Generative Transformationsgrammatik

Generative Transformationsgrammatik

Die generative Transformationsgrammatik (TG), auch Erzeugungsgrammatik, ist eine Generative Grammatik mit Transformationsregeln. Das Modell wurde in den 1950er Jahren von Noam Chomsky konzipiert und 1965 um die Interpretative Semantik erweitert. Die Diskussion um die semantische Komponente innerhalb der TG führte zu den Linguistics Wars, einer breit angelegten wissenschaftlichen Debatte, in deren Verlauf Chomsky und seine Mitarbeiter ihre Vorstellungen in verschiedenen Versionen weiterentwickelten.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Die generative Transformationsgrammatik stellt nach der Theorie von Noam Chomsky eine Überwindung des taxonomischen Strukturalismus dar. Chomsky fragte, wie ein Sprecher einer beliebigen Sprache mit einer endlichen Anzahl von Regeln eine unendliche Anzahl von Sätzen produzieren kann und wie ein Hörer Sätze versteht, die er zuvor nie gehört hat.

Eine generative Transformationsgrammatik ist also ein Modell der Beschreibung des dynamischen Prozesses der Sprachproduktion und Sprachrezeption, die Fähigkeit des idealen Sprechers/Hörers, grammatikalische Ausdrücke zu erzeugen und zu verstehen (Kompetenz).

Diese Vorstellung eines idealen Sprechers ist verbunden mit dem Entwurf einer natürlichen Logik. Dabei orientierten sich die strukturellen Grammatiktheorien u.a. an Rudolf Carnap. Als Vertreter des logischen Empirismus arbeitete er an einer logischen Analyse der Sprache nach dem Muster der physikalischen Sprache, die er als Universalsprache der Wissenschaft betrachtete.

Eine weitere Voraussetzung für einen solchen Ansatz ist das Postulat, dass das Sprachsystem im Gehirn ähnlich funktioniert wie ein Computer. Nach Jerry Fodors Ansicht können die vielfältigen Strukturen und Bedeutungen der sprachlichen Äußerungen (Oberflächenstruktur) auf einen grammatikalischen Regelapparat (die Tiefenstrukturen) zurückgeführt werden, der einerseits durch Umformungen (Transformationen) die Sprachverwendung erzeugt (generiert) und andererseits das Verstehen ermöglicht. Entsprechend übernahmen die Linguisten bei ihren Notationen die – in der Informatik verwendeten - mathematischen Symbole der Graphentheorie in Verbindung mit Algorithmen: Grundform für die Konstituentenanalyse ist der Baumgraph. Jerry Fodor bezeichnet die abstrakten Basisstrukturen als Sprache des Geistes, die in einzelnen Gehirnregionen lokalisiert sei und durch kausale Abfolgen und Regeln nachgebildet werden könnte. Da er wie Chomsky (s. Cartesianische Linguistik[1]) von einer genetischen Disposition ausgeht, nimmt er an, dass jeder Mensch über diese Sprachkompetenz verfügt und es möglich ist, eine die Teilsprachen übergreifende universelle Basissprache für einen idealen Sprecher/Hörer zu modellieren. Beim Sprechenlernen müsse das Kind nur noch die lexikalischen Einheiten und Morpheme erwerben und sie mit den Strukturen verbinden. Chomsky u.a. setzten diesen Ansatz in der Generativen Transformationsgrammatik um: Der Sprecher versteht die sprachliche Äußerungen, indem er die Bedeutung des Satzes aus der Bedeutung der einzelnen Bestandteile, der Formative, erschließt (interpretiert). Die Vorstellung eines idealen Sprechers/Hörers und das Transformationsregelsystem werden von neuen Forschungen der Kybernetik und der Kognitionswissenschaften diskutiert bzw. in Frage gestellt.

Die Sprachverwendung dagegen bezeichnet Chomsky als Performanz. Die Standardversion bei Chomsky besteht aus einem Erzeugungsteil (Basis), der Tiefenstrukturen erzeugt, die im Transformationsteil nach einzelsprachlich (z. B. englisch, deutsch) unterschiedlichen Transformationen in die Oberflächenstrukturen überführt werden und dabei eine semantische und eine phonologische Interpretation (Weiteres unter: Interpretative Semantik) erfahren. Die Basis dieser Grammatik ist syntaktisch. Eine solche Grammatik liefert also für jeden Satz, den sie generiert (hervorbringt), eine Tiefen- und eine Oberflächenstruktur sowie die Bedeutung und die lautliche Realisation.

Die Lakoff–Variante

→ siehe auch Jerrold Katz: Die Semantische Theorie 1.1 Vorgeschichte 1.2 Das Modell der semantischen Interpretation 1.3 Diskussion 1.4 Literatur

→ siehe auch: Interpretative Semantik 5. The Linguistics Wars - Lakoff gegen Chomsky 6. Die semantische Theorie in der Diskussion

Als Reaktion auf die Kritik an der Aspects-Version erweiterte Chomsky sein Modell der Transformationsgrammatik um die semantische Komponente, während Lakoff u.a mit ihrer Generativen Semantik einen anderen Ansatz wählten:

  • Im Gegensatz zu Chomskys Modell erzeugen die den Sätzen einer Sprache zugrunde liegenden abstrakten Basiskomponenten (Formationsregeln) in der GS nicht mehr syntaktische Tiefenstrukturen, sondern semantische Satzrepräsentationen, auch Tiefenstrukturen genannt (aber nicht in Chomskys Definition), welche die Satzbedeutung vollständig beschreiben. Das geschieht durch kleinste bedeutungstragende Bausteine (= atomare Prädikate), die in Großbuchstaben geschrieben werden. Deshalb kommt die GS – im Unterschied zur TG – ohne auf den Tiefenstrukturen operierende semantische Komponenten aus.
  • Die TG Chomskys geht dagegen bei den Ableitungsstufen von einer syntaktischen Komponente aus, welche die Basiskomponente (Formationsregeln + Lexikon) und die Tiefenstrukturen produziert. Diese wird erweitert um die Semantische Komponente (= semantische Regeln), die in der Tiefenstruktur die Semantische Repräsentationen generiert. Mit Hilfe von Transformationsregeln (Transformationskomponente) entstehen die Oberflächenstrukturen.
  • Bei der GS ersetzt die an die semantische Satzrepräsentation anschließende Transformationskomponente die abstrakten atomaren Prädikate, die bereits Bedeutungsträger sind, durch Formative. Diese brauchen nur noch mit den bisher fehlenden phonologischen und syntaktischen Eigenschaften ausgestattet werden und stellen korrekt geformte - normalsprachliche - syntaktische Oberflächenstrukturen her.
  • Zusammenfassung von 1 u 2: . Es besteht eine prinzipiell unterschiedliche Auffassung bezüglich des Verhältnisses von Syntax und Semantik. Die TG setzt sich aus zwei unterschiedlichen Regelapparaten zusammen: generative Syntax und Semantik, welche die durch die Syntax aufgebauten Strukturen interpretiert. Strukturierungen und semantische Beziehungen sprachlicher Ausdrücke sind demnach zwei verschiedene sprachliche Aspekte. In der GS gibt es dagegen keine prinzipielle Differenz zwischen semantischen und syntaktischen Erscheinungen und deshalb nur einen einzigen semantischen Regelapparat. Vertreter der TG kritisieren, dass die GS die zentralen semantischen Phänomene nicht mit ihrem Regelapparat, sondern durch die zusätzlichen Bedeutungspostulate erklärt. Es handele sich also nur um einen Zusatz zur Syntaxbeschreibung.
  • Die GS organisiert den Baumgraphen nicht in Nominalphrase (NP = Subjekt) und Verbalphrase (VP mit V + NP = Verb/Prädikat + Objekt) als unmittelbare Konstituenten des Satzes (S), sondern stellt das Verb mit den NP (Subjekt und Objekt) gleich. Damit erhält S eine Prädikat-Argument-Struktur wie in der Prädikatenlogik. Außerdem formalisiert die GS Satzvoraussetzungen (Präsuppositionen) und Implikation nach Gottlob Freges Notationen, die in der generativen Syntax der TG nicht modelliert werden können.
           S
       /   |   \
    NP     V    NP
   / |     |    | \
Die Katze fraß den Kuchen


  • Anders als die TG hat die GS den Anspruch, auch sprachliche Kontextbeziehungen und Sprechsituationen in ihr Modell einzubeziehen, stößt dabei jedoch an Grenzen der mathematischen Formalisierbarkeit und wird deshalb von Vertretern der linguistischen Pragmatik kritisiert.

Literatur

  • Baumgärtner, Klaus; Steger, Hugo (Hrsg.): Funkkolleg Sprache. Eine Einführung in die moderne Linguistik. Bd. 9, S. 33-38 (Kritik an Fragestellung und Prämissen der Semantiktheorien innerhalb der Transformationsgrammatik), Bd. 10, S. 7 ff. (Kritik an der Sprachtheorie der TG). Beltz Weinheim 1972.
  • Chomsky, Noam: Syntactic Structure. 1957.
  • Chomsky, Noam: Aspekte der Syntaxtheorie (Übersetzung von: Aspects of the Theory of Syntax, 1965). Frankfurt 1969.
  • Chomsky, Noam: Cartesianische Linguistik. Ein Kapitel in der Geschichte des Rationalismus. Tübingen 1971. Übersetzung (R. Kruse) von Chomsky, Noam: Cartesian linguistics: a chapter in the history of rationalist thought. University Press of America, Lanham, Maryland 1965. Reprint: University Press, Cambridge 2009.</ref>
  • Katz, Jerrold J.; Fodor, Jerry A.: Die Struktur einer semantischen Theorie. In: Steger, Hugo (Hrsg): Vorschläge für eine strukturelle Grammatik des Deutschen. Darmstadt 1970, S. 202-268.
  • Lakoff, George: Linguistik und natürliche Logik, Frankfurt 1971.
  • Steger, Hugo (Hrsg.): Vorschläge für eine strukturale Grammatik des Deutschen. Wege der Forschung Bd. 146. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1970.

Einzelnachweise

  1. Chomsky, Noam: Cartesianische Linguistik. Ein Kapitel in der Geschichte des Rationalismus. Tübingen 1971. Übersetzung (R. Kruse) von Chomsky, Noam: Cartesian linguistics: a chapter in the history of rationalist thought. University Press of America, Lanham, Maryland 1965. Reprint: University Press, Cambridge 2009.

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: generative Transformationsgrammatik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary Wiktionary: idealer Sprecher-Hörer – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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