Emmanuel Joseph Sieyès

Emmanuel Joseph Sieyès
Porträt Emmanuel Joseph Sieyès' von Jacques-Louis David aus dem Jahr 1817

Emmanuel Joseph (seit 1808 Graf) Sieyès, auch: l'abbé Sieyès [ɛmaˈnɥɛl ʒoˈzɛf sjeˈjɛs] (* 3. Mai 1748 in Fréjus; † 20. Juni 1836 in Paris) war ein französischer Priester (Abbé) und Staatsmann, einer der Haupttheoretiker der Französischen Revolution und der Ära des Französischen Konsulats.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Aufstieg im Klerus

Er war Sohn eines Angestellten des Fiskus und Postmeisters. Durch Stipendien gefördert, konnte Sieyes am Priesterseminar St. Sulpice in Paris studieren. Dort kam er mit den Lehren John Lockes, Condillacs und anderer politischer Denker der Aufklärung in Berührung und vernachlässigte die Theologie.

Gleichwohl wurde er im Jahr 1774 zum Priester geweiht und war ab 1775 Kanoniker in Tréguier. Dank seiner Gelehrsamkeit und Scharfsinnigkeit stieg er in der kirchlichen Hierarchie auf. Seit 1780 diente er dem Bischof von Chartres als Generalvikar. Bereits in den Jahren 1787 und 1788 war er Mitglied der Provinzialstände der Provinz Orléanais für den Klerus seiner Diözese.

Politischer Schriftsteller

Sieyès Pamphlet aus dem Jahr 1789

In dieser Zeit kam er in Kontakt mit radikalen politischen Salons der Aufklärer in Paris und wurde wohl Freimaurer. Er gehörte zur sogenannten Philosophenloge Neuf Sœurs in Paris.

Nach der Ankündigung der Generalstände im Sommer 1788 trat er als politischer Schriftsteller erstmals hervor. Innerhalb kurzer Zeit veröffentlichte er mehrere umfangreiche Schriften. In diesen stellte der Aufklärer die bisherige ständische Ordnung in Frage und plädierte für eine gewählte Repräsentativversammlung als gesetzgebende Körperschaft. Die bekannteste Schrift war Qu'est-ce que le Tiers État? (Was ist der Dritte Stand?) vom Januar 1789. Diese ist die bis heute auflagenstärkste politische Flugschrift geblieben.

Darin beginnt er mit folgenden Fragen und Antworten:

« 1. Qu'est-ce que le tiers état ?Tout. 2. Qu'a-t-il été jusqu'à présent dans l’ordre politique ?Rien. 3. Que demande-t-il ?À y devenir quelque chose.  »

„1. Was ist der Dritte Stand? – Alles. 2. Was ist er bisher in der politischen Ordnung gewesen? – Nichts. 3. Was fordert er? – Darin etwas zu werden.“

Es wird vermutet, dass er diese Formulierung Nicolas Chamfort verdankt. Weiter schreibt er in diesem Pamphlet über die herrschenden politischen Verhältnisse:

„Hat man beachtet, daß wir diese Ordnung der Dinge, die bei uns aus niedrigen Beweggründen und, ich wage es zu sagen, aus viehischer Dummheit respektiert wird, verachtenswert, monströs, allem handwerklichen Fleiß abträglich, gesellschaftlichen Fortschritten entgegengesetzt, vor allem aber erniedrigend für das menschliche Geschlecht im allgemeinen und unerträglich für Europäer im besonderen finden, wenn wir in der Geschichte des alten Ägyptens oder in den Reiseberichten über Indien davon lesen (etc. etc)?“[1]

Mitglied der Nationalversammlung

Das Pamphlet erregte große Aufmerksamkeit, und sein Autor wurde vom Dritten Stand, nicht vom Klerus, als letzter der zwanzig Pariser Abgeordneten in die Generalstände gewählt. Er gehörte dem Comité breton an und versuchte mit diesem, die Willensbildung der ungeordneten Masse der Abgeordneten zu strukturieren.

Trotz seines Versagens als Redner wurde sein Einfluss groß; er empfahl energisch die Erklärung der Ständeversammlung zur ständelosen Nationalversammlung. In der Folge hatte er erheblichen Anteil an der Ausgestaltung der Französischen Verfassung von 1791. Anfangs lehnte er die Abschaffung des Zehnten und die Konfiszierung von Kirchengütern ab, stimmte dem aber zu, als klar wurde, dass das Staatsdefizit durch die Säkularisierung des Kirchenguts verkleinert werden könnte. Er unterstützte die Einführung der Zivilkonstitution des Klerus. Die Wahl zum Bischof lehnte er 1791 ab, weil er sich für die Laufbahn des Politikers entschieden hatte.

Im Komitee zur Ausarbeitung einer Verfassung, in das er gewählt worden war, lehnte er das Recht eines absoluten Vetos für den König ab, das Mirabeau erfolglos unterstützte. Im Verfassungsausschuss ging es ihm um die Schaffung einer modernen Nation als Zusammenschluss mündiger Bürger und sprach sich für eine Repräsentativverfassung aus.

Im Saal saß er in der Mitte zwischen den Girondisten und den Montagnards. Er hatte beträchtlichen Einfluss bei der Gestaltung des Département-Systems, aber nach dem Frühjahr 1790 wurde er von Männern mit entschlossenerem Charakter verdrängt. Nur einmal wurde er in das Amt des zweiwöchigen Präsidenten der Nationalversammlung gewählt.

Da er als Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung nicht in die gesetzgebende Versammlung wiedergewählt werden durfte, tauchte er wieder in der dritten Nationalversammlung auf, die man als Nationalkonvent bezeichnet (September 1792 - September 1795). In dieser Versammlung wurde seine Zurückgezogenheit noch auffälliger; teilweise kam das von seiner Empörung, teilweise von seiner Ängstlichkeit. Nach dem Terrorregime charakterisierte er sein Verhalten mit der ironischen Bemerkung J'ai vécu (Ich habe überlebt). Er stimmte für die Hinrichtung Ludwigs XVI., aber es ist bekannt, dass er viele der Vorschriften in den Konstitutionen der Jahre 1791 und 1793 missbilligte, wenn er auch wenig oder nichts tat, um sie zu verbessern. Insgesamt hielt sich Sieyès im Konvent im Hintergrund, hat aber am Sturz von Maximilien de Robespierre und von Antoine de Saint-Just aktiv mitgewirkt. Er trat danach in den Wohlfahrtsausschuss ein. In diesem war er am Übergang zum Direktorialsystem beteiligt.

Direktorium der Republik

In den Jahren zwischen 1795 und 1799 hat Sieyes die französische Expansionspolitik vertreten. 1795 begab er sich auf eine diplomatische Mission nach Den Haag und war an der Verhandlung über einen Vertrag zwischen der französischen und der batavischen Republik beteiligt. Er wich von der 1795er Konstitution (des Direktoriums) in einigen Punkten ab, allerdings ohne Erfolg. Daraufhin lehnte er ab, als Direktor der Republik zu dienen. Im Januar 1798 reiste er als Generalbevollmächtigter Frankreichs an den Hof in Berlin, um zu versuchen, Preußen zu einem Zusammenschluss gegen die Zweite Koalition zu bewegen. Sein Verhalten war geschickt, aber er scheiterte mit seiner Hauptabsicht. Das mit seinem Namen verbundene Prestige führte dazu, dass er im Mai 1799 zum Direktor Frankreichs an Reubells Stelle gewählt wurde. Er hatte bereits begonnen, Intrigen für einen Sturz des Direktoriums zu spinnen. Er machte sich nun daran, die Basis der Konstitution von 1795 zu unterminieren und verursachte schließlich die Schließung des Jakobinerklubs. Wegen eines zukünftigen Staatsstreichs näherte sich General Barthélemy-Catherine Joubert an. Der Tod Jouberts in der Schlacht von Novi und die Rückkehr Napoleons aus Ägypten machten seine Pläne zunichte.

Bündnis mit Napoleon

Schließlich kam er jedoch zur Übereinkunft mit dem jungen General. Nach dem Staatsstreich am 18. Brumaire wurde er einer der drei Konsulen der Republik. Sieyès schrieb eine Verfassung nach seinen Vorstellungen, die aber von Bonaparte völlig umgemodelt wurde. Sieyès zog sich bald vom Posten eines provisorischen Konsuls zurück; er wurde daraufhin einer der ersten Senatoren. Nach dem Bombenattentat Ende 1800 (Nivôse-Affäre) verteidigte Sieyès im Senat das willkürliche und illegale Vorgehen, mit dem sich Bonaparte der führenden Jakobiner entledigte.

Französische Akademie

Im Jahre 1795 wurde Sieyès eines der ersten Mitglieder der Académie des sciences morales et politiques, des neuen Institut de France.

Bei der Reorganisation des Instituts von 1803 wurde er in die zweite Klasse gewählt, wo er Sitz 31 einnahm, auf dem früher der Astronom und Politiker Jean-Sylvain Bailly, guilliotiniert 1793, saß.

Nach der Restauration von 1815 wurde Sieyès von der Akademie wegen seiner Rolle bei der Exekution von Ludwig XVI als régicide ausgeschlossen und vom Marquis de Lally-Tollendal ersetzt, ernannt durch königlichen Beschluss.

Spätere Jahre

Während des Kaiserreichs wurde er zum Grafen und 1815 zum Pair von Frankreich ernannt. Politisch spielte er aber kaum eine Rolle. Da er wegen seines Votums für die Hinrichtung Ludwig XVI. als „Königsmörder“ galt, musste Sieyes 1816 ins Exil gehen. Er lebte in Brüssel. Erst nach der Julirevolution kehrte er zurück und starb 1836 in Paris.

Werkausgaben

  • Oliver W. Lembcke / Florian Weber (Hgg.): Emmanuel Joseph Sieyès. Was ist der Dritte Stand? Ausgewählte Schriften (= Schriften zur europäischen Ideengeschichte; Bd. 3), Akademie Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-05-004561-0 (Rezension)

Literatur

  • Charles Philippe Dijon de Monteton, Der lange Schatten des Abbé Bonnot de Mably. Divergenzen und Analogien seines Denkens in der Politischen Theorie des Grafen Sieyès, in: Thiele, U. (ed.): Volkssouveränität und Freiheitsrechte. Emmanuel Joseph Sieyes' Staatsverständnis, Nomos, Baden-Baden, 2009, S. 43-110

Weblinks

 Wikisource: Emmanuel-Joseph Sieyès – Quellen und Volltexte (Französisch)

Belege

  1. Sieyes über die Rolle des Dritten Standes, "Was ist der Dritte Stand?" in: Paschold/Gier: Die Französische Revolution, Ein Lesebuch mit zeitgenössischen Berichten und Dokumenten, Stuttgart 2005.


Vorgänger Amt Nachfolger

François-Antoine Boissy d'Anglas
Präsidenten des französischen Nationalkonvents
20. April 1795-5. Mai 1795

Théodore Vernier


Vorgänger Amt Nachfolger

François-Toussaint Villers
Präsidenten des französischen Rats der Fünfhundert
21. November 1797-20. Dezember 1797

Joseph Boulay de la Meurthe

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