Geheimprozess

Geheimprozess

Ein Geheimprozess ist ein Gerichtsverfahren, das sich vor allem durch seine völlige Abschottung gegenüber der Öffentlichkeit und durch die starke rechtliche Benachteiligung des Angeklagten auszeichnet. Geheimprozesse sind ein wesentliches Merkmal autoritär regierter Staaten und von Diktaturen. In modernen Rechtsstaaten sind Geheimprozesse durch gesetzliche Regelungen ausgeschlossen, in Deutschland beispielsweise durch die Strafprozessordnung. In vielen Ländern gehören sie dagegen auch heute noch zu einem regelmäßig angewendeten Mittel zur staatlichen Unterdrückung.

Inhaltsverzeichnis

Charakteristik

Ein Geheimprozess dient in der Regel nicht der Gerechtigkeitsfindung, sondern der Durchsetzung der Interessen der herrschenden Gruppierung gegenüber politischen oder sonstigen Gegnern. Er ist im allgemeinen weder für die Öffentlichkeit zugänglich, noch wird darüber in den Medien berichtet. Das Urteil bzw. die Urteilsbegründung werden häufig nicht veröffentlicht. Oft gibt es auch keine formelle Anklage, oder der Angeklagte erhält keinen Einblick in die Klageschrift. Häufig wird dem Angeklagten rechtlicher Beistand durch einen Rechtsanwalt verweigert oder ihm ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt, der ineffektiv oder sogar im Sinne der Anklage handelt. Er kann auch keine Zeugen zu seiner Entlastung benennen. Üblicherweise hat der Verurteilte keine Chance, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen, es also von einer weiteren Instanz überprüfen zu lassen.

Geschichte

Geheimprozesse waren ein beständiges Element der meisten autoritären oder Unrechtsregime der Neuzeit. Aber auch im Mittelalter gab es Geheimprozesse, wie die Feme. Das bekannteste Beispiel aus der neueren Zeit sind die so genannten "Säuberungsaktionen" in der Sowjetunion unter Josef Stalin. Obwohl vor allem die Moskauer Schauprozesse bekannt wurden, verurteilte man die meisten Opfer in geheimen Prozessen. Dazu gehörten neben tausenden anderen Michail Tuchatschewski und andere Offiziere der Roten Armee, deren Hinrichtung erst nach der Ausführung bekanntgegeben wurde. Der vorsitzende Richter der Moskauer Schauprozesse, Wassili Ulrich, leitete auch eine große Anzahl von Geheimprozessen, die teilweise nur einige Minuten dauerten.

Die DDR führte ebenfalls Geheimprozesse durch. Das bekannteste Beispiel sind die Waldheimer Prozesse, die auch zu einem kleinen Bruchteil als öffentliche Schauprozesse abliefen. Werner Teske wurde 1981 in einem Geheimprozess zum Tod verurteilt und erschossen, die Todesursache verheimlichten die Behörden sogar gegenüber seiner Familie.

Laut Angaben von Amnesty International von 2006 gehörten Geheimprozesse zu diesem Zeitpunkt unter anderem in China, dem Iran, Usbekistan, Oman, Nigeria und Äthiopien zur gängigen Justizpraxis.

Abgrenzung zu Prozessen unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik

Unter besonderen rechtlichen Voraussetzungen ist der Ausschluss der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik zulässig. Dies ist regelmäßig bei Jugend- und Sexualdelikten der Fall um die Interessen der Opfer zu schützen, aber auch bei Staatsschutzverfahren, bzw. Landesverrats- und Hochverratsverfahren, bei denen davon auszugehen ist, das Sachverhalte, die der Geheimhaltung unterliegen, Gegenstand der Verhandlung sind. Rechtliche Grundlage ist die Strafprozessordnung (StPO), die Zivilprozessordnung (ZPO) und besonders das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), §§169-175. Ein Beispiel für die übliche Praxis des Öffentlichkeitsausschlusses war der Landesverratsprozess 1991 gegen Gabriele Gast, die als Regierungsdirektorin im Bundesnachrichtendienst jahrzehntelang für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR spioniert hatte.

Diese Prozesse sind keine Geheimprozesse, sondern eine besondere Form rechtsstaatlich konformer Verfahren.

In demokratischen Staaten werden in Einzelfällen Prozesse unter weitgehender Geheimhaltung durchgeführt, wenn Geheimdienste oder deren Mitarbeiter involviert sind. Bei den Verfahren bleiben dennoch rechtsstaatliche Prinzipien gewahrt, wodurch sie klar abzugrenzen sind genüber der im ersten Teil des Textes erklärten Definition und Charakter von regelmäßig rechtswidrigen Geheimprozessen. In der Regel werden nur Anklage und Urteilstext (ohne Begründung) veröffentlicht.

Solche Verfahren werden in der Presse zum Teil fälschlicherweise und tendenziös als geheimer Prozess oder Geheimprozess bezeichnet, obwohl das nicht den Tatsachen entspricht. Dies geschieht häufig bei Verfahren unter Beteiligung von Geheimdiensten, aber so gut wie nie bei Vergewaltigungsprozessen, obwohl in derartigen Verfahren die gleiche Rechtsgrundlage den Ausschluss regelt.

Im Jahr 2002 wurde beispielsweise gegen den Bundesnachrichtendienst-Mitarbeiter Norbert Juretzko ein Strafverfahren durchgeführt, bei dem ebenfalls die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde. Juretzko wurde im Nachspiel der Affäre um den hochrangigen BND-Mitarbeiter Volker Foertsch wegen Veruntreuung von Agentenhonoraren angeklagt. Erst nach Erscheinen von Juretzkos Buch Bedingt Dienstbereit 2005 wurde erstmals über das Verfahren berichtet. Der Berliner Tagesspiegel schrieb[1] über den Fall: "Der Prozess fand im Landgericht München hinter verschlossenen Türen statt, bis heute darf Juretzko nicht über die Verhandlung reden." Der Münchener Merkur berichtete zum gleichen Thema[2] :"Foertsch wurde rehabilitiert und Juretzko in einem Geheimprozess verurteilt, weil er den BND um Geld geprellt haben soll." Dieses Zitat ist exemplarisch für den irreführenden Gebrauch des Begriffs Geheimprozess.

Grenzfälle

Die Abgrenzung zwischen rechtlich konformen Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit einerseits und einem möglicherweise rechtswidrigen Geheimprozess andererseits ist im Einzelfall von außen nicht immer leicht zu beurteilen. Ein Beispiel dafür waren die Strafprozesse unter Ausschluss der Öffentlichkeit des Staates Israel gegen seinen Bürger Mordechai Vanunu, der das israelische Atomwaffenprogramm öffentlich machte.[3] Da es dem politischen Beobachter in Ermangelung des Zugriffs auf alle Fakten nicht möglich ist, eine endgültige Bewertung dieses Prozesses vorzunehmen, ist eine rechtliche Einordnung in diesem Fall schwierig.

Einzelnachweise

  1. Verraten und verkauft: Prozess gegen Ex-Agenten. Tagesspiegel, Berlin, 27. April 2006
  2. Eitle Dilettanten auf Schnitzeljagd - Wie ein Ex-Agent durch Enthüllungen mit dem BND abrechnet Münchener Merkur Online, 8. Mai 2006
  3. Atomexperte Vanunu wieder angeklagt, (nicht mehr online verfügbar) Tagesschau, 17. März 2005)
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