Eltern-Kind-Entfremdung

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Eltern-Kind-Entfremdung (EKE), auch: elterliches Entfremdungssyndrom (engl. Parental Alienation Syndrome (PAS) beschreibt ein Konzept in der Entwicklungspsychologie, welches eine dauerhafte und nach rationalen Maßstäben unbegründete Ablehnung eines getrennt lebenden Elternteils beschreibt. Das Konzept wurde von Richard Gardner formuliert.

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen und vermutete Ursachen

Das Phänomen wurde 1985 zum ersten Mal von dem US-amerikanischen Hochschullehrer und Kinderpsychiater Richard A. Gardner so bezeichnet und beschrieben. Die Hintergrundproblematik ist die in Fachkreisen seit langem beschriebene Situation, dass Eltern und andere, auch professionell, Beteiligten in emotional schwierigen Trennungssituationen die Paarprobleme häufig nicht von der Elternverantwortung trennen können. PAS entsteht maßgeblich durch den Einfluss des betreuenden Elternteils. Dagegen ist die Ablehnung eines Elternteils durch das Kind, die rational begründbar in Folge eines Kindesmissbrauchs oder einer tatsächlichen Vernachlässigung entstanden ist, keine Eltern-Kind-Entfremdung.

Definition des Syndroms

Gardner unterscheidet drei Stufen von PAS, eine milde, eine mittlere und eine schwere. Als schwache Entfremdung gilt, wenn das Kind auch in Anwesenheit beider Eltern zugeben kann, dass es Kontakt zum anderen Elternteil will. Als mittlere Entfremdung gilt, wenn das Kind in Anwesenheit des entfremdenden Elternteils seine Zuneigung zum anderen Elternteil verleugnen muss, dies aber zugeben kann, sobald der entfremdende Elternteil nicht mithört. Als schwere Entfremdung gilt, wenn das Kind den Umgang verweigert und nur schlecht vom Umgangsberechtigten spricht. Die, laut einer niederländischen Untersuchung [1], in 21% von auftretenden Fällen einer schweren Entfremdung können Persönlichkeitsentwicklungsstörungen beim Kind verursachen.

Symptome

Die Symptome zeigt das entfremdete Kind (nicht ein Elternteil) und können nur beispielhaft beschrieben werden: Fremdeln, langsamer Rückzug von einem Elternteil, Lügen, keine Geschenke mehr annehmen, Beschimpfungen aussprechen, kein Unrechtsbewußtsein mehr dem Elternteil gegenüber bei dem es nicht lebt - bis der Kontaktabbruch erfolgt. In der Regel ist hiervon auch die gesamte Familie des Elternteils betroffen. In diesem Zusammenhang wird auch von den Symptomen des 'emotionalen Missbrauchs' gesprochen. Unter der Voraussetzung einer zuvor gesunden/normalen Eltern-Kind Beziehung, findet oft bei Trennung oder Scheidung der Eltern ein langsamer Rückzug bzw. auch ein 'Fremdeln' des Kindes von dem Elternteil statt, bei dem das Kind nicht lebt - was aber altersabhängig ist. Ausgenommen sind in Trennung lebende Eltern, die es schaffen das Kind aus ihrem Paar-Konflikt herauszuhalten. Eltern-Kind-Entfremdung ist kein geschlechtsspezifisches Problem. Die Beschreibungen der Symptome sind unterschiedlich und wiederum altersabhängig, es findet jedoch immer ein schleichender Prozess statt, der sehr subtil verläuft. Anfangs versucht das Kind Treffen mit dem anderen Elternteil abzusagen. Die Gründe sind oft nicht nachzuvollziehen, wobei das Kind auch lügt. Das zeigt, unter welchem Druck und Loyalitätskonflikt das Kind lebt. Der beschuldigte Elternteil ist völlig überrascht, wenn er erfährt, dass das Kind plötzlich keine Geschenke mehr annimmt und Beschuldigungen ausspricht, die er sich nicht erklären kann. Jüngere Kinder nässen u.U. wieder ein und haben Kita- und/oder Schulprobleme durch auffallendes Aggressives- oder Rückzugs-Verhalten, was jedoch auch bei Kindern in Trennungs- und Scheidungsfamilien beobachtet werden konnte, die nicht von einem Elternteil negativ beeinfluss wurden.

Folgen für das Kind

Für das Kind können sich erhebliche psychische Schäden ergeben; manche Psychologen bezeichnen PAS als eine Form von Kindesmisshandlung oder emotionalem Kindesmissbrauch.[2] Das Kind hat schon einen Elternteil verloren und fürchtet, auch noch den erziehenden und betreuenden Elternteil zu verlieren; dies ist für ein Kind fatal. Es hat kaum eine andere Wahl, als sich ganz dem betreuenden Elternteil zuzuwenden und – wenn dieser es verlangt – den umgangsberechtigten Elternteil ebenfalls kompromisslos abzulehnen. Häufig wird es gezwungen, die Liebe zum Umgangsberechtigten zu verleugnen. Oft spielt das Kind dann eine Doppelrolle: es sagt z. B. der Mutter, dass es nicht zum Vater will, dann spielt es höchst vergnügt und liebevoll mit dem Vater und sagt später der Mutter, wie schlecht der Umgang verlaufen sei. Die meisten Kinder sind mit diesen unter Druck entstandenen Rollenspielen überfordert. Durch die Fokussierung auf das Beziehungsproblem kann es zu einer 'Vernachlässigung des Kindes' dahingehend kommen, dass die Probleme des Kindes nicht erkannt oder falsch interpretiert werden. Das Kind kann dann unnötige seelische Belastungen erfahren - wenn beispielsweise die Abwesenheit des auswärtigen Elternteils als persönliche Ablehnung erlebt wird, ohne dass dies durch den erziehenden Elternteil bearbeitet wird. Im schlimmsten Fall bezieht der erziehende Elternteil das Kind bewusst - oder unbewusst durch die eigene seelische Überforderung - in die Paar-Auseinandersetzung parteilich mit ein.

Dies führt häufig zu psychischen Auffälligkeiten beim Kind. Beispiele:

  • Das unselbstständige, objektiv abhängige Kind kann sich auch ohne aktive Manipulation mit dem – im Paarkonflikt – subjektiv leidenden versorgenden Elternteil übermäßig identifizieren (da es die Emotionen des abwesenden Elternteils im Zusammenleben nicht wahrnehmen kann) und es kann sich eine dem Stockholm-Syndrom vergleichbare Identifikation ergeben, die zur sachlich unbegründeten Entfremdung vom abwesenden Elternteil führt.
  • Das unselbstständige, objektiv abhängige Kind kann durch aktive bewusste oder unbewusste Manipulation durch den versorgenden Elternteil von diesem in seinen Gefühlen in einen seelischen Druck gelangen, der zu einer Identifikation mit dem Aggressor führt, durch die das Kind – im Versuch, den versorgenden Elternteil zu legitimieren – den abwesenden Elternteil (objektiv unbegründet) ablehnt.
  • Ein Kind kann aber – bei entsprechender Bindung an den abwesenden Elternteil – durchaus auch paradox reagieren und, sich mit diesem identifizierend, den versorgenden Elternteil und seine Handlungen ablehnen.

Entsprechend der möglichen Ausprägungen der Grundsituation und der kindlichen Reaktionen ist die Definition von Gardner veraltet und, obwohl er sich auf die Fälle mit elterlichem Vorsatz (Gehirnwäsche) beschränkt, unscharf und in Bezug auf die konkrete Beschreibung umstritten. Es gibt noch keine spezifischen Langzeitstudien über sog. PAS-Kinder. Die Psychologin Amy Baker hat 40 als Kind von PAS betroffene Erwachsene ausführlich befragt und die Ergebnisse veröffentlicht.

Gebrauch des Begriffs in der Auseinandersetzung um das Umgangsrecht

In Deutschland haben sich bisher nur vereinzelte Familiengerichte mit dem Problem beschäftigt. Auf den Begriff der Eltern-Kind-Entfremdung wird aber immer häufiger innerhalb von Umgangsrechtsstreitigkeiten Bezug genommen. Speziell Väterorganisationen bezeichnen PAS als eine andere Form von Kindesmissbrauch, denn häufig haben geschiedene Kinder nach nur einem Jahr keinerlei Kontakt mehr zum anderen Elternteil.

Jedoch kann die Wahrnehmung des abgelehnten Elternteils auch zu Fehlinterpretationen und damit zu einer unberechtigten Pathologisierung des ehemaligen Partners führen. Selten herrscht Einigkeit darüber, ob die Ablehnungsgefühle des Kindes selbstentwickelt oder durch den sorgeberechtigten Elternteil entstanden sind.

Da Eltern-Kind-Entfremdung als Syndrom nur dann vorliegt, wenn die Entfremdung vom anderen Elternteil verursacht wurde, und wenn sie nicht aufgrund von Missbrauch oder anderen rational begründbaren Ursachen entstanden ist, ist der bloße Hinweis auf eine Distanzierung für eine Diagnose nicht ausreichend. Deshalb sollte eine Diagnose – wie bei jeder medizinischen Problematik – nur von erfahrenen Fachkräften gestellt werden.

Gegebenenfalls kommt eine Strafverfolgung des verursachenden Elternteils wegen Körperverletzung in Frage.

Einzelnachweise

  1. Kaplan, Esma; Ouderverstoting in Nederland; 2008
  2. C. Heyne: Die sanfte Gewalt: Narzißtischer Mißbrauch; in: Diess: Täterinnen – offene und versteckte Aggression von Frauen, München, 1996.

Literatur

  • Richard A. Gardner: Das elterliche Entfremdungssyndrom (Parental Alienation Syndrome, PAS) : Anregungen für gerichtliche Sorge- und Umgangsregelungen ; eine empirische Untersuchung. VWB Verlag für Wissenschaft und Bildung, Berlin 2002, ISBN 3-86135-117-X
  • Gabriele ten Hövel: Liebe Mama, böser Papa : Eltern-Kind-Entfremdung nach Trennung und Scheidung: Das PAS-Syndrom. Kösel Verlag, München 2003, ISBN 3-466-30628-0
  • Kerstin Förster: Hinter der Fassade ... : Wie werden Interessen von Kindern in Deutschland tatsächlich gewahrt? Athelas-Verlag, Dresden 2004, ISBN 3-9809652-0-1
  • Amy J. L. Baker: Adult Children of Parental Alienation Syndrome. Breaking the Ties that Bind. W. W. Norton & Company, New York, London 2007. A Norton Professional Book ISBN 978-0-393-70519-5
  • Elisabeth Schmidt & Allard Mees: Vergiss, dass es Dein Vater ist. Ehemals entfremdete Kinder im Gespräch, Books on Demand GmbH (2006), ISBN 3-8334-5202-1
  • Carol S. Bruch: Parental Alienation Syndrome und Parental Alienation : Wie man sich in Sorgerechtsfällen irren kann. In: FamRZ:Zeitschrift für das gesamte Familienrecht. Bd. 49 (2002), Nr. 19, S. 1304-1315, ISSN 0044-2410
  • Carol S. Bruch, Parental Alienation Syndrome and Alienated Children – Getting It Wrong in Child Custody Cases (2002)
  • Ursula Schröder (Sampels): " Auswirkungen auf Trennungskinder und Entstehen des sog. PA-Syndroms. " In: [FamRZ]: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Heft 10 (2000), S. 592 ff.

, FamRZ 10/2000

Siehe auch

Weblinks


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