Kreis, auf dem sich die Planeten bewegen.
  8. Basilius, Hexaemeron, PG 29, 3.208
  9. OP xix 321, zitiert nach: Stillmann Drake, Galilei, Herder, Freiburg i. Br., S. 104 f.
  10. Giovanni Battista Riccioli, Almagestum novum, Bologna 1651
  11. Nikolaus Kopernikus, De Revolutionibus Orbium Coelestium, 1543
  12. "Wissenschaft und Technik im Bewusstsein der Europäer - Ergebnis einer Meinungsumfrage" in: FTE Magazin für die europäische Forschung, Sonderausgabe März 2002, S. 16, Hrg. Europäische Kommission

Literatur

  • Oskar Becker: Das mathematische Denken der Antike. Studienhefte zur Altertumswissenschaft H. 3. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1957
  • Jürgen Mittelstrass: Art. Geozentrisch, geozentrisches Weltsystem, in: Joachim Ritter u.a. (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Schwabe, Basel 1971 bis 2007
  • Arpad Szabo: Das geozentrische Weltbild - Astronomie, Geographie und Mathematik der Griechen. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1992

Weblinks


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