Europäische Gottesanbeterin

Europäische Gottesanbeterin
Europäische Gottesanbeterin
Europäische Gottesanbeterin (Mantis religiosa)

Europäische Gottesanbeterin (Mantis religiosa)

Systematik
Klasse: Insekten (Insecta)
Ordnung: Fangschrecken (Mantodea)
Familie: Mantidae
Unterfamilie: Mantinae
Gattung: Mantis
Art: Europäische Gottesanbeterin
Wissenschaftlicher Name
Mantis religiosa
Linnaeus, 1758
braunes Männchen
Weibchen beim Fressen eines Männchens
Jungtier
Detailansicht eines Weibchens
Weibchen beim Fressen einer Heuschrecke
Abwehrhaltung
Beutefang, Nahrungsaufnahme

Die Europäische Gottesanbeterin (Mantis religiosa) ist die einzige in Mitteleuropa vorkommende Vertreterin der Ordnung der Fangschrecken (Mantodea). In Deutschland ist sie in der „Roten Liste der Geradflügler“ [1] (Rote Liste) in die Kategorie 3 („gefährdet“) eingruppiert und genießt nach den Bestimmungen des Bundes-Naturschutz-Gesetzes (BNatSchG) in Verbindung mit der Bundes-Artenschutz-Verordnung (BArtSchV) besonderen Schutz. Deshalb darf sie u. a. weder gefangen noch gehalten werden.

Inhaltsverzeichnis

Merkmale

Weibchen können bis zu 75 mm lang werden, die Männchen sind deutlich kleiner und erreichen eine Länge bis zu 60 mm. Die Grundfärbung reicht von zartgrün bis braun, auf ehemaligen Brandflächen kann man sogar fast schwarzen Individuen begegnen (Feuermelanismus). An der Basis der Innenseite der Vorderhüften befindet sich ein schwarzer, oft weiß gekernter Fleck, der in der Abwehrhaltung als augenähnliche Zeichnung gezeigt wird (Mimikry). Die unterschiedlichen Färbungsvarianten entstehen nach den einzelnen Häutungen als Anpassung an die Umgebung.[2]

Auffallend sind der verlängerte Halsschild und der große, dreieckige, sehr bewegliche Kopf. Während die beiden hinteren Beinpaare als Schreitbeine gestaltet sind, sind die Vorderbeine zu Fangbeinen umgebildet. Femur und Tibia sind mit Dornen zum Festhalten der Beute besetzt.

Zwischen den Facettenaugen befinden sich drei Ocellen, die beim Männchen deutlicher ausgebildet sind und als Merkmal zur Geschlechtsunterscheidung herangezogen werden können.

Lebensweise

Im Mittelmeerraum besiedelt die Gottesanbeterin viele unterschiedliche Lebensräume, in Mitteleuropa ist sie dagegen auf ausgesprochene Wärmeinseln beschränkt. Die Bindung an Wärmegebiete ist bedingt durch das notwendige Beuteangebot der Larven im Frühjahr, die Eier können dagegen in Steppengebieten auch Winter mit sehr tiefen Minustemperaturen überstehen (letale Temperatur: -43 °C).

Die etwa 6 mm langen Larven schlüpfen im Mai/Juni und durchlaufen bei einigen Populationen fünf bis sechs, bei anderen dagegen sechs bis sieben Larvenstadien (die geringere Stadienzahl gilt für männliche, die höhere für weibliche Individuen). Gegen Ende Juli/Anfang August erscheinen die ersten erwachsenen Tiere (Imagines). Etwa 14 Tage nach der Imaginalhäutung werden die Tiere geschlechtsreif. Wie auch bei anderen Fangschreckenarten kommt es gelegentlich vor, dass das Weibchen von Mantis religiosa vor, während oder nach der Paarung das Männchen auffrisst. Dies konnte unter anderem durch Freilandstudien bestätigt werden.[3][4][5][6][7] Während die Männchen mancher Mantodeen-Arten einen ausgeprägten Balztanz ausführen, um vom Weibchen nicht als Beute angesehen zu werden,[8] konnte ein derartiges Verhalten bei Mantis religiosa bisher nicht festgestellt werden.[9][7]

Einige Tage nach der Begattung schreiten die Weibchen zur Eiablage. Die Eier werden nicht einzeln, sondern immer zu mehreren in einer sogenannten Oothek abgelegt; dabei handelt es sich um ein Gelege in einer schnell erhärtenden Schaummasse, das in der Regel 100-200 Eier enthält. Im Herbst verenden die erwachsenen Tiere, während die Eier mit den Embryonen in den durch ihre spongiöse Schutzhülle ausgezeichnet isolierten Ootheken überwintern.

Verbreitung

Ursprünglich stammt die Art aus Afrika, hat sich aber in der Alten Welt über den gesamten Mittelmeerraum und große Teile Asiens östlich bis nach Japan und bis zu den großen Sundainseln ausgebreitet. In nord-südlicher Richtung reicht ihr Verbreitungsgebiet vom südlichen Westsibirien bis zum Kap der guten Hoffnung. Durch Verschleppung ist sie inzwischen auch in der Neuen Welt vertreten, und zwar auf dem Nordamerikanischen Kontinent (in weiten Teilen der östlichen USA und im südlichen Kanada). Sie fehlt – trotz manchen anderslautenden Angaben in der Literatur – in Südamerika und Australien.[7]

Die nördlichsten Vorkommen überschreiten östlich des Ural-Gebirges im südlichen Westsibirien bei Tscheljabinsk den 54., bei Omsk sogar den 55. Breitengrad und westlich des Urals in Osteuropa den 53. Grad n. Br.[7] In Mitteleuropa reicht die Verbreitung der Gottesanbeterin – abgesehen von der Exklave Berlin-Schöneberg (52.48N, 13.37E) – lediglich bis zum 51. Breitengrad (südöstliches Polen: Hochfläche von Lublin). Während Mantis religiosa auf der Nordhalbkugel südlich des 46. Breitengrades (46° n. Br.) an geeigneten Örtlichkeiten fast überall vorkommt, ist sie nördlich dieser Linie nur vereinzelt in klimatisch begünstigten Gegenden zu finden.

Ein Verbreitungsschwerpunkt in Deutschland ist der südliche Oberrhein mit dem Isteiner Klotz und dem Kaiserstuhl, weitere Populationen sind aus Rheinland-Pfalz (Bienwaldgebiet und Raum Trier) bekannt. Einzelne Fundmeldungen gibt es ferner aus dem Saarland und aus Bayern (Fränkische Schweiz) sowie seit kurzem auch wieder aus Hessen, nachdem die Gottesanbeterin dort lange Zeit als ausgestorben galt. Aus Hessen und Bayern fehlen aber bisher eindeutige Hinweise auf Reproduktion (Nachweise von Ootheken). Dagegen ist seit 1998 auch ein Inselvorkommen im Stadtgebiet von Berlin-Schöneberg bekannt, dessen Individuen sich alljährlich erfolgreich fortpflanzen. Die zahlreichen neueren Fundmeldungen beweisen, dass Mantis religiosa etwa seit Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts ihr Verbreitungsareal in Mitteleuropa deutlich vergrößert hat und auch weiterhin in allmählicher Ausbreitung begriffen ist.[7]

Synonyme

Dialektbezeichnungen sind beispielsweise das LesHanl in der Thermenregion in Niederösterreich, wo auch die Rebsorte Neuburger, speziell in Pfaffstätten diesen Namen trägt. In Südtirol wird das Tier als Maringgele bezeichnet.

Einzelnachweise

  1. S. Ingrisch, G. Köhler (1998): Rote Liste der Geradflügler (Orthoptera s. l.) (Bearbeitungsstand: 1993, geändert 1997). – In: M. Binot, R. Bless, P. Boye, H. Gruttke und P. Pretscher (zusammengestellt und bearbeitet): Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands. – Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.), Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz, Bonn-Bad Godesberg 55: 252-254.
  2. S. Ergene (1953): Homochrome Farbanpassungen bei Mantis religiosa. Zeitschr. vergl. Physiol., Berlin 35: 36-41
  3. S. E. Lawrence (1992): Sexual Cannibalism in the Praying Mantid, Mantis religiosa: A Field Study. – Source Anim. Behav., London 43 (4): 569-583.
  4. M. Fellinger, R. Fellinger, W. Heitland (2003): Wespen beteiligen sich an der Beute von Gottesanbeterinnen. – Natur und Museum 133 (10): 295-301.
  5. M. Berg, M. Keller (2004): Die Gottesanbeterin, Mantis religiosa LINNAEUS, 1758 (Mantodea: Mantidae), im Stadtgebiet von Berlin-Schöneberg – Ihre Lebensweise und faunistische Beobachtungen in den Jahren 1998 bis 2003. – Märk. Entomol. Nachr., Potsdam 6 (1): 55-84.
  6. M. Fellinger, R. Fellinger (2006): Faszinierende Kannibalen – Die Gottesanbeterin und ihr natürlicher Lebensraum. – Natur und Tier Verlag, Münster, 223 S.
  7. a b c d e M. K. Berg, C. J. Schwarz, J. E. Mehl (2007/in press): Die Gottesanbeterin, Mantis religiosa. - Die Neue Brehm-Bücherei 656, Verlag Westarp Wissenschaften, Hohenwarsleben, ca. 400 Seiten.
  8. W. J. Davis, E. Liske (1985): Der Balztanz der Gottesanbeterin: Anatomie eines wissenschaftlichen Mythos. – Naturwiss. Rundschau, Stuttgart 38 (6): 223-230.
  9. P. Prokop (2001): K sexuálnemu správaniu modlivky zelenej (Mantis religiosa L.) – Notes on the Mating Behaviour of the Praying Mantis, Mantis religiosa. – Sborník přírodovědného klubu v Uh. Hradišti 6: 98-103 (tschech.).

M. K. Berg, C. J. Schwarz, J. E. Mehl (2011): Die Gottesanbeterin, Mantis religiosa. - Die Neue Brehm-Bücherei 656, Verlag Westarp Wissenschaften, Hohenwarsleben, 523 Seiten.

Literatur

  • P. Detzel & R. Ehrmann: Mantis religiosa LINNAEUS, 1758 – Gottesanbeterin. In: P. Detzel (Hg.): Die Heuschrecken Baden-Württembergs E. Ulmer, Stuttgart 1998, S. 181-187
  • Jean-Henri Fabre: Das offenbare Geheimnis. Aus dem Lebenswerk des Insektenforschers zuerst: um 1900. Wieder: Diogenes, Zürich 1989 ISBN 3-257-21784-6 S. 211-278
  • Thomas Schestag: Mantisrelikte. Blanchot, Fabre, Paul Celan, Urs Engeler, Basel 1998 ISBN 3-905591-06-5 (über Blanchot: Thomas der Dunkle; Celan: Lichtzwang (mit einigen Gedichten daraus) u.a., z. B. Carl Schmitt, Schleiermacher, Kafka, Platon & Walter Benjamin)
  • Hans Przibram: Die Lebensgeschichte der Gottesanbeterinnen (Fang-Heuschrecken) (Sonderdruck aus der "Zeitschrift für wissenschaftliche Insektenbiologie" (Bd. III [1. Folge Bd. XII], 1907, Heft 4, p.117-122 u. Heft 5-6, 1907, p. 147-152), Selbstverlag des Hg., Berlin 1907

Weblinks

 Commons: Europäische Gottesanbeterin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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