Feindrecht

Feindrecht

Der Begriff Feindstrafrecht ist eine vom deutschen Strafrechtler und Rechtsphilosophen Günther Jakobs vorgeschlagene Bezeichnung für ein Strafrecht, das bestimmten Gruppen von Menschen (sog. Staatsfeinden) die Bürgerrechte versagt, da sie aus der Sicht der Herrschenden Feinde der Gesellschaft oder des Staates sind und deshalb außerhalb des für die Gesellschaft geltenden Rechts stehen. Den Gegensatz zum Feindstrafrecht bildet Jakobs zufolge das „Bürgerstrafrecht“.

Das Feindstrafrecht bekämpft die als Feinde bezeichneten Menschen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Es ist deshalb kein Strafrecht im herkömmlichen Sinn, sondern ein von rechtsstaatlichen Bindungen befreites Instrument zur Gefahrenabwehr.

Inhaltsverzeichnis

Jakobs' Lehre vom Feindstrafrecht

In Deutschland wurde die Diskussion um das Feindstrafrecht und seine Existenzberechtigung im Jahre 1985 vom Rechtswissenschaftler Günther Jakobs durch dessen Aufsatz "Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutverletzung" angestoßen[1], in dem Jakobs erstmals zwischen einem "Bürgerstrafrecht" und einem "Feindstrafrecht" unterscheidet. Resonanz über sein Fachgebiet hinaus erhielt der Bonner Strafrechtsprofessor dann spätestens mit seinem 2004 erschienenen Aufsatz Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht. Darin vertritt Jakobs die Auffassung, dass derjenige, der die staatliche Rechtsordnung bewusst ablehne oder sie sogar zerstören wolle, seine Rechte als Bürger und als Person verliere und deshalb vom Staat mit allen Mitteln bekämpft werden dürfe. Der Terrorist, der die herrschende Gesellschaftsordnung stürzen wolle, der Gewohnheitsverbrecher, der alle staatlichen Gesetze ignoriere oder das Mafia-Mitglied, das nur nach den Regeln seines Clans lebt, seien „Unpersonen“ und dürften nicht als Bürger behandelt werden. Vielmehr seien sie als „Feinde“ zu bekämpfen. Hatte Jakobs den Begriff "Feindstrafrecht" 1985 noch kritisch-deskriptiv verwendet, indem er die seiner Ansicht nach feindstrafrechtlichen Tendenzen der neueren deutschen Strafgesetzgebung analysierte, so nimmt Jakobs spätestens seit seinem Aufsatz "Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht" eine teilweise affirmative Haltung zu Konzepten des "Feindstrafrechts" ein. (Anmerkung: Jakobs hat nie zugegeben, diese Auffassung persönlich zu vertreten. Vielmehr - so Jakobs - stelle er nur fest, was bereits weitgehend der Wirklichkeit entspreche.)

Thomas Hobbes

Jakobs rechtfertigt die Notwendigkeit dieses Feindstrafrechts rechtsphilophisch und verweist dazu auf die von Thomas Hobbes begründetete Vertragstheorie und ihre Interpretation durch Immanuel Kant. Derjenige, der den – gedachten – Gesellschaftsvertrag durch seine Handlungen aufkündige, verlasse aus freien Stücken die Gesellschaft und begebe sich in den gesetzlosen Naturzustand. Damit verliere er zugleich seine Eigenschaft als Person und werde zum Feind. Als Feind sei er von der Gesellschaft zu bekämpfen.

Mit Hinweis auf die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA behauptet Jakobs auch ein praktisches Bedürfnis für ein Feindstrafrecht. Die Bindungen, die sich der Rechtsstaat gegenüber seinen Bürgern auferlege, seien gegenüber Terroristen „schlechthin unangemessen“.

Schließlich vertritt Jakobs die These, dass bereits das geltende deutsche Recht „feindrechtsstrafliche Stränge und Partikel“ enthalte, beispielsweise die Sicherungsverwahrung, die Strafbarkeit der Vorbereitung von Verbrechen und die Kontaktsperre zwischen Strafverteidiger und Mandanten. Damit sei das Feindstrafrecht rechtlich und gesellschaftlich grundsätzlich anerkannt. Im Interesse der Bürger sei es aber notwendig, das Feindstrafrecht offen als solches zu kennzeichnen und nur auf die Feinde der Gesellschaft anzuwenden.

Unter der Herrschaft des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sind feindstrafrechtliche Regelungen aus verfassungsrechtlichen Gründen an sich nicht legitim. Maßnahmen des Staates, die einer Person, aus welchen Gründen auch immer, den Rechtsstatus als Person verweigern, sind verfassungswidrig. Dies ergibt sich zwingend allein schon aus den Artikeln 1 (Würde des Menschen) und 20 (Rechtsstaatsprinzip), die der Umgestaltung auch durch eine verfassungsändernde Mehrheit im gesetzgebenden Gremium Bundestag entzogen sind. Auch Folgerungen aus einem Feindstrafrecht wie unbestimmte Haftdauer, Entzug des Rechtsbeistands und Folter wären verfassungswidrig. So hat bereits das Landgericht Frankfurt im so genannten Daschner-Prozess zur Folterandrohung gegenüber einem Entführer durch den Vizepräsidenten der Frankfurter Polizei, Daschner, zwar milde geurteilt, Argumente des Feindstrafrechts aber nicht gelten lassen und das Folterverbot des Grundgesetzes (siehe Artikel 104) voll bestätigt.

Feindstrafrecht in der Praxis

Altertum und Mittelalter

Die Germanen verstießen Sippenmitglieder für besonders ehrlos geltende Taten aus ihrer Sippe. Die Täter unterfielen der Friedlosigkeit und galten als vogelfrei.

Im Mittelalter konnten Verbrecher unter bestimmten Voraussetzungen geächtet werden. Damit standen sie außerhalb der Gesellschaft und der Gesetze. Wer einen Geächteten tötete, ging straflos aus.

Deutschland 1933–1945

Ein klassisches Feindstrafrecht wurde von 1933–1945 im nationalsozialistischen Deutschland ausgeübt: Juden, „Asoziale“ und Gegner der nationalsozialistischen Idee wurden zu „Volksschädlingen“ erklärt, für die die Gesetze der deutschen Volksgemeinschaft keine Anwendung fanden. Sie konnten jederzeit von der Gestapo in Schutzhaft genommen werden. Für ihre – schnelle – Aburteilung waren der Volksgerichtshof und andere Sondergerichte zuständig. (Siehe auch: Verordnung gegen Volksschädlinge)

Ein vergleichbares Sonderstrafrecht galt während des Zweiten Weltkriegs für die so genannten Fremdvölkischen. Beispielsweise unterlagen polnische Staatsbürger der 1941 in Kraft getretenen Polenstrafrechtsverordnung.

Kolumbien und Guantánamo

Guantánamo: Camp X-Ray

In Kolumbien wird seit 1990 ein Feindstrafrecht gegen „Drogenterroristen“ angewandt. Die Betroffenen werden oft jahrelang ohne Anklage und ohne Rechtsbeistand in Untersuchungshaft festgehalten, um dann anschließend in Geheimprozessen aufgrund der Aussagen anonymer Zeugen abgeurteilt zu werden. Die Strafverfolgung selbst obliegt vorrangig einer militärischen Spezialeinheit, die nur formal der Staatsanwaltschaft unterstellt ist. Etwa sieben Prozent der verfolgten Straftaten werden mit den Mitteln dieses Feindstrafrechts verfolgt.

Die Klassifizierung von Al-Qaida- und Taliban-Kämpfern als „ungesetzliche Kombattanten“ und ihre Inhaftierung im Lager Guantánamo durch das US-Militär können ebenfalls als Erscheinungsformen eines Feindstrafrechts angesehen werden.

Siehe auch

Literatur

Grundlegend

Bücher

  • Alejando Aponte: Krieg und Feindstrafrecht. Überlegungen zum „effizienten“ Feindstrafrecht anhand der Situation in Kolumbien. 1. Auflage. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2004, ISBN 3-8329-0612-6.
  • Geraldine Morguet: Feindstrafrecht - eine kritische Analyse Verlag Duncker & Humblot Berlin 2009, ISBN 978-3-428-12795-5, Strafrechtliche Abhandlungen · Bd. SRA 204.
  • Hendrik Schneider: Kann die Einübung in Normanerkennung die Strafrechtsdogmatik leiten? Verlag Duncker & Humblot Berlin 2004, ISBN 3-428-11494-9, Schriften zum Strafrecht · Bd. SR 162.
  • Thomas Uwer (Hrsg.): Bitte bewahren Sie Ruhe. Leben in Feindrechtsstaat. 1. Auflage. Berlin 2006, ISBN 3-9808275-6-9.

Aufsätze

  • Jochen Bung: Feindstrafrecht als Theorie der Normgeltung und der Person. In: HRRS 2/2006, S. 63–71. [2]
  • Hauke Brunkhorst: Folter vor Recht – Das Elend des repressiven Liberalismus. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2005, S.75–82.
  • Luis Greco: Über das sogenannte Feindstrafrecht. In: Goltdammer's Archiv für Strafrecht (GA), 153. Jg., 2006, S. 96-113.
  • Rainer Hamm: Feindstrafrecht – Bürgerstrafrecht – Freundstrafrecht. In: Neue Lust auf Strafen. Schriftenreihe des Instituts für Konfliktforschung, Band 27, S. 105 ff. Münster 2005.
  • Tatjana Hörnle: Deskriptive und normative Dimensionen des Begriffs "Feindstrafrecht". In: Goltdammer's Archiv für Strafrecht (GA), 153. Jg., 2006, S 80-95.
  • Dirk Sauer: Das Strafrecht und die Feinde der offenen Gesellschaft. In: Neue Juristische Wochenschrift 24/2005, S. 1703–1705.
  • Arndt Sinn: Moderne Verbrechensverfolgung – auf dem Weg zu einem Feindstrafrecht? In: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 2006, S. 107–117. [3]
  • Überblick über die Diskussion mit Beiträgen von Günther Jakobs, Alejandro Aponte, Jörg Arnold, Klaus Malek, Jochen Bung: Referate der Arbeitsgruppe „Feindstrafrecht – Ein Gespenst geht um im Rechtsstaat“ des 30. Strafverteidigertages 2006. In: HRRS 8/2006, S. 289-321. [4]
  • Katrin Gierhake Feindbehandlung im Recht? Eine Kritik des so genannten "Feindstrafrechts" und zugleich eine Auseinandersetzung mit der Straftheorie Günther Jakobs In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 2008, S. 337-361.

Weblinks

Quellen

  1. Günther Jakobs, Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutverletzung, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 97 (1985), S. 751-785, S. 783 ff.)

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