- Faustregel
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Eine Faustregel (auch Faustformel) ist eine Methode zur schnellen Ermittlung eines mathematischen oder technischen Wertes, ohne präzise technische Berechnungen durchzuführen. Die Bezeichnung Daumenregel ist ein Anglizismus, abgeleitet aus dem englischen Ausdruck rule of thumb.
Die Berechnungen, die eine Faustregel beinhaltet, sind immer so einfach, dass sie sich auch schnell durch Kopfrechnen bestimmen lassen. Die meisten Faustregeln resultieren aus Erfahrungen.
Man kann unterscheiden zwischen Faustregeln, die Erfahrungswerte kennzeichnen, ohne dass es überhaupt ein exaktes Rechenverfahren gibt, und Faustregeln, die Abschätzungen ermöglichen, wenn die exakte Berechnung zu lange dauern würde oder im Kopf nicht durchführbar wäre (Redensart "Pi mal Daumen"). Wissenschaftlich werden Faustregeln in der Kognitionswissenschaft, der Künstlichen Intelligenz und der Informatik unter dem Begriff Heuristik untersucht.
Der Begriff Faustregel kommt ursprünglich aus der Medizin. Ärzte hatten bei Obduktionen festgestellt, dass wenn man bei einer Leiche mit deren Hand eine Faust bildet, diese genau der Größe ihres Herzens entspricht.
Inhaltsverzeichnis
Beispiele
Minuten bis Sonnenuntergang
Man bildet eine Faust und zählt die Anzahl der Finger, die bei ausgestrecktem Arm zwischen Sonne und Horizont passen. Das Ergebnis wird mit 8 Minuten multipliziert.
Abstandsschätzung mittels des Daumensprungs
Der Daumensprung ist eine grobe Methode zur Schätzung des Abstandes der messenden Person zu einem ruhenden Objekt, dessen Breite bekannt ist.
Umfang eines Kreises
Die exakte Formel, um den Umfang eines Kreises mit dem Durchmesser d zu berechnen, lautet:
Eine mögliche Faustregel dafür ist:
Bemerkenswert an dieser Formel ist, dass sie nur um 0,04 % von der exakten Lösung abweicht. Insbesondere ist 22/7 eine bessere Näherung für π als der Zahlenwert 3,14 (hier liegt eine Abweichung um ca. 0,05 % vor).
Entfernung eines Blitzeinschlages
Die Faustformel (ein Drittel des Abstandes von Lichtblitz und Donner in Sekunden) für die Entfernung eines Blitzeinschlages in Kilometern ist:
Das Ergebnis weicht von der tatsächlichen Entfernung je nach Umgebungstemperatur ab, da die Schallgeschwindigkeit nicht exakt 1/3 Kilometer pro Sekunde entspricht.
Kraftfahrzeugphysik
Eine Faustregel für die Momentangeschwindigkeit von Kraftfahrzeugen in Metern pro Sekunde lautet:
Sie basiert auf der Tatsache, dass die Abschätzung mit dem Faktor der präzisen Rechnung mit sehr nahe kommt.
Der Reaktionsweg ist durch die gleiche Faustformel berechenbar, denn die Reaktionszeit kann auf etwa 1 Sekunde geschätzt werden - d.h. das Fahrzeug legt in der Reaktionszeit z.B. 25 m zurück, wenn es mit einer Geschwindigkeit von 25 m/s fährt. Physikalisch begründet gilt mit t = 1s:
Eine Faustregel für den Bremsweg, die im dortigen Artikel erläutert wird, lautet:
Beide Faustformeln machen sich die Tatsache zu Nutze, dass der Tachometer die Geschwindigkeit in 10er-Schritten anzeigt und die Rechnung so besonders einfach wird.
Zur Bemessung der Leistung von Kraftfahrzeugen existiert neben der offiziellen SI-Einheit Kilowatt (kW) noch die veraltete, aber umgangssprachlich gebräuchliche Einheit Pferdestärke (PS). Dabei entspricht 1 PS etwa 0,73549875 kW. Da die exakte Multiplikation im Kopf viel zu aufwendig wäre, verwendet man häufig die Faustformel 1 PS ≈ ¾ kW und rundet dann ab. Das Ergebnis ist für Alltagszwecke meist ausreichend genau.
Chemie
In der Chemie wird oft (eher spöttisch) angegeben, dass alle weißen Pulver etwa die Dichte 2,3 g/cm³ besitzen und dass alle Flüssigkeiten, die entflammbar sind, etwa eine Dichte um 0,7-0,8 g/cm³ aufweisen. Hier handelt es sich zwar nicht um eine Faustregel im eigentlichen Sinn, aber dennoch wird dieser Zusammenhang oft zitiert. Er trifft in der Regel oft zu, wenngleich die Parameter sehr weit gefasst sind und die Behauptung nicht wissenschaftlich begründbar ist. Eher faustformelig ist die Van't Hoffsche Regel, dass die Reaktionsgeschwindigkeit einer chemischen Umsetzung sich pro 10 K Temperaturerhöhung etwa verdoppelt.
Ökonomie
In betriebswirtschaftlichen Überlegungen kann die Pareto-Regel oder 20/80-Regel herangezogen werden, die besagt, dass in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen häufig bereits die zu etwa 20 % ausgeprägte Ursachenstärke 80 % der möglichen Wirkung entfaltet. Beispiele: Mit 20 % der Kunden werden 80 % des Umsatzes erwirtschaftet, 20 % der Produkte sind für 80 % der Reklamationen verantwortlich, 20 % der Fehlerursachen ziehen 80 % der Fehler nach sich, 20 % der Produktionsmittel verursachen 80 % der Kosten. Auf Basis dieser Überlegungen werden Optimierungsprozesse in der Regel auf die Hauptursachen begrenzt.
Nach wie vielen Jahren verdoppelt sich eine Kapitalanlage im Nennwert?
Siehe 72er-Regel. Diese Regel ist so nützlich, weil sie näherungsweise den Zinseszins enthält.
Mit ihr kann man auch z. B. berechnen, in wie vielen Jahren die Inflation die Kaufkraft eines Betrages halbiert. Bei z. B. 10 % Inflation müsste ein Geldbetrag mit 10 % verzinst werden, um seine Kaufkraft zu erhalten (Nominalzins 10 %; reale Verzinsung 0 %). Nach der 72er-Regel verliert ein unverzinster Geldbetrag in 7,2 Jahren die Hälfte seiner Kaufkraft.
Entscheidungstheorie
Mit der 37-%-Regel soll ein Zeitpunkt der Entscheidung gefunden werden, um das optimale Element zu finden.
Weblinks
Commons: Faustregel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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