Gaetano Salvemini

Gaetano Salvemini
Gaetano Salvemini (rechts) mit Hubertus Prinz zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg (Mitte) und Mario A. Fei (1935)

Gaetano Salvemini (* 8. November 1873 in Molfetta (Provinz Bari); † 6. September 1957 in Sorrent (Kampanien)) war ein italienischer Politiker, Historiker und Publizist.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Nach Abschluss seines Philologie-Studiums in Florenz (1896) widmete sich Salvemini anfangs der Mediävistik, wobei er sich als versierter junger Historiker erwies. 1901 erhielt der 28-jährige, nach seiner Tätigkeit als Lateinlehrer an einer Mittelschule in Palermo, den Lehrstuhl für Neuere Geschichte in Messina. Bei dem schweren Erdbeben von 1908 verlor er seine Frau, alle fünf Kinder und eine Schwester und setzte danach, als einziger Überlebender der Familie, seine Lehrtätigkeit an den Universitäten von Pisa und Florenz fort.

Salvemini war Mitglied der sozialistischen Partei (PSI) und Anhänger der Meridionalisti, d.h. der um die Süditalien-Frage bemühten Strömung der Partei. Seit 1897 schrieb er für die Zeitschrift Critica sociale, wo er sich beharrlich für die süditalienischen Belange und das allgemeine Wahlrecht einsetzte. So bestand er auf der Notwendigkeit, eine Allianz zwischen den Arbeitern des Nordens und den Bauern des Südens zu bilden, um die sozialistische Bewegung an meridionalistische Forderungen zu binden. Ferner verlangte er die Abschaffung von Zollgebühren, welche die Industrieunternehmen schützten, und die Förderung bäuerlichen Kleinbesitzes im Zuge der Auflösung von Großgrundbesitz.

In seinem Artikel Il ministro della malavita im Parteiorgan Avanti! griff er am 14. März 1909 den italienischen Ministerpräsidenten Giovanni Giolitti wegen dessen Verwicklung in Korruptionen und die aufkommenden Mafia-Strukturen an. Innerhalb des PSI führte er eine harte Auseinandersetzung mit Filippo Turati, dem Anführer des Mehrheitsflügels, und verließ die Partei 1911, beim Ausbruch des Libyen-Krieges, gegen den sich der PSI nach Salveminis Auffassung nicht deutlich genug aussprach. Aus demselben Grund gab er zugleich seine Mitarbeit an der Zeitschrift La Voce auf und gründete im Dezember 1911 mit L'Unità eine eigene Zeitschrift, die er als Plattform für eine neue meridionalistische Partei, die Lega democratica, bis 1920 leitete.

Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs schloss er sich 1914 den Befürwortern einer Teilnahme Italiens an, dem so genannten Interventismo, weil er der Überzeugung war, dass die anachronistischen Kaiserreiche Österreich-Ungarn und Deutschland nur auf diese Weise zu besiegen seien. Gegen Ende des Krieges zeigte er sich jedoch enttäuscht darüber, dass die Rivalitäten zwischen den Staaten letztlich nicht überwunden werden konnten und dass die einzelnen Völker auf die Entscheidungen ihrer Regierungen nicht genug Einfluss ausübten. Als Parlamentsabgeordneter (seit 1919) sprach er sich bei der Machtergreifung der Faschisten 1922 gegen Mussolini und 1924 gegen den Auszug der oppositionellen Abgeordneten aus dem Parlament (im Bündnis der Aventinianer) aus. Mit den Brüdern Carlo und Nello Rosselli, mit denen er 1925 in Florenz die erste antifaschistische Zeitung Non Mollare (Nicht nachgeben) im Untergrund herausgab, und mit Ernesto Rossi verband ihn eine enge persönliche und politische Freundschaft.

Am 8. Juni 1925 wurde er von der faschistischen Polizei in Rom festgenommen und daraufhin zusammen mit Ernesto Rossi verurteilt, doch nach einer Amnestie gelang ihm im August die heimliche Flucht nach Frankreich. Im November 1929 gründete er zusammen mit anderen antifaschistischen Exilanten (Emilio Lussu, Alberto Tarchiani, Alberto Cianca u. a.) in Paris die demokratische Widerstandsbewegung Giustizia e Libertà (Gerechtigkeit und Freiheit), die auf Initiative der Gebrüder Rosselli zustande kam. Auch in Italien entstanden, vor allem unter Studenten, Gruppen der Giustizia e Libertà (GL); viele ihrer Anhänger wurden festgenommen und zu langen Haftstrafen verurteilt (z. B. Ernesto Rossi, Ferruccio Parri und Leone Ginzburg).

Bei seinem Aufenthalt in England lieferte Salvemini sich eine harte Auseinandersetzung mit George Bernard Shaw, der ein Bewunderer Mussolinis war. 1934 zog er in die USA, wo er an der Harvard University italienische Geschichte lehrte und die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm. Während des Zweiten Weltkriegs hielt er in Amerika, England und Frankreich Vorlesungen und Vorträge zugunsten einer Politik gegen Faschismus, Kommunismus und die italienische Monarchie. 1939 gründete er mit anderen Antifaschisten (Lionello Venturi, Giuseppe Antonio Borgese, Randolfo Pacciardi, Michele Cantarella, Aldo Garosci, Carlo Sforza, Alberto Tarchiani, Max Ascoli u. a.) die Mazzini Society, die sich im Gegensatz zu anderen GL-Gruppierungen gegen die Monarchie und gegen das Abkommen aussprach, das GL-Vertreter in Toulouse mit sozialistischen und kommunistischen Widerstandskämpfern unterzeichnet hatten. In seiner Exilzeit veröffentlichte er einige seiner Bücher über die zeitgenössische Geschichte in englischer Sprache, darunter The Fascist Dictatorship in Italy (1927), Under the Axe of Fascism (1936) und Prelude to World War II (1953).

Bei seiner Rückkehr nach Italien nahm Salvemini 1947 seine Lehrtätigkeit an der Universität Florenz wieder auf und setzte sein politisches Engagement für einen laizistischen Staat und gegen Dogmen sowie ideologische Unschärfen fort, in Übereinstimmung mit den reformistisch-demokratischen Standpunkten Ernesto Rossis. In seiner kritischen Haltung gegenüber den christdemokratischen Nachkriegsregierungen forderte er die Aufhebung der Lateranverträge von 1929 und verteidigte das öffentliche Schulsystem gegen die konservativen Reformen der Regierung.

1955 erhielt er von der Accademia Nazionale dei Lincei den internationalen Antonio-Feltrinelli-Preis sowie die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford. Gaetano Salvemini starb am 6. September 1957 in Sorrent im Alter von 84 Jahren.

Werke (Auswahl)

  • The Fascist Dictatorship in Italy. New York: Holt, 1927
  • Mussolini diplomate. Paris: Grasset, 1932
  • Under the Axe of Fascism. London: Gollancz, 1936
  • La politica estera dell’Italia dal 1871 al 1915. Florenz: G. Barbera, 1944
  • Prelude to World War II. London: Gollancz, 1953 (die Ausgabe New York: Doubleday, 1954 online im Internet Archive: [1])
  • Scritti sulla questione meridionale: 1896-1955. Turin: Einaudi, 1955
  • Opere di Gaetano Salvemini. Mailand: Feltrinelli, 1978

Literatur

  • Salvadori, Massimo L.: Gaetano Salvemini. Turin: Einaudi, 1963
  • De Caro, Gaspare: Gaetano Salvemini. Turin: UTET, 1970
  • Bütler, Hugo: Gaetano Salvemini und die italienische Politik vor dem Ersten Weltkrieg. Tübingen: Niemeyer, 1978
  • Gaetano Salvemini tra politica e storia. Atti del Convegno Internazionale. (Hrsg.: Gaetano Cingari) Rom: Laterza, 1986
  • Killinger, Charles L.: Gaetano Salvemini. A Biography. Westport (Connecticut): Praeger, 2002
  • Lucchese, Salvatore: Federalismo, socialismo e questione meridionale in Gaetano Salvemini. Manduria (Provinz Tarent): Lacaita, 2004
  • Iris Origo: Bisogno di testimoniare, 1984, Biographien der Antifaschisten Ignazio Silone, Gaetano Salvemini, Ruth Draper und Lauro De Bosis, englisch A Need to Testify, 1984, Nachdruck 2001 (über Salvemini: S. 183-268).

Weblinks


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