Geschlechtsbestimmung

Geschlechtsbestimmung
Geschlechsdifferenzierung beim Menschen

Unter Geschlechtsdetermination werden jene Abläufe verstanden, die in der Embryogenese zur Festlegung des somatischen Geschlechts führen und schließlich eine sozial wirkende Einteilung von Individuen in männlich oder weiblich erlauben.

Für die Festlegung des Geschlechts sind zwei verschiedene Mechanismen bekannt.

  • Die genetische oder chromosomale Geschlechtsdetermination, die auf den genetischen Unterschieden der Geschlechter basiert.
  • Die modifikatorische Geschlechtsdetermination, welche von äußeren Faktoren (z. B. Temperatur) abhängt.

Erstere führt u. a. bei den Säugetieren, letztere u. a. bei vielen Reptilien zu einer somatischen Geschlechtsfestlegung.

Nicht bei allen Arten treten zwei Geschlechter auf. Hermaphroditen vereinigen männliche und weibliche Merkmale in einem Individuum. Einige Fisch-, Eidechsen- und Insektenarten sind allesamt weiblich und reproduzieren sich durch Parthenogenese. Bei einigen Arthropoden wird das weibliche Geschlecht durch die Infektion mit Bakterien der Gattung Wolbachia erzwungen. Bei bestimmten Ameisenarten (Pogonomyrmex barbatus und P. rugosus) wird vermutet, dass sie drei Geschlechter haben.[1][2]


Inhaltsverzeichnis

Genetische Determinationssysteme

Von genetischem oder chromosomalem Geschlecht wird gesprochen, wenn die Geschlechtsbestimmung auf der Art oder Anzahl der vorhandenen Chromosomen beruht.

Geschlechtsdetermination durch Geschlechtschromosomen

Hauptartikel: Geschlechtschromosom

Wenn Weibchen und Männchen gleich viele Chromosomen haben, sich aber mindestens eins der Chromosomen bei Weibchen und Männchen unterscheidet, spricht man von Geschlechtschromosomen (Gonosomen). Beispielsweise haben bei Säugern Weibchen zwei X-Chromosomen, sie sind also bezüglich der Geschlechtschromosomen homozygot. Männchen haben ein X- und ein Y-Chromosom und somit unterschiedliche Geschlechtschromosomen, sie sind hemizygot (XX/XY-System). Das Y-Chromosom enthält das SRY-Gen, welches für die Ausprägung des männlichen Geschlechts erforderlich ist. Ohne dieses entsteht ein weiblicher Organismus. Ein ZW/ZZ-System kommt beispielsweise bei Vögeln vor. Hier sind die Weibchen hemizygot (ein W- und ein Z-Chromosom) und die Männchen homozygot (ZZ). Bei einigen Gruppen der Reptilien kommen ebenfalls Geschlechtschromosomen vor. Bei Fischen und Amphibien fehlen Geschlechtschromosomen meist[3][4][5].

Auch bei getrenntgeschlechtlichen Pflanzenarten (Zweihäusigkeit, siehe diözisch) gibt es unterscheidbare Geschlechtschromosomen. Die evolutionär sehr jungen zweihäusigen Pflanzenarten stellen eher Ausnahmen dar. Hierunter fallen aus den Reihen der Bedecktsamer (Angiospermen) z.B. die Lichtnelke (Silene latifolia), die Große Brennnessel (Urtica dioica, mit Hinweis auf die Diözie im Artnamen), Hanf (Cannabis sativa), die Papaya (Carica papaya) oder auch der Ginkgo (Ginkgo biloba), als ein Vertreter der Nacktsamer (Gymnospermen).

Haplodiploidie

Hauptartikel: Haplodiploidie

Haplodiploidie ist eine Form des genetischen Geschlechts, bei der ein Geschlecht nur einen Chromosomensatz trägt (haploid) und das andere Geschlecht den doppelten Chromosomensatz (diploid). Üblicherweise ist das männliche Geschlecht haploid. Bekannteste Beispiele sind Bienen und Ameisen.

Die Milbenart Brevipalpus phoenicis, ein Schädling tropischer Nutzpflanzen, besteht nur aus haploiden Weibchen, die sich parthenogenetisch vermehren. Einer Untersuchung zu Folge handelt es sich eigentlich um genetische Männchen, die durch eine Infektion mit Bakterien zu Weibchen verändert werden[6]. Verweiblichung durch Bakterieninfektion ist auch bei anderen Gliederfüßern bekannt, meist durch Wolbachia.

Temperaturabhängige Geschlechtsdetermination bei Reptilien

Bei Krokodilen hängt das Geschlecht von der Temperatur der Eier ab: bis etwa 30°C entstehen Weibchen, ab 34°C entstehen nur noch Männchen. Bei Temperaturen dazwischen schlüpfen Krokodile beiderlei Geschlechts. Bei Schildkröten ist es umgekehrt. Warme Umweltbedingungen führen zu weiblichen Nachkommen, kühlere Temperaturen zu männlichen.

Hermaphroditen und sequenzielle Hermaphroditen

Sequenzielle Hermaphroditen: Männlicher (im Vordergrund) und weiblicher Anemonenfisch

Manche Tierarten sind Hermaphroditen und haben sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane, andere sind sequenzielle Hermaphroditen. So sind Anemonenfische und manche Würmer (Anneliden) als junge Tiere männlich und erwachsene Tiere weiblich. Hier ist das Geschlecht von der Größe des Individuums abhängig.[7][8]

Die große Mehrzahl der Pflanzenarten ist hermaphroditisch. Die hermaphroditischen Pflanzen werden weiter unterteilt in zwittrige, nämlich solche mit zwittrigen Blüten, und einhäusige (monözische), solche mit getrennten männlichen und weiblichen Blüten an einer Pflanze. Im Gegensatz dazu haben zweihäusige (diözische) Pflanzenarten weibliche und männliche Individuen. Hier gibt es unterscheidbare Geschlechtschromosomen (siehe oben) Es wird angenommen, dass bei Pflanzen die Getrenntgeschlechtlichkeit evolutionär jünger ist als die Hermaphroditie.

Gonadale Geschlechtsdeterminierung

Als gonadales Geschlecht wird die Zuordnung zum weiblichen oder männlichen Geschlecht anhand des GeschlechtsmerkmalsKeimdrüse“ (Eierstock oder Hoden) bezeichnet. Aufgrund der Hormonproduktion durch die Keimdrüsen wird das gonadale Geschlecht deshalb auch als hormonales oder endokrines Geschlecht bezeichnet. Bestimmt wird das gonadale Geschlecht beim Menschen durch das chromosomale oder genetische Geschlecht: Ist der Hoden-determinierende Faktor vorhanden, entwickelt sich aus den zunächst indifferenten Gonadenanlagen die Hoden, ansonsten die Eierstöcke.

Das gonadale Geschlecht führt in der ungestörten weiteren Embryonalentwicklung mit der Produktion der entsprechenden Sexualhormone zur Ausbildung eines männlichen oder weiblichen Phänotyps - dem genoduktalen Geschlecht, zu dessen Bestimmung die inneren Geschlechtsorgane herangezogen werden, und dem genitalen Geschlecht, das anhand der äußeren Geschlechtsorgane definiert wird.

Schematische Darstellung der Genitalentwicklung bei Säugetieren

Die gonadale Geschlechtsdeterminierung durch das XY-System wurde unabhängig voneinander erstmals 1905 von Dr. Nettie Stevens und Edmund Beecher Wilson beschrieben.

Ausgangspunkt für die Geschlechtsdifferenzierung bei Säugetieren ist die bipotente Gonadenanlage. In Säugetieren induziert das Y-Chromosom die Entwicklung der Hoden und damit die männliche Sexualentwicklung. In Abwesenheit des Y-Chromosoms differenziert sich die bipotente Gonadenanlage zu Ovarien. Ein beeindruckender Beweis für diese These stammt aus Versuchen mit Kaninchen. Jost (1953) kastrierte embryonale Kaninchen in Utero in einem Entwicklungsstadium, in dem die Differenzierung der inneren und äußeren Geschlechtsorgane noch nicht eingesetzt hat. Die Entnahme der Gonaden zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Embyonalentwicklung führte sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Kaninchen zur Ausbildung weiblicher Geschlechtsorgane. Diese Experimente zeigten, dass die Anwesenheit der Hoden die Ausbildung der weiblichen Geschlechtsorgane unterdrückt, während sie die Entwicklung des männlichen Phänotyps fördern.

Die Entwicklung der inneren Geschlechtsorgane wird durch die Wolffschen und Müllerschen Gänge bestimmt. Aus den Wolffschen Gängen differenzieren sich die Nebenhoden, die Samenleiter und die Samenblasen. Aus den Müllerschen Gängen entwickeln sich der Uterus, die Eileiter und die oberen zwei Drittel der Vagina. Im männlichen Embryo wird die Entwicklung der weiblichen Geschlechtsorgane durch das Anti-Müller-Hormon (AMH) reprimiert, das in den Sertolizellen des embryonalen Hodens produziert wird. Zeitgleich produzieren die Leydigzellen des Hodens Testosteron, welches die Differenzierung der Wolffschen Gänge fördert. In Abwesenheit vom AMH entwickeln sich im weiblichen Embryo die Müllerschen Gänge zu Uterus, Eileiter und den oberen 2/3 der Vagina.

Fehlentwicklungen bei der Geschlechtsdeterminierung

Das für die Geschlechtsdetermination hauptverantwortliche Gen SRY verbleibt während der väterlichen Keimzellreifung normalerweise auf dem Y-Chromosom. In seltenen Fällen (Häufigkeit ca. 1:10000 Männer) kommt es zu einer Übertragung des Gens auf das X-Chromsom. Dadurch entstehen Individuen mit weiblichem Genotyp (XX) und männlichem Phänotyp. Sie haben männliche innere und äußere Genitale, jedoch meist kleine Hoden und leiden an durch Azoospermie verursachter Infertilität. Es wurden auch schon XX-Männer beschrieben, bei denen SRY nicht nachweisbar war. In diesen Fällen übernehmen X-chromosomale oder autosomale Gene die Funktion von SRY.

Darüber hinaus gibt es auch XY-Frauen. Dieses durch den Endokrinologen G. Swyer in den 50er Jahren erstbeschriebene und nach ihm benannte Syndrom zeichnet sich durch fehlende Hodenentwicklung und Genitalentwicklung trotz männlichen Genotyps aus. Es tritt sehr selten auf (Häufigkeit ca. 1:100.000 Frauen). Die primären Geschlechtsorgane Uterus, Clitoris, Vagina) sind normal "weiblich" ausgeprägt, jedoch werden da XY-Chromosomal keine Ovarien ausgebildet - jedoch sogenannte Stranggonaden, die mehr oder weniger hormonaktiv sein können. Bis zur Pubertät verläuft die Entwicklung normal "weiblich" - es tritt eine mehr oder minder ausgeprägte Virilisierung ein, eine "weibliche" Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale (Brustentwicklung, Schambehaarung, Menstruation) bleibt aus. Die genetische Ursache ist in 30% der Fälle ein defektes oder fehlendes SRY-Gen. 70% der Fälle sind ungeklärt.

Literatur

  1. Helms Cahan S. and Keller L.: Complex hybrid origin of genetic caste determination in harvester ants. Nature. 2003 Jul 17;424(6946):306–9. PMID 12867980
  2. Whitfield J.: Everything you always wanted to know about sexes. PLoS Biol. 2004 Jun;2(6):e183. Epub 2004 Jun 15. PMID 15208728
  3. von Hofsten J. and Olsson PE.: Zebrafish sex determination and differentiation: involvement of FTZ-F1 genes. Reprod Biol Endocrinol. 2005 Nov 10;3:63. PMID 16281973
  4. Green, D. M.: „Heteromorphic sex chromosomes in the rare and primitive frog Leiopelma hamiltoni from New Zealand“ In: J. Hered. 1988; 79: 165–169
  5. Reed, K. M. and R. B. Phillips: Polymorphism of the nucleolus organizer region (NOR) on the putative sex chromosomes of Arctic char (Salvelinus alpinus) is not sex related Chromosome Research 1997; 5:221–227.
  6. Andrew R. Weeks, Frantisek Marec, Johannes A. J. Breeuwer. A mite species that consists entirely of haploid females. 2001. Science, 292:2479–82. doi:10.1126/science.1060411
  7. Collin R.: Sex ratio, life-history invariants, and patterns of sex change in a family of protandrous gastropods. Evolution Int J Org Evolution. 2006 Apr;60(4):735–45. PMID 16739455
  8. Allsop DJ, and West SA.: Sex-ratio evolution in sex changing animals. Evolution Int J Org Evolution. 2004 May;58(5):1019–27. PMID 15212382

Siehe auch

Weblinks


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