Grelling-Nelson-Antinomie

Grelling-Nelson-Antinomie

Die Grelling-Nelson-Antinomie ist ein semantisches Paradoxon, das 1908 von Kurt Grelling und Leonard Nelson als Variante der Russellschen Antinomie formuliert wurde.

Inhaltsverzeichnis

Charakterisierung und Problematik

Grelling und Nelson gehen bei der Bildung ihrer Antinomie davon aus, dass jede Klasse durch ein Merkmal definiert ist, das ein Wort bezeichnet. Zum Beispiel bezeichnet das Wort „einsilbig“ das Merkmal der Klasse aller einsilbigen Wörter. Sie zerlegen dann die Wörter in zwei Klassen, die folgendermaßen definiert sind:

Ein autologisches Wort besitzt selbst das Merkmal, das es bezeichnet, ein heterologisches Wort dagegen nicht. Die Wörter „deutsch“ oder „dreisilbig“ sind autologisch, denn „deutsch“ ist ein deutsches Wort und „dreisilbig“ ein dreisilbiges Wort. Die meisten Wörter sind aber heterologisch, zum Beispiel „englisch“ und „einsilbig“, denn „englisch“ ist kein englisches Wort und „einsilbig“ kein einsilbiges Wort. Dagegen scheitert der Versuch, das Wort „heterologisch“ in diese beiden Klassen einzuordnen, an einem Widerspruch:

Angenommen „heterologisch“ ist ein autologisches Wort, dann ist es laut Definition ein heterologisches Wort im Widerspruch zur Annahme. Angenommen es trifft das Gegenteil zu und „heterologisch“ ist ein heterologisches Wort, dann ist es laut Definition kein heterologisches Wort, also ist es autologisch im Widerspruch zur Annahme.

Lösungen

Grelling und Nelson übertrugen in ihrer Antinomie die Russellsche Antinomie auf die Sprachebene, indem sie jeder Klasse ein Wort als Namen zuordneten durch eine umkehrbar eindeutige Funktion φ; dabei entspricht der Russellschen Klasse die Klasse der heterologischen Wörter H=\{\varphi(x)|\varphi(x) \notin x\}, so dass φ(H) das Wort „heterologisch“ bezeichnet.[1] Daher ist die Lösung der Grelling-Nelson-Antinomie völlig parallel zur Lösung der Russellschen Antinomie: Man kann beweisen, dass die Klasse \,H aller heterologischen Wörter keine Menge ist, sondern eine sogenannte echte Klasse.

Die Grelling-Nelson-Antinomie hat damit folgende logische Konsequenz: Die vorgegebene Bijektion φ, die den Namen einer Wortklasse angibt,[1] ist innerlogisch nicht realisierbar. Mit einer Menge von Wörtern über einem Alphabet, mit der jede übliche Sprache beschrieben wird, kann eine innerlogische Funktion, die allen Klassen einen Namen gibt, nicht gebildet werden; hier bleiben echte Klassen namenlos, denn sie können keine Argumente in Funktionen sein. Das bedeutet, dass die sprachlichen Voraussetzungen der Antinomie nicht gegeben sind. Daher zählt sie zu den sogenannten semantischen Paradoxien, bei denen ein metasprachlicher Sachverhalt unzulässig auf die logische Sprachebene gezogen wird. Die Benennung beliebiger Klassen φ ist nämlich nur korrekt als metasprachliche Funktion, die die Formelbildung betrifft. Wenn man aber φ als analoge logische Funktion annimmt wie Grelling-Nelson, dann kann es nachweislich keine Bijektion sein, denn der Widerspruch zeigt, dass diese naive Voraussetzung falsch ist.

Bei der Lösung in der ungebräuchlicheren verzweigten Typentheorie wird die Syntax so eingeschränkt, dass die Aussagen \varphi(x) \in x und \varphi(x) \notin x syntaktisch nicht mehr korrekt sind und die beiden Wortklassen gar nicht mehr gebildet und definiert werden können. Wortklassen haben hier nämlich einen höheren Typ als ihre Elemente (Wörter), und die Funktion φ noch einen höheren Typ als Wortklassen. Daher sind Funktionswerte \varphi (x) nicht als Elemente von \,x zugelassen. Die Typentheorie versucht also, die Probleme durch Einführung von Sprachebenen zu beseitigen und braucht dazu eine komplizierte Syntax, die die Sprachmöglichkeiten stark einschränkt. Die Formulierung in der Prädikatenlogik erster Stufe, die wie bei der Russellschen Antinomie zur Lösung völlig ausreicht, vermeidet diesen Aufwand und lässt besagte Formeln zu; hier reichen die erlaubten Schlussweisen aus zum Nachweis, dass die Voraussetzungen der Grelling-Nelson Antinomie inkonsistent sind.

Literatur

K. Grelling und L. Nelson: Bemerkungen zu den Paradoxien von Russell und Burali-Forti. In: Abhandlungen der Fries’schen Schule II, Göttingen 1908, S. 301-334. Nachdruck in: Leonard Nelson: Gesammelte Schriften III. Die kritische Methode in ihrer Bedeutung für die Wissenschaften. Felix Meiner Verlag. Hamburg. 1974 pp.95-127.

Einzelnachweis

  1. a b Grelling/Nelson S. 307: „Sei φ(M) dasjenige Wort, das den Begriff bezeichnet, durch den M definiert ist. Dieses Wort ist entweder Element von M oder nicht. Im ersten Falle wollen wir es „autologisch“ nennen, im anderen „heterologisch“.“ Nach Grelling/Nelson S. 306 ist hier φ als bijektive, umkehrbar eineindeutige Funktion vorausgesetzt.

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