Romanische Sprachen

Romanische Sprachen

Die romanischen Sprachen bilden einen Zweig der indogermanischen Sprachen. Es gibt etwa 15 romanische Sprachen mit rund 700 Mio. Muttersprachlern, 850 Mio. inklusive Zweitsprechern. Die sprecherreichsten romanischen Sprachen sind Spanisch (330 Mio. Sprecher, 415 Mio. inklusive Zweitsprecher), Portugiesisch (216 Mio.), Französisch (80 Mio., 265 Mio. inklusive Zweitsprecher), Italienisch (62 Mio.) und Rumänisch (28 Mio.).[1]

Im Gegensatz zu den meisten anderen Sprachgruppen ist die Ursprache des Romanischen gut bezeugt: es handelt sich um das gesprochene Latein der Spätantike (Volkslatein oder Vulgärlatein). Das Lateinische selbst gilt nicht als romanische Sprache, sondern wird zu den italischen Sprachen gerechnet, von denen mit den romanischen Sprachen nur das Lateinische heute noch „Nachkommen“ hat.

Die romanischen Weltsprachen. Dunkle Farbtöne stellen offiziellen Sprachstatus dar, helle eine inoffizielle, aber weite Verbreitung.
Span. Portugies. Französ. Italien. Rumän.

Inhaltsverzeichnis

Heutige Standardsprachen

Die heutigen romanischen Standardsprachen sind:

Sprache Verbreitung Muttersprachler
Spanisch (castellano, español) Spanien, Nord-, Mittel- und Südamerika (außer Brasilien, Guyana, Surinam, Belize), Äquatorialguinea, Westsahara und Teile der USA und der Philippinen.   ca. 388.000.000
Portugiesisch (português) Portugal, Brasilien, Angola, Äquatorialguinea, Mosambik, Osttimor, Kap Verde, Guinea-Bissau, São Tomé und Príncipe, Macao ca. 216.000.000
Französisch (français) Frankreich, Belgien (Region Wallonien), westliche Kantone (Romandie) der Schweiz, Antillen, Kanada (Québec, Teile von Ontario und Neubraunschweig), in ehemaligen französischen und belgischen Kolonien Afrikas (vor allem Elfenbeinküste und DR Kongo) ca. 110.000.000
Italienisch (italiano) Italien, Schweiz (Tessin und südliches Graubünden), San Marino, Vatikanstadt, Kroatien (Gespanschaft Istrien), Slowenien (Koper, Piran, Izola) 85.000.000
Rumänisch (oder Moldauisch; română) Rumänien, Moldawien, Serbien (Vojvodina und Timočka Krajina) und andere Länder in Osteuropa und Naher Osten (unter anderem Ukraine und Israel)[2] 28.000.000
Katalanisch (català) Katalonien (Spanien) einschließlich des Roussillon (Südfrankreich), Andorra, Balearen, Valencia und auf Sardinien in der Stadt L'Alguer/Alghero 8.200.000
Venetisch (vèneto) Venetien (Italien), Friaul-Julisch Venetien, Trentino, Istrien und in Rio Grande do Sul (Brasilien) 5.000.000
Galicisch (galego) Galicien (Spanien) 3.000.000
Asturisch (asturianu) Asturien (Spanien) 100.000
Okzitanisch (occitan) südliches Drittel Frankreichs, Randgebiete Italiens (piemontesische Alpen) und Spaniens (Val d'Aran in Katalonien ) 2.800.000
Sardisch (sardu) Sardinien (Italien) 1.200.000
Furlanisch (furlan) Friaul (Italien) 350.000
Rätoromanisch (Bündnerromanisch; Rumantsch/Romontsch/Rumauntsch) Schweizer Kanton Graubünden 60.000 (wovon in Graubünden 27.000)
Ladinisch (ladin) Italien (Südtirol, Trentino, Venetien) 40.000
Aragonesisch (aragonés) Aragonien (Spanien)
Status als Standard umstritten
12.000

Romanische Sprachen nach Untergruppen

Die heutige Ausbreitung romanischer Sprachen in Europa
Das romanische Sprachareal in Europa und dessen Hauptgruppen

Die romanischen Sprachen lassen sich nach teilweise systemlinguistischen, teilweise geographischen Kriterien in mehrere Untergruppen einteilen. Bei der folgenden Liste der romanischen Sprachen ist zu beachten, dass bei vielen romanischen Idiomen die Aufzählung schwierig ist, da sie je nach Quelle mal als eigenständige Sprachen, mal als Dialekte geführt werden. Das hängt damit zusammen, dass sie nicht über eine einheitliche Standardsprache verfügen, sondern überwiegend neben einer anderen Standardsprache vor allem in informellen Kontexten verwendet werden (Diglossie).

Mit Ausnahme des Sephardischen und des Anglonormannischen handelt es sich bei den hier aufgezählten um Sprachformen, die sich direkt und in ungebrochener zeitlicher Kontinuität aus dem gesprochenen Latein entwickelt haben. Sie bilden in Europa mit Ausnahme des Rumänischen auch ein räumliches Kontinuum. Man spricht aufgrund der zeitlichen und räumlichen Kontinuität auch von Romania continua.

Die wichtigste Unterscheidung unter den romanischen Sprachen auf dem Gebiet der historischen Lautlehre und Morphologie ist die zwischen ost- und westromanischen Sprachen. Zum Westromanischen werden das gesamte Iberoromanische und Galloromanische sowie die norditalienischen Varietäten gerechnet, zum Ostromanischen das Italienische (mit Ausnahme der norditalienischen Varietäten) und das Balkanromanische. Die Stellung der rätoromanischen Sprachen (Bündnerromanisch, Ladinisch und Furlanisch) in dieser Klassifikation ist strittig. Das Sardische wird meist ganz von dieser Unterscheidung ausgenommen, da es keiner der beiden Gruppen klar zugeordnet werden kann.

Iberoromanische Sprachen

Zum Iberoromanischen gehören die spanische, die portugiesische und die galicische Standardsprache (letztere werden manchmal zu einem Diasystem zusammengefasst). Die Stellung des im Nordosten der Iberischen Halbinsel gesprochenen Katalanischen (einschließlich des Valencianischen) ist umstritten, es nimmt eine Übergangsstellung zwischen dem Iberoromanischen und dem Galloromanischen ein. Außerdem gehören zu den iberoromanischen Sprachen:

Galloromanische Sprachen

Auf fast dem gesamten Gebiet der galloromanischen Sprachen wird heute die französische Standardsprache verwendet. Nach systemlinguistischen Kriterien kann man die galloromanischen Sprachen zu drei Gruppen zusammenfassen:

Die Abgrenzung des Galloromanischen zum Iberoromanischen und zum Italoromanischen innerhalb des romanischen Dialektkontinuums ist nicht eindeutig. Das Katalanische nimmt eine Übergangsstellung zwischen Galloromanisch und Iberoromanisch ein, die galloitalienischen Varietäten haben rein systemlinguistisch betrachtet mehr mit dem Galloromanischen gemeinsam als mit dem übrigen Italoromanischen, zu dem sie aus geographischen und kulturgeschichtlichen Gründen meist gezählt werden. Die enge Verzahnung mit dem Romanischen des heutigen Frankreichs wird aber beispielsweise in den gallischen/keltischen Reliktwörtern des Galloitalienischen deutlich, die zum größten Teil auch im keltischen Reliktwortschatz der Transalpina zu finden sind.[3]

Rätoromanische Sprachen

Unter der Bezeichnung alpenromanische oder rätoromanische Sprachen werden manchmal das Furlanische, das Bündnerromanische und das Ladinische zusammengefasst. Sie sind von den galloitalienischen Idiomen gleichsam abgesondert worden, nachdem diese bzw. ihre Sprecher sich mehr südlich an den zentralitalienischen Mundarten orientierten.

Italoromanische Sprachen

Die einzige italoromanische Standardsprache ist das Italienische. Die übrigen italoromanischen Sprachen gehören mit Ausnahme des Korsischen und des Monegassischen alle zum Geltungsbereich der italienischen Standardsprache und werden deshalb oft auch als italienische Dialekte klassifiziert. Sie lassen sich in drei Untergruppen einteilen, zwischen denen große Unterschiede bestehen:

  • Mittelitalienische Varietäten werden in den Regionen Toskana und Umbrien und im größten Teil von Latium und Marken gesprochen. Die Grenze zu den norditalienischen Varietäten folgt ungefähr der Linie La Spezia – Rimini, die Grenze zu den süditalienischen Varietäten der Linie Rom – Ancona. Sie bilden die Grundlage der italienischen Standardsprache. Das Korsisch auf Korsika, das dort neben dem Französischen auch in begrenztem Maße offizielle Anerkennung erlangt hat, gehört systemlinguistisch betrachtet auch zu den mittelitalienischen Varietäten, hat jedoch aus geographischen und kulturgeschichtlichen Gründen eine Sonderstellung.
  • Das Istriotische wird im Südwesten Istriens gesprochen und mitunter auch als eigenständige Sprache bezeichnet.

Sardisch

Das Sardische auf Sardinien lässt sich keiner der Untergruppen zuordnen. Es besitzt derzeit keine einheitliche Standardsprache, muss jedoch aufgrund seines Systemabstandes zu den übrigen romanischen Sprachen auf alle Fälle als eigenständige Sprache klassifiziert werden.

Balkanromanische Sprachen

Zur Balkanromanischen Sprachgruppe gehört als einzige Standardsprache das Rumänische (auch als Dakorumänisch bezeichnet). Die offiziell als Moldauisch bezeichnete Amtssprache Moldawiens ist bis auf wenige Unterschiede mit der rumänischen Standardsprache identisch.

Zur Gruppe der Balkanromania gehören zudem mehrere in Südosteuropa gesprochene Kleinsprachen:

Ausgestorbene romanische Sprachen

Heute ausgestorbene romanische Sprachen (Romania submersa, untergegangene Romania) sind:

Kreolsprachen auf romanischer Grundlage

Manche Linguisten rechnen auch die romanisch-basierten Pidgins und Kreolsprachen zu den romanischen Sprachen. Diese „neuromanischen Sprachen“ (Romania nova) lassen sich einteilen in:

  • Lingua Franca (Pidgin)
  • französisch-basierte Kreolsprachen
  • spanisch-portugiesisch-basierte Kreolsprachen

Siehe auch: Liste der Kreolsprachen

Plansprachen auf teilweise romanischer Grundlage

Die allermeisten Plansprachen sind eine reformierte romanische Sprache oder eine Synthese aus mehreren. Unter der sogenannten naturalistischen Richtung versteht man eben solche Plansprachen. Das bekannteste und wichtigste Beispiel ist Interlingua von 1951. Aber auch das Esperanto der sogenannten autonomen Richtung hat seinen Wortschatz zu mehr als drei Vierteln aus dem Lateinischen und romanischen Sprachen, vor allem dem Französischen.

Sprachvergleich

Grammatikalische und Wortähnlichkeiten innerhalb der romanischen Sprachen bzw. zwischen diesen und dem Latein zeigen die folgenden Beispielsätze:

Klassisches Latein Semper foemina (illa) cenat fenestra claudit.
Vulgärlatein Ea semper fenestram claudit antequam cenet.
Latein in "romanischerem Satzbau" (Illa) claudit semper fenestram ante quam cenat (oder: ante cenam = vor dem Mahl).
aragonesisch Ella tranca (zarra) siempre la finestra antis de zenar.
leonesisch Ella piecha siempres la fiestra primeiru de xintare.
asturisch Ella pieslla siempre la ventana (feniestra) primero de cenar.
extremadurisch Ella siempri afecha la ventana enantis de cenal.
lombardisch (Lé) la sèra sèmper sö la finèstra prima de senà.
Mailänder Dialekt (Lee) la sara semper su la finestra primma de disnà.
katalanisch Ella tanca sempre la finestra abans de sopar.
französisch Elle ferme toujours la fenêtre avant de dîner (souper).
galizisch Ela pecha sempre a fiestra (xanela) antes de cear.
italienisch (Lei) chiude sempre la finestra prima di cenare.
mirandesisch Eilha cerra siempre la bentana (jinela) atrás de jantar.
neapolitanisch Chella chiude (’nzerra) sempe ’a fenesta primm’ ’e mangià.
okzitanisch Barra totjorn la fenèstra abans de sopar.
piemontisch Chila a sara sèmper la fnestra dnans da fé sin-a.
portugiesisch Ela sempre fecha a janela antes de jantar.
römisch (Stadtdialekt Roms) (Quella) chiude sempre ’a finestra prima de magnà.
rumänisch Ea închide totdeauna fereastra înainte de cina.
rätoromanisch (romantsch) Ella clauda (serra) adina la fanestra avant ch’ella tschainia.
sardisch Issa semper serrat su balcone antes de chena.
sizilianisch Idda chjùi sempri a finestra prima i manciari.
spanisch Ella siempre cierra la ventana antes de cenar (comer).
venetisch Ła sera sempre ła finestra prima de senar.
wallonisch Ele sere todi li finiesse divant di soper.
Übersetzung Sie schließt immer das Fenster, bevor sie zu Abend isst.

Auch die folgende Übersicht macht Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede im Wortschatz deutlich.

Latein (Nomen im Nominativ und Akkusativ) Französisch Italienisch Spanisch Okzitanisch Katalanisch Portugiesisch Rumänisch Sardisch Korsisch Frankoprovenzalisch Deutsche Übersetzung
clavis/clavem clé chiave llave clau clau chave cheia crae chjave/chjavi clâ Schlüssel
nox/noctem nuit notte noche nuèch (nuèit) nit noite noaptea notte notte/notti nuet Nacht
cantare chanter cantare cantar cantar (chantar) cantar cantar cântare cantare cantà chantar singen
capra/capram chèvre capra cabra cabra (chabra, craba) cabra cabra capra cabra capra cabra / chiévra Ziege
lingua/linguam langue lingua lengua lenga llengua língua limba limba lingua lenga Sprache
platea/plateam place piazza plaza plaça plaça praça piaţa pratza, pratha piazza place Platz
pons/pontem pont ponte puente pont (pònt) pont ponte podul ponte ponte/ponti pont Brücke
ecclesia/ecclesiam église chiesa iglesia glèisa (glèia) església igreja biserica creia, cresia ghjesgia églésé Kirche
hospitale hôpital ospedale hospital espital (espitau) hospital hospital spitalul ispidale spedale/uspidali hèpetâl Hospital
caseus/caseum
Vulgärlateinisch formaticum
fromage formaggio queso formatge (hormatge) formatge queijo brânză casu casgiu tôma / fromâjo Käse

Literatur

Umfassende wissenschaftliche Werke

  • Georg Bossong: Die romanischen Sprachen. Eine vergleichende Einführung. Buske, Hamburg 2008.
  • Martin Harris, Nigel Vincent (Hrsg.): The Romance Languages. Oxford University Press, London 1988.
  • Günter Holtus / Michael Metzeltin / Christian Schmitt: Lexikon der Romanistischen Linguistik (LRL). Niemeyer, Tübingen 1988-2005 (12 Bände).
  • Rebecca Posner: The Romance Languages. Cambridge University Press, Cambridge 1996.
  • Lorenzo Renzi: Einführung in die romanische Sprachwissenschaft. Narr, Tübingen 1981. (Verbesserte italienische Auflage: Nuova introduzione alla Filologia romanza. Il Mulino, Bologna 1994.)
  • Carlo Tagliavini: Einführung in die romanische Philologie. Francke, Bern 1998. (Erstauflage 1972.)

Kürzere Einführungen

  • Alwin Kuhn: Die romanischen Sprachen. Francke, Bern 1951.
  • Petrea Lindenbauer / Michael Metzeltin / Margit Thir : Die romanischen Sprachen. Eine einführende Übersicht. G. Egert, Wilhelmsfeld 1995.
  • Michael Metzeltin: Las lenguas románicas estándar. Historia de su formación y de su uso. Academia de la Llingua Asturiana, Uviéu 2004. online Version
  • Michael Metzeltin: Erklärende Grammatik der romanischen Sprachen, Satzkonstruktion und Satzinterpretation. Praesens, Wien 2010.
  • Rainer Schlösser: Die romanischen Sprachen. Beck, München 2001.
  • Carl Vossen: Mutter Latein und ihre Töchter. Fischer, Frankfurt 1968.

Verweise

  1. Saint Ignatius High School, Cleveland, USA: vergleichende Zusammenstellung verschiedener Quellen zur Verbreitung der Weltsprachen (englisch)
  2. Ethnologue Information zur rumänischen Sprache. Siehe auch MSN Encarta
  3. Vgl. dazu Joachim Grzega: Romania Gallica Cisalpina: Etymologisch-geolinguistische Studien zu den oberitalienisch-rätoromanischen Keltizismen. (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie 311), Tübingen: Niemeyer 2001.

Weblinks

Siehe auch


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