Europäischer Bürgerkrieg

Europäischer Bürgerkrieg

Der Europäische Bürgerkrieg ist die Bezeichnung, welche der Historiker Ernst Nolte den wiederholten Konfrontationen in Europa im Laufe des 20. Jahrhunderts gab. Er nutzte diesen Begriff in seinem Artikel Die Vergangenheit, die nicht vergehen will in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 6. Juni 1986. Dieser war neben seinem Buch Der Europäische Bürgerkrieg 1917-1945 auch verantwortlich für die Auslösung des Historikerstreites.

Ungefähr 10 Jahre später gab es zu diesem Thema einige Veröffentlichungen an der London School of Economics and Political Science. Diese begannen mit der Veröffentlichung eines Werkes 1996, in dem der Spanische Bürgerkrieg als eine Episode eines größeren Europäischen Bürgerkriegs beschrieben wurde. Diese Position fand seitdem größere Akzeptanz. In den folgenden Jahren wurden weitere Arbeiten zu dieser Theorie veröffentlicht.

Der Begriff wird häufig zur Erklärung des schnellen Verfalls der europäischen Suprematie in der Welt und der Entstehung der Europäischen Union herangezogen. Obwohl nur eine Minderheit von Wissenschaftlern die Theorie des Europäischen Bürgerkriegs vertreten, erfreut sie sich dennoch zunehmender Beliebtheit. Die Zeit des Europäischen Bürgerkriegs wird vorwiegend auf den I., II. Weltkrieg und viele Regimewechsel der Zwischenkriegszeit beschränkt. Jedoch gibt es hierzu keinen allgemeinen Konsens. Die Unterstützer der Theorie weisen meist auf das hohe Level der internationalen Beteiligung im Spanischen Bürgerkrieg und bisweilen den Russischen Bürgerkrieg hin.

Inhaltsverzeichnis

Argumente für einen Europäischen Bürgerkrieg

Die Befürworter der Idee eines Europäischen Bürgerkriegs führen an, dass die Oberhäupter vieler europäischer Länder vor dem Ersten Weltkrieg eng verwandt waren und teilweise zur gleichen Familie gehörten. Ihre Rechtssysteme waren sehr ähnlich und näherten sich im Laufe der Zeit sogar noch an trotz räumlicher Separation. Daneben ist die europäische Kultur weitestgehend homogen, wobei die meisten Staaten ihre Wurzeln zu zwei Ursprüngen zurückführen: dem Christentum und der Antike.

Eine einzige Kultur und ein einheitliches Rechtssystem könnten daher zu der Vermutung führen, dass sich Europa auf einen gemeinsamen Staat zubewegt. Am Ende des Europäischen Bürgerkriegs haben die Eliten in verschiedenen europäischen Staaten mit der Errichtung eines zentralisierten Staates begonnen, der sich seitdem in die Europäische Union gewandelt hat.

Die Gründung der EU nach dem II. Weltkrieg ist zentral für die Theorie eines Europäischen Bürgerkriegs, da ein Bürgerkrieg gewöhnlicherweise zwischen konkurrierenden Gruppen innerhalb von Staaten oder Reichen um die Herrschaft desselben entsteht. Erfahrungsgemäß enden Bürgerkriege mit der Entstehung einer wiedererstarkten Zentralgewalt.

Die Unterstützer dieser Theorie werden ferner von der Tendenz den I. und II. Weltkrieg als Teil desgleichen Konflikts mit einem 22-jährigen Waffenstillstand zu betrachten unterstützt (ähnlich des Hundertjährigen Krieges von 1337-1453 und der Napoleonischen Kriege).

Durch die Haltung die beiden Weltkriege, einschließlich des Spanischen und Russischen Bürgerkriegs als dazwischenliegende Konflikte, als einen Flächenbrand zu sehen und die Wurzeln des I. Weltkriegs auf die französisch-preußischen Auseinandersetzungen zurückzuführen, wird es ermöglicht politische Veränderungen in Italien, Portugal und anderen Staaten innerhalb eines Zusammenhangs zu untersuchen.

Argumente gegen einen Europäischen Bürgerkrieg

Die Gegner dieses Konzeptes argumentieren, dass Bürgerkriege hauptsächlich zwischen Gruppen innerhalb eines einzigen Staates ausgetragen werden. Zwar ist es möglich, dass Bürgerkriege nationale Grenzen überschreiten, etwa um irredentistische Ideen einer räumlich verteilten Ethnie zu erfüllen oder wenn sich Staaten in einzelne Komponenten aufteilen und sich anschließend gegenseitig bekriegen, wie es im Sezessionskrieg geschah.

In beiden Fällen führen die Gegner an, dass das Europa zwischen 1890 und 1945 niemals als ein einzelner Staat zu betrachten ist. Jede Nation hatte eine individuelle Regierung, ein unterschiedliches Rechtssystem und partiell sein eigenes Kolonialreich.

Deshalb waren Kriege international und nicht national. Demnach ist die Gründung eines europäischen Staates (in Form der EU) als Versuch zu werten zukünftige Kriege zu verhindern und nicht als Ergebnis irgendeiner siegreichen Seite in einem Bürgerkrieg zu sehen, die ihren Einfluss auf die jeweils andere ausdehnte.

Zeitliche Einteilungen eines Europäischen Bürgerkriegs

Alle Unterstützer einer solchen Annahme sind sich des Einschlusses der Jahre von 1936 bis 1945, dem Anfang des Spanischen Bürgerkriegs und dem Ende des II. Weltkriegs, einig. Jedoch gibt es über die weitere Einteilung unterschiedliche Ansichten.

Größere Übereinstimmung existiert außerdem über die Jahre von 1914 bis 1945, in denen Europa seine Hegemonialstellung in der Welt verloren hat und schließlich in die zwei grundverschiedene Interessensphären aufgespalten wurde. Doch wurde der Zeitraum des Europäischen Bürgerkrieg von einigen Wissenschaftler ausgedehnt. Demzufolge fängt er bereits mit dem deutsch-französischen Krieg am 19. Juli 1870 an und endet erst mit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990.

Literatur

Nolte, Ernst: Der europäische Bürgerkrieg 1917–1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus, Herbig Verlag, 4. Aufl., Frankfurt/M. 1989.

Traverso, Enzo: Im Bann der Gewalt. Der europäische Bürgerkrieg 1914-1945, Siedler: München 2008, ISBN 3-88680-885-8.

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