Euroislam

Euroislam

Der Euroislam soll Pflichten und Prinzipien des Islam mit der modernen europäischen Kultur und ihren Werten kombinieren. Der Begriff „Euroislam“ wurde 1992 von Bassam Tibi für seine liberale Version des Islam eingeführt, wird aber auch für die reform-salafistische Position verwendet, die von Tariq Ramadan vertreten wird.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsprägung durch Bassam Tibi

Bassam Tibi versteht unter Euro-Islam eine europäisch-islamische Synthese im Rahmen der Europäisierung des Islam und darüber hinaus auch den Abschied von der Schari'a und Djihad, welche die Integration von Muslimen in Europa behindern.[1] Euro-Islam bedeutet für ihn, dass in Europa lebende muslimische "Citoyens" die Trennung von Religion und Staat akzeptieren. Als Gegensatz dazu sieht er als Konfliktszenario eine Ghettoisierung der Muslime mit ungeheurem Gewaltpotential für das 21. Jahrhundert.

Tibi distanziert sich von organisierten, sendungsbewussten Islamisten, die ihrerseits den Euro-Islam kategorisch ablehnen. Den Anteil der Islamisten an den gegenwärtig ca. 23 Millionen in der Europäischen Union lebenden Muslimen schätzt er auf drei bis fünf Prozent, bezeichnet sie dennoch als gefährliche Minderheit, weil sie seiner Meinung nach versuchen, die Führung der islamischen Gemeinde auf ihre Seite zu bringen und auch über die Mittel hierzu verfügen. Tibi distanziert sich ausdrücklich von Tariq Ramadans Verständnis des Begriffs "Euro-Islam", der durch da'wa und Beibehaltung der Scharia auf eine Islamisierung hinauslaufe.[2]

Verwendung für die Position Tariq Ramadans

Tariq Ramadan, der als Vertreter des Euro-Islam bekannt ist, obwohl er den Begriff selbst ablehnt, tritt für eine neue europäisch-muslimische kulturelle Identität ein.[3] In seinem Buch "Muslimsein im Westen" fordert er die Partizipation am gesellschaftlichen Leben sowie kulturelle Projekte im Einklang mit der europäischen Kultur und der muslimischen Ethik. Um seine Auffassung der Stellung des Islam in Europa zu verdeutlichen, prägte der den Neologismus Dar asch-Schahada (Gebiet des Glaubensbekenntnisses), das unter der Bedingung der Religionsfreiheit den traditionellen Gegensatz zwischen islamischer Welt und dem nicht-islamischen Dar al-Harb (Gebiet des Krieges) aufbrechen soll. Dadurch soll die Notwendigkeit eines Dschihad entfallen. Allerdings lehnt Ramadan anders als Bassam Tibi die Scharia nicht grundsätzlich ab, sondern tritt lediglich für ein Moratorium für übertrieben harte Strafen ein.[4]

Ramadans Version des Euroislam ist unter Nicht-Moslems umstritten. Während einige seinen Versuch loben, den Islam ohne Identitätsverlust in die moderne europäische Gesellschaft zu integrieren, kritisieren ihn andere als letztlich „fundamentalistisch“ oder „antisemitisch“.[5] Dagegen macht Ramadan selbst geltend, dass er sich durch seine Kritik an den Strafen der Scharia bei buchstabengetreuen Muslimen Feinde gemacht hat bis hin zu einem Einreiseverbot nach Saudi-Arabien.[6]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Bassam Tibi, Euro-Islam, Darmstadt: Primus, 2009; außerdem Bassam Tibi - Keine Selbstaufgabe durch totale Anpassung an den Westen - Der Euro-Islam ist nur im Einklang mit der kulturellen Moderne möglich - Das Parlament, 32-33 2005
  2. Tibi hat die Unterschiede zwischen sich und Ramadan in seinem Kapitel "Euro-Islam: An Alternative to Islamization and Ethnicity of Fear", in: Zeyno Baran (Hrsg.), The Other Muslims: Moderate and Secular, New York: Palgrave Macmillan, 2010 herausgearbeitet; der US-amerikanische Schriftsteller Paul Berman schreibt in seinem Buch "The Flight of the Intellectuals (New York 2010), dass Ramadan unter europäischem Islam eine "counter culture in the West" versteht, "...he does not mean what someone like Bassam Tibi, the liberal, means by Euro-Islam. Ramadan means a Salafi reformism ... faithful to the Seventh Century" (S. 150).
  3. Twerdalla: Der Euro-Islam des islamischen Intellektuellen Tariq Ramadan. In: Manuel Franzmann, Christel Gärtner, Nicole Köck (Hg) Religiosität in der säkularisierten Welt: theoretische und empirische Beiträge zur Säkularisierungsdebatte in der Religionssoziologie.Band 11 von Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Verlag VS Verlag, 2006, ISBN 3810040398, S. 321.
  4. [1]
  5. Twerdalla: Der Euro-Islam des islamischen Intellektuellen Tariq Ramadan. In: Manuel Franzmann, Christel Gärtner, Nicole Köck (Hg) Religiosität in der säkularisierten Welt: theoretische und empirische Beiträge zur Säkularisierungsdebatte in der Religionssoziologie.Band 11 von Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Verlag VS Verlag, 2006, ISBN 3810040398, S. 321.
  6. Zenith: »Der Mainstream hört mir zu.« Interview mit Tariq Ramadan vom 16. Februar 2011

Literatur

und viele andere Bücher Tibis

  • Tariq Ramadan: Die europaeischen Muslime, in: Troll SJ, Christian W. (Katholische Akademie in Berlin, Hrsg.): Der Europäische Islam. Ein reale Perspektive?, Berlin 2001, S. 9-20, ISBN 3-87554-360-2
  • Tariq Ramadan: Western Muslims and the Future of Islam. Oxford University Press, USA, 2005, ISBN 0-19-518356-8
  • Ralph Ghadban: Tariq Ramadan und die Islamisierung Europas. Schiler, Berlin 2006, ISBN 3-89930-150-1
  • Faruk Sen et al.: Euro-Islam. Eine Religion etabliert sich in Europa. ZFT-Aktuell 102, Stiftung Zentrum für Türkeistudien, Essen 2004 ([2])
  • Christian W. Troll SJ (Katholische Akademie in Berlin, Hrsg.): Der Europäische Islam. Ein reale Perspektive?, Berlin 2001, ISBN 3-87554-360-2
  • Florian Remien: Muslime in Europa: Westlicher Staat und islamische Identität. Untersuchung zu Ansätzen von Yusuf al-Qaradawi, Tariq Ramadan und Charles Taylor, Schenefeld/Hamburg 2007, ISBN 978-3-936912-61-6
  • AlSayyad Nezar et al.: Muslim Europe or Euro-Islam: Politics, Culture, and Citizenship in the Age of Globalization (Transnational Perspectives). Lexington Books, May 2002, ISBN 0-7391-0338-5
  • Bassam Tibi, "Euro-Islam: An Alternative to Islamization and Ethnicity of Fear", in: Zeyno Baran (Hrsg.), The Other Muslims: Moderate and Secular, New York: Palgrave Macmillan, 2010, ISBN: 978-0-230-62188-6
  • Bassam Tibi: Der Euro-Islam als Brücke zwischen Islam und Europa - Essay vom 20. März 2007, veröffentlicht bei perlentaucher.de
  • Arno Tausch: "Armut und Radikalität? Soziologische perspektiven zur Integration der Muslime in Europa, basierend auf dem 'World Values Survey' und dem 'European Social Survey'" Bremen: Europäischer Hochschulverlag, 2010, vgl. auch Karl Pfeifer's Rezension in Die Jüdische, Oktober 2010
  • Peter A. Kiss: Islamic Fundamentalism and Political Violence In Europe. , BramshillFebruary, 2010.

Weblinks


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