Fernöstliche Republik

Fernöstliche Republik

Die Demokratische Fernöstliche Republik (DWR; russisch Дальневосточная Республика, ДВР), war eine zwischen dem 6. April 1920 und dem 15. November 1922 bestehende kommunistische Sowjetrepublik in Russisch-Fernost und in Süd- und Ostsibirien.

Flagge der Fernöstlichen Republik

Inhaltsverzeichnis

Gebietsentwicklung

Fernöstliche Republik 1920-1922 (die Ende 1920 an die RSFSR abgetretenen Nordgebiete sind hellgrün dargestellt)
US-Truppen der American Expeditionary Force Siberia bei einer Parade in Wladiwostok vor einem von der Tschechoslowakischen Legion besetzten Gebäude, 1. August 1918
Getötete Bolschewiki in Wladiwostok
Von Verteidigungsminister Wassili Blücher als Befehlsstand genutzter Eisenbahnwaggon; Militärmuseum Chabarowsk
1.000 Rubel-Banknote der Fernöstlichen Republik, 1920

Die Fernöstliche Republik erstreckte sich vom Baikalsee (Baikalgebiet und Transbaikalien) entlang der mongolischen und chinesischen Grenze (Küsten- und Amurprovinz gegenüber der Mandschurei) sowie entlang des Ochotskischen Meeres bzw. des Pazifiks bis hinauf nach Kamtschatka und zur Tschuktschenhalbinsel[1], umfasste aber nicht Jakutien.

Der westliche Teil des Siedlungsgebietes der mongolischen Burjaten kam zu Sowjetrussland, der östliche an die Fernöstliche Republik.

Ende 1920 wurden Kamtschatka und die Tschuktschenhalbinsel an die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik abgetreten.[1]

Nord-Sachalin war während der gesamten Existenzdauer der FÖR japanisch besetzt.

Geschichte

Hintergrund

Im Russischen Bürgerkrieg, der auf die Oktoberrevolution und die bolschewistische Machtergreifung folgte, unterstützte das Japanische Kaiserreich – als Teil einer Intervention der Triple Entente – die Truppen der Weißen Armee in ihrem Kampf gegen die bolschewistische Rote Armee.

Zwischen 1918 und 1922 entsandte Japan in der Sibirischen Intervention mehr als 70.000 Soldaten der Kaiserlich Japanischen Armee in die russische Region Primorje und besetzte im April 1918 Wladiwostok und Teile der Pazifikküste. Zwischen Februar und März 1920 kam es zum Nikolajewsk-Zwischenfall, der in einem Massaker an mehreren hundert Japanern in der sibirischen Stadt Nikolajewsk am Amur gipfelte.

Zur Unterstützung der ebenfalls auf Seiten der Weißen Armee kämpfenden Tschechoslowakischen Legion, die weite Strecken der Transsibirischen Eisenbahn kontrollierte, entsandten auch die Vereinigten Staaten zwischen 1918 und 1920 mit der American Expeditionary Force Siberia ein Kontingent von knapp 8.000 Soldaten.

Gründung als sowjetischer Pufferstaat

Um nach dem Nikolajewsk-Zwischenfall einen direkten Krieg zwischen Sowjetrussland und Japan zu verhindern, gründete Sowjetrussland am 6. April 1920 als „Pufferstaat“ die Fernöstliche Republik.

Nach der Vertreibung des weißgardistischen Generals Grigori Semjonow im Oktober 1920 wurde unter den Sowjets nicht Wladiwostok, sondern Tschita Hauptstadt der Fernöstlichen Republik.

Von 1920 bis Oktober 1922 versuchte Japan mit Hilfe von Weißgardisten und abtrünnigen Kommunisten, die Region Primorje abzuspalten: So entstand im Mai 1921 unter japanischer Kontrolle die Küstenrepublik.

Auf der Washingtoner Flottenkonferenz am 6. Februar 1922 bemühten sich anstelle Sowjetrußlands Vertreter der Fernöstlichen Republik um diplomatische Anerkennung durch die USA und um US-amerikanischen Druck auf Japan zur Räumung der Gebiete der Küstenrepublik.

Im Juli 1921 war Wassili Blücher, der bereits 1918/19 in Sibirien gegen die Tschechoslowakische Legion gekämpft hatte, Verteidigungsminister der Fernöstlichen Republik geworden. Nach dem Abzug der letzten japanischen Truppen im September 1922 aus der Küstenrepublik wurde am 25. Oktober 1922 das von den Weißgardisten gehaltene Wladiwostok erobert. Die letzten Kämpfe wurden propagandistisch im Lied „Partisanen vom Amur“ verewigt.

Verhandlungen mit Japan

Trotz bzw. parallel zu der militärischen Konfrontation kam es auch zu Verhandlungen zwischen der Fernöstlichen Republik und Japan.

Erste Runde: August bis Oktober 1921

Überraschend hatte der japanische Botschafter in Peking dem Vertreter der Fernöstlichen Republik in China die Aufnahme normaler diplomatischer Beziehungen vorgeschlagen. Am 21. August 1921 begann im japanischen Pachtgebiet Dairen die erste Verhandlungsrunde. Über einen Truppenabzug wollten die Japaner aber erst später und vor allem ohne die Teilnahme Sowjetrußlands verhandeln. Verhandlungen über einen Abzug sollten erst nach der Beilegung des Nikolajewsker Zwischenfalls erfolgen. Während die Fernöstliche Republik Japan Konzessionen und Meistbegünstigung anbot, forderte Japan Nord-Sachalin als Entschädigung.[2]

Im Oktober 1921 faßte Japan 17 Forderungen in einem Entwurf zusammen. Die wichtigsten dieser japanischen Forderungen waren die Schleifung aller Befestigungen, der Verzicht der FÖR auf eine Flotte, die vertragliche Zusicherung der Verhinderung eines kommunistischen Regimes, zahlreiche ökonomische Sonderrechte (die noch über die angebotenen Konzessionen und die Meistbegünstigung hinausgingen) sowie die Verpachtung Nord-Sachalins an Japan für 80 Jahre. Da die FÖR diese Forderungen ablehnte, brach Japan die Verhandlungen ab.[2]

Zweite Runde: März bis April 1922

In einer zweiten Verhandlungsrunde Ende März 1922 bot die FÖR Japan weiterreichende ökonomische Vergünstigungen und Sonderrechte an, über eine Frist für den japanischen Abzug konnte dennoch keine Einigung erzielt werden. Am 15. April stellte Japan stattdessen neue Forderungen, die den bereits zurückgewiesenen 17 Forderungen ähnelten. Daraufhin wurden die Gespräche am 16. April 1922 erneut abgebrochen.[3]

Dritte Runde: September 1922

Am 4. September 1922 kamen Vertreter Japans und der FÖR im japanischen Konsulat in Changchun (Mandschurei) erneut zusammen, Gegenstand der Verhandlungen sollte ein Handelsabkommen sein. Japan versprach erneut einen Truppenabzug, forderte jedoch wiederum, zuvor müsse der Nikolajewsker Zwischenfall beigelegt werden. Als die FÖR daraufhin zunächst nur eine Untersuchung des Zwischenfalls vorschlug, brach Japan die Verhandlungen am 26. September wieder ab.[4]

Mit dem siegreichen Vormarsch der Roten Armee sahen schließlich auch die Sowjets keine Notwendigkeit mehr in einer Verhandlungslösung. Noch im September 1922 zog die japanische Armee endgültig ab.[5]

Anschluss an die Sowjetunion

Am 15. November 1922 proklamierte die Fernöstliche Republik ihren Anschluss an die Sowjetunion. Nord-Sachalin blieb noch bis 1925 unter japanischer Kontrolle.

Das Gebiet im heutigen Föderationskreis Ferner Osten

Seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 gibt es in der Küstenregion und dort vor allem im Wirtschaftszentrum Wladiwostok und in Chabarowsk, der Hauptstadt des Föderationskreises Ferner Osten der Russischen Föderation, regionalistische und teilweise separatistische Bestrebungen gegen die Zentralregierung im fernen Moskau, die von traditionell antirussischen Kreisen in den USA unterstützt werden.

Zbignew Brezinski, zum Beispiel, skizzierte 1997 in seinem Artikel «Geostrategie für Eurasien» das Konzept der US-Politik wie folgt: ... Russland als eine euroasiatische Grossmacht sei zu beseitigen; an seiner Stelle sei eine Konföderation zu schaffen, bestehend aus der Russischen Europäischen Republik, der Sibirischen und der Fernöstlichen Republik.“[6]

Belletristische Rezeption

Der russische Schriftsteller Boris Pasternak erwähnt die Fernöstliche Republik in seinem 1957 erschienenen Roman Doktor Schiwago.

Literatur

  • Die Fernöstliche Republik (1920–1922): Ein staatlicher Ordnungsversuch zur Zeit des Russischen Bürgerkrieges. In: Harald Heppner, Eduard Staudinger (Hrsg.): Region und Umbruch 1918 – Zur Geschichte alternativer Ordnungsversuche. Lang, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-631-37349-X, S. 231–260.
  • David Golinkow: Fiasko einer Konterrevolution. Das Scheitern antisowjetischer Verschwörungen in der UdSSR. 1917–1925. Dietz, Berlin 1982.
  • Wladimir P. Potjomkin (Hrsg.): Geschichte der Diplomatie. 2. Auflage.
    • Zweiter Band: Die Diplomatie der Neuzeit, 1872-1919. SWA-Verlag, Berlin u. a. 1948.
    • Dritter Band, Teil 1: Die Diplomatie in der Periode der Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges, 1919–1939. SWA-Verlag, Berlin u. a. 1948, (Dem von Potjomkin geleiteten Autorenkollektiv gehörten u.a. auch Jewgeni Tarle und Isaak Minz an).

Weblinks

 Commons: Fernöstliche Republik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Administrative Einteilung der FÖR (Russisch)
  2. a b Potjomkin, Band 3, Seiten 160f
  3. Potjomkin, Band 3, Seiten 179f
  4. Potjomkin, Band 3, Seiten 243ff
  5. Dorothy Perkins: Japan Goes to War: A Chronology of Japanese Military Expansion from the Meiji Era to the Attack on Pearl Harbor (1868–1941), DIANE Publishing, 1997, ISBN 0-788-13427-2, S. 97.
  6. Zeit-Fragen Nr. 30 vom 22. Juli 2002: Bittere Früchte hegemonialer Politik

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