Felix Kersten

Felix Kersten

Felix Kersten (* 30. September 1898 in Dorpat, Estland; † 16. April 1960 in Hamm) wurde bekannt als Masseur von Heinrich Himmler. Er soll darüber hinaus für die Rettung zahlreicher Juden und KZ-Insassen verantwortlich gewesen sein.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jugend und frühe Karriere

Seine Eltern waren der Gutsverwalter Friedrich Kersten und dessen Ehefrau Olga geborene Stübing. Felix Kersten war seit 1937 verheiratet mit Irmgard geb. Neuschäffer.

Nach dem Besuch des Progymnasiums der Deutschen Vereinigung in Wenden, absolvierte er seit 1914 ein Studium der Landwirtschaft in Genfeld. So wird vielfach von Kersten und seinen Biographen behauptet. Es gibt aber den Ort Genfeld in Deutschland nicht! Gemeint ist Jenfeld, damals noch nicht nach Hamburg eingemeindet. In Jenfeld gab es jedoch nie eine Landwirtschaftsschule. Auch eine dreijährige Tätigkeit als Agronom lässt sich aus den Dokumenten des Kersten-Familienarchivs nicht nachweisen. Während der Kämpfe nach der russischen Revolution 1917 -1919 schloss er sich 1919 einer finnisch-estnischen Freischärler-Truppe namens Pohan pohjad (Söhne des Nordens), die in Estland kämpfte an und bekam auf Fürsprache des Kommandeure der Pohan pojad Oberst Hans Kalm und Oberst v. Hohenberg die finnische Staatsbürgerschaft. Warum er die Staatsangehörigkeit des eben erst gegründeten finnischen Staates benötigte, wird von Kersten nie näher erklärt Zu der Zeit erkrankte er an Gelenkrheumathismus. Für den dreimonatigen Krankenhausaufenthalt gibt es keinen Beleg. Es passt dazu auch nicht, dass Kersten im Oktober 1919, unmittelbar nach der "Genesung von schwerem Rheuma" bei den "Tavastland-Reitern " anheuerte, einer aus Finnen und Deutschen bestehenden berittenen Schutztruppe, die nicht zur finnischen Armee gehörte Die Behandlung interessierte ihn dermaßen, dass er sich nach seiner Genesung in Helsingfors zum Massage-Therapeuten ausbilden ließ. An anderer Stelle schreibt Kersten, dass er sich aus Langeweile in der Massagetherapie versucht hätte.

Wie Nachforschungen und Dokumente aus dem finnischen Staatsarchiv ergaben, trat Kersten während dieser Zeit im Juni 1919 erstmals in Finnland auf und bediente sich des Militärpasses eines Edvard Alexander Kersten, der seit 1914 im Militär gedient hatte. Als Kersten von der finnischen Regierung die Anerkennung seiner Dienstjahre seit 1914 beantragte, stellte die innere Kontrolle der finnischen Armee fest, dass der Militärpass einer anderen Person gehörte und fälschlich von Kersten benutzt wurde, was dieser auch zugab. Kersten musste die finnische Armee verlassen. Bevor diese weitere Nachforschungen anstellen konnte, hatte Kersten im Frühjahr 1922 das Land wieder verlassen.

Von 1923 bis 1925 setzte er seine Ausbildung in Berlin fort, zuletzt bei dem sehr bekannten chinesischen Arzt Dr. B. Ko. Als Ko nach China zurückkehrte, konnte Kersten einen Teil seiner Patienten übernehmen und eine blühende internationale Praxis aufbauen. Zu seinen ersten hocharistokratischen Patienten gehörte Adolf Friedrich, der ehemalige Herzog von Mecklenburg. Man sollte jedoch wissen, dass der Erbgroßherzog schon um 1930 als Mitglied der SS geführt wurde. Friedrich Adolf empfahl Kersten an seinen Bruder Hendrik, Gemahl der Königin der Niederlande, weiter, wo er zum ständigen gesundheitlicher Betreuer und Berater der königlichen Familie avancierte. Im Jahr 1928 zog Kersten in die Niederlande. Im folgenden Jahr veröffentlichte er das Büchlein »Die manuelle Therapie« und bezeichnete sich als „finnischer Massage-Therapeut“. Erst 1934 zog er zurück nach Deutschland, wo er 80 km nördlich von Berlin das Gut Hartzwalde erwarb. Zuvor hatte er, zu seiner eigenen Überraschung, vom Industriellen August Rosterg für die Beseitigung von dessen Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Mattheitsanfällen ein "Honorar" von 100 000 Reichsmark bekommen. Hierzu sollt man zur Kenntnis nehmen, dass August Rosterg, wie auch sein Manager August Diehn (Wintershall-Konzern) beide dem "Freundeskreis Reichsführer SS" angehörten

Rolle im Zweiten Weltkrieg

Durch Vermittlung von August Diehn wurde Kersten 1939 bei Himmler eingeführt, der seit dem Ersten Weltkrieg an Magenkrämpfen litt. Er behandelte Himmler auch während des Zweiten Weltkrieges und verbrachte des Öfteren längere Zeit in Himmlers Hauptquartier.[1] Im Oktober 1942 fuhr er mit Himmler nach Rom, wo auch Galeazzo Ciano und andere führende Persönlichkeiten des Faschismus seine Patienten wurden. In der letzten Phase des Kriegs spielte er schließlich eine wichtige Vermittlerrolle bei den Kontakten, die Himmler mit der schwedischen Regierung anknüpfte. 1943 ließ Kersten sich in Stockholm nieder, wo er auch nach dem Krieg seine Praxis fortsetzte.

Das schwedische Komitee des World Jewish Congress hatte erfahren, dass Kersten im Auftrag des schwedischen Außenministeriums bei der Rettung mehrerer inhaftierter Personen aus deutschen Gefängnissen und Konzentrationslagern mitgewirkt hatte. Gilel Storch trat daher mit Medizinalrat Kersten in Verbindung, der sich bereit erklärte, mit Himmler über eine Verbesserung der Lage der Juden in den Konzentrationslagern zu verhandeln. Anfang März 1945 trug Kersten Himmler das Anliegen vor. Diese Verhandlungen haben laut Masur vermutlich dazu beigetragen, dass die Deutschen einige Konzentrationslager kampflos übergaben. Walter Schellenberg, der bei Folke Bernadotte Zuflucht gefunden hatte, fertigte ein Manuskript zu der Rettungsaktion der Weißen Busse vom März/April 1945 an, das unter Bernadottes Namen mit dem Titel Slutet (Ende) am 15. Juni 1945 veröffentlicht wurde. Keiner der Helfer wurde darin namentlich genannt.

Außenstehende in Schweden wussten von Kerstens häufigen Reisen nach Deutschland und betrachteten ihn als Nazionalsozialist. Am 13. oder 14. Juni 1945 erhielt Kersten einen Anruf von Bernadotte, den Kersten dahingehend interpretierte, dass ihm als finnischem Staatsbürger die Ausweisung nach Finnland drohe, wo ihm wiederum aufgrund seiner Beziehungen zu Himmler die russische Gefangenschaft erwartete. In seiner Not wandte er sich an den niederländischen Baron van Nagell (der frühere Botschafter der Niederlande), der sich beim schwedischen Außenminister Christian Günther für ihn einsetzte. Die neue schwedische Regierung lehnte Kerstens Gesuch um die schwedische Staatsbürgerschaft ab, sodass er in die Niederlande übersiedelte.

Nach dem Krieg

Nachdem die niederländische Öffentlichkeit auf seine Person aufmerksam geworden war, erschienen seine Memoiren zuerst in niederländischer Sprache (»Klerk en Beul«), später auch in anderen Sprachen (1952 in Deutsch mit dem Titel »Totenkopf und Treue. Heinrich Himmler ohne Uniform. Aus den Tagebuchblättern des finnischen Medizinalrates Felix Kersten«). Sie wurden als eine wichtige historische Quelle für den ganzen SS-Komplex und insbesondere für Himmler angesehen. Laut Loe de Jong war allerdings nur Prof. Nicolaas Wilhelmus Posthumus von der Richtigkeit der Memoiren überzeugt. De Jong, der unter Posthumus am Riod (Rijksinstitut voor Oorlogsdocumentatie) arbeitete, überprüfte um 1970 Kerstens "Dokumente" zum Deportationsplan der Nazis ein zweites Mal und stellte fest, dass der Plan von A - Z ein Konstrukt Kerstens war, das dieser dank seine überzeugenden Darstellung und wahrscheinlich Geldzuwendungen an Prof. Posthumus der holländischen Historikerkommission plausibel zu machen gewusst hatte. Somit war der 1950 verliehene Oranien-Nassau-Orden völlig unverdient. De Jongs Untersuchungsergebnis wurde aus Gründen der Peinlichkeit verständlicherweise in Holland fast nicht diskutiert.

Der deutsche NS-Historiker Peter Longerich urteilt über die Zuverlässigkeit der Memoiren in seiner Biographie über Heinrich Himmler:

Unter den Händen des Masseurs, der, zwei Jahre älter als Himmler und von massiger Gestalt, eine beruhigende Ausstrahlung hatte, entspannte sich Himmler im Allgemeinen, und Kersten nutzte die Behandlungen, um ein Vertrauensverhältnis zum Reichsführer aufzubauen. Ob Himmler ihm dabei tatsächlich, wie Kersten in seinen Memoiren behauptete, tiefere Einblicke in seine Gedankenwelt gewährte oder ob Kersten sich diese Gespräche nach Kriesgende ausdachte, muss allerdings dahingestellt bleiben; jedenfalls sollte Kersten insbesondere in der Endphase des Krieges für Himmler wichtige Dienste bei der Vermittlung von Auslandskontakten übernehmen“.[2]

Am 17. August 1950 empfing er auf dem Schloss Palais Soestdijk, Niederlande, aus der Hand Bernhards, des Prinzen der Niederlande, die Ernennung zum Großoffizier des Ordens von Oranien-Nassau für seine „Taten im Namen der Menschlichkeit“ und „in Dankbarkeit für die geschichtlich einmaligen Verdienste um Holland“. Außerdem wurde er in Finnland mit dem Titel eines Medizinalrates und der Ernennung zum Kommandeur im Orden der Weißen Rose geehrt. Schon 1945 hatte Kersten, der sich in den Nachkriegsjahren ein kleines Landgut in der Nähe Stockholms erworben hatte, die schwedische Staatsbürgerschaft beantragt, was gewisse politische Kreise in Schweden wegen Kerstens Zwielichtigkeit und Nähe zu Himmler ablehnten bzw. immer wieder verzögerten, Ein neuer Vorstoß und Antrag Kerstens wurde noch 1952 in erregter Debatte vom Stockholmer Riksdag abgelehnt. Kersten trat jetzt mit einem Brief des Grafen Bernadotte an die Öffentlichkeit, den Bernadotte angeblich im März 1945 an Himmler geschrieben hatte und in dem er sich und den schwedischen Staat aufs Äußerste diskreditierte. Er sagte darin, dass Schweden an entlassenen Juden so wenig wie Himmler selbst interessiert sei, Nur der Privatmann Kersten habe auf eigene Faust die jüdischen Gefangenen ins Gespräch gebracht. Als "Douceur" für Himmler habe Bernadotte noch ein kleine Skizze von London mit lohnenden Zielen für die deutsche V2-Raketen beigelegt. Wieder befindet eine Kommission nach Befragung einiger Zeugen den Brief, der nur als "Abschrift einer Abschrift" vorliegt, trotz seines absurden Inhalts für echt und die düpierten Schweden machen Kersten, diesmal mehr oder weniger stillschweigend 1953 zu ihrem Mitbürger. Erst 1978 findet der englische Historiker Gerald Fleming heraus, dass der sogen. "Bernadotte-Brief" ebenfalls eine Fälschung von Kerstens Hand ist. Auch dieses Untersuchungsergebnis, bis heute unwidersprochen, dringt, vermutlich aus Gründen der Raison, kaum an die Öffentlichkeit. Kersten kann sich weiter dem Aufbau einer umfangreichen internationalen Praxis widmen und gibt dazu 1958 das Buch "Die Heilkraft der Hand" heraus. Von seinem Patienten Himmler ist darin nicht ein Wort zu lesen.

Rezeption

1998 brachte Arto Koskinen in Finnland den Film Who Was Felix Kersten (Kuka oli Felix Kersten?) heraus. Am 18. Januar 1999 sendete der WDR: Himmlers Masseur und Schwedens Extratour; Wie Gilel Storch mehr als zehntausend Juden vor den Nazis rettete (Tagebuch-Aufzeichnungen von Olof Palme haben diesen Film aus Archiv-Material und nachgestellten Spielszenen möglich gemacht.)

Ehrungen

Werke

  • Die manuelle Therapie, 1929
  • The Kersten Memoirs 1940 1945; (englisch; mit Einleitung von Hugh Trevor-Roper) 1957 (Online) PDF, 26 MB

" Die Heilkraft der Hand" Ulm 1958 " Totenkopf und Treue" Hamburg o.J. (1952) ist eine stark erweiterte Fassung der "Kersten-Memoirs"

Weblinks

Literatur

  • Baruch Nadel: Bernadotte Affaeren, Branner og Korch, København 1970. ISBN 87-411-1712-3
  • Raymond Palmer: Felix Kersten and Count Bernadotte: A question of rescue. In: Journal of Contemporary History. Band 29(1), 1994, S. 39–51.
  • Norbert Masur: Ein Jude spricht mit Himmler; Stockholm, 1945; übersetzt von Hauke Siemen; In: Günther & Zankel: Abrahams Enkel. Juden, Christen, Muslime und die Schoa; ISBN 978-3-515-08979-1 (2006) (Online)
  • Lena Einhorn: Menschenhandel unterm Hakenkreuz, Klett-Cotta, 2002. ISBN 3-608-94010-3
  • Hans-Heinrich Wilhelm/ Louis de Jong: Zwei Legenden aus dem Dritten Reich - Quellenkritische Studien, Deutsche Verlags-Anstalt, 1974 (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd.28). ISBN 3-421-01680-1
  • Josef Kessel: Medizinalrat Kersten - Der Mann mit den magischen Händen, Nymphenburger Verlag, 1961.
  • Arno Kersten/ Emmanuel Amara: Felix Kersten. Le Dernier des Justes, P. Robin, 2006. ISBN 2-352-28009-5
  • Werner Neuß: Menschenfreund und Mörder - Himmlers Leibarzt Felix Kersten, Projekte-Verlag Cornelius, Halle 2010. ISBN 3-866-34840-1
  • Wolfgang Lenz / Olaf Welding (Hrsg.): Deutschbaltisches biographisches Lexikon 1710-1960, Verlag H. von Hirschheydt, 1998. ISBN 3-777-70017-7

Einzelnachweise

  1. Der Orden unter dem Totenkopf, Die Geschichte der SS (20. Fortsetzung)
  2. Peter Longerich, Heinrich Himmler. Biographie, München 2010, S. 394.

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