Gunnar Heinsohn

Gunnar Heinsohn

Gunnar Heinsohn (* 21. November 1943 in Gotenhafen, heute Gdynia) ist ein deutscher Publizist und ehemaliger Professor für Sozialpädagogik an der Universität Bremen

Inhaltsverzeichnis

Biografie

Heinsohn ist der Sohn des deutschen U-Boot-Kommandanten Heinrich Heinsohn.

Er studierte an der Freien Universität Berlin Soziologie, Psychologie, Geschichte, Publizistik, Wirtschaftslehre und Theologie. 1974 promovierte er in Soziologie und 1982 in Wirtschaftswissenschaften. Dazwischen lebte er von 1976 bis 1978 in Israel. 1984 erhielt Heinsohn eine Professur für Sozialpädagogik an der Universität Bremen. Seit 1993 ist er Sprecher des von ihm gegründeten und so benannten Instituts für vergleichende Völkermordforschung (Raphael-Lemkin-Institut für Xenophobie- und Genozidforschung).

Die Publikationen Heinsohns umfassen ein weites thematisches Feld. So hat er zu Problemen der Demographie[1] und in jüngerer Zeit zum Phänomen des Youth Bulge[2] und zum „Erfundenen Mittelalter“ gearbeitet. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Geschichte und Theorie der Zivilisation. Im Zentrum der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungen, die er mit seinem Bremer Kollegen Otto Steiger seit 30 Jahren durchführt, steht die Theorie der „Eigentumsökonomik“, die ein alternatives Paradigma darstellen will. Danach ist das Eigentum elementare Kategorie, aus dem sie Zins, Geld, Märkte und technischen Fortschritt ableiten. In der Wirtschaftswissenschaft wird diese Theorie mehrheitlich nicht geteilt.[3] Heinsohn hat außerdem verschiedene Beiträge zum Thema Antisemitismus verfasst.

Von der Gründung 1982 bis zur Selbstauflösung 1988 war er Vorsitzender der Gesellschaft zur Rekonstruktion der Menschheits- und Naturgeschichte. Heinsohn tritt publizistisch in zahlreichen großen deutschen und internationalen Zeitungen und Magazinen in Erscheinung. [4] Darüber hinaus ist er Mitherausgeber und regelmäßiger Autor der Zeitschrift Zeitensprünge (vor 1995: Vorzeit, Frühzeit, Gegenwart).

Heinsohn ist seit Ende Februar 2009 im Ruhestand.

Resonanz

Der Philosoph Peter Sloterdijk, der Heinsohn als „höchst anregenden Gelehrten, der die engeren Fachdisziplinen immer wieder zu wissenschaftlichem Nutzen überschreitet“[5] beschreibt, bezeichnete Heinsohns Buch „Söhne und Weltmacht“ als „Pflichtlektüre für Politiker und Feuilletonisten“[6]. Dort formulierte Heinsohn seine These, nach welcher ein Jungmännerüberschuss (youth bulge) einen Positionenmangel innerhalb einer Gesellschaft verursache. Dieser Überschuss müsse sich abbauen, was er in Kolonisation, Krieg, Bürgerkrieg oder heutzutage in Terrorismus tue. Eine überaus wohlwollende Besprechung schrieb dazu auch Walter Klier in der Wiener Zeitung.[7] Reiner Klingholz rezensierte das Buch in der Wochenzeitung Die Zeit vom 26. Februar 2004 dagegen sehr negativ.[8] Er bemängelte die fehlende „statistische Grundlage für die Theorie des kriegsträchtigen Überhangs an jungen Männern“ und stellte ihr die nach Heinsohns Buch publizierten Erkenntnisse des Berliner Demografen Steffen Kroehnert entgegen. Ähnlich scharf kritisierte Mohssen Massarrat Heinsohns Buch in der Frankfurter Rundschau vom 31. Januar 2007.[9] Massarrat stellt dort fest, dass Heinsohn Beispiele unterschlage, die – wie etwa die Bevölkerungsentwicklung in Bangladesch, China und Brasilien – zu seiner Theorie nicht passten. Das Postulat Heinsohns, dass internationale Hilfsorganisationen aufhören müssten, durch ihren Einsatz die „Kinderproduktion“ in Krisengebieten und Entwicklungsländern zu fördern, bezeichnet Massarrat als „zynisch“.[10]

Auch die von ihm und Steiger aus makroökonomischer und bevölkerungspolitischer Sicht vertretene These, die Hexenverfolgungen hätten Staat und Kirche dazu gedient, die Hebammen („weisen Frauen“) zu beseitigen, um sie so an der Weitergabe und Anwendung von Techniken zur Geburtenkontrolle zu hindern, wurde von verschiedenen Geschichtswissenschaftlern zurückgewiesen, da ihr der Quellenbefund widerspreche und Heinsohns Arbeit methodische Mängel aufweise.[11]

In den Zeitensprüngen verfasste er u. a. 2001 einen Artikel zu Heribert Illigs These vom „Erfundenen Mittelalter“ (Karl der Einfältige – Imitator oder Urmuster, 4/01, S. 631–661), in dem er diese anhand der Geschichte karolingischer Münzen zu überprüfen versucht und zu der Vermutung gelangt, dass alle Carolus-Münzen von Karl dem Einfältigen stammen und der Urheber der karolingischen Münzreform Pippin der Ältere war.[12] Heinsohns Aussagen im Rahmen der Chronologiekritik werden von der Geschichtswissenschaft nicht bestätigt.

Bibliographie (Auswahl)

  • 1974 Theorie des Familienrechts: Geschlechtsrollenaufhebung, Kindesvernachlässigung, Geburtenrückgang, Frankfurt am Main, ISBN 351810747X
  • 1975 Theorie des Kindergartens und der Spielpädagogik, Frankfurt am Main, ISBN 3518108093
  • 1979 Menschenproduktion: allg. Bevölkerungstheorie d. Neuzeit, Frankfurt am Main, ISBN 3518109146, gemeinsam mit Rolf Knieper und Otto Steiger
  • 1982 Das Kibbutz-Modell: Bestandsaufnahme e. alternativen Wirtschafts- u. Lebensform nach 7 Jahrzehnten, Frankfurt am Main, ISBN 3518109987
  • 1984 Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp
  • 1985 Die Vernichtung der weisen Frauen: Beiträge zur Theorie und Geschichte von Bevölkerung und Kindheit, Herbstein, ISBN 3888800579 (2005 4., erweiterte Ausgabe mit einem ausführlichen, aktualisierten Nachwort zur erweiterten Neuausgabe, Erftstadt, ISBN 3899963407)
  • 1988 Was ist Antisemitismus? Der Ursprung von Monotheismus und Judenhaß, Frankfurt am Main: Eichborn, ISBN 3821804181
  • 1988 Die Sumerer gab es nicht: von d. Phantom-Imperien d. Lehrbücher zur wirklichen Epochenabfolge in d. „Zivilisationswiege“ Südmesopotamien; Darst. d. Probleme u. Vorschläge für ihre Lösung in e. chronolog. Überblick, Frankfurt am Main, ISBN 3821804114 / ISBN 3821804106
  • 1990 Wann lebten die Pharaonen?: Archäologische und technologische Grundlagen für eine Neuschreibung der Geschichte Ägyptens und der übrigen Welt, Frankfurt am Main, ISBN 382180422X (1999 3., korrigierte Auflage, Gräfelfing, ISBN 3928852205)
  • 1991 Wie alt ist das Menschengeschlecht?: Stratigraphische Grundlegung der Paläoanthropologie und der Vorzeit, Gräfelfing, ISBN 3928852256 (2003 4., korrigierte Auflage, Gräfelfing, ISBN 3928852256)
  • 1995 Warum Auschwitz?: Hitlers Plan und die Ratlosigkeit der Nachwelt, Reinbek bei Hamburg, ISBN 3499136260
  • 1996 Eigentum, Zins und Geld: Ungelöste Rätsel der Wirtschaftswissenschaft, Reinbek bei Hamburg, ISBN 3895184942 (2009 5. Auflage, Marburg ISBN 3895187216)
  • 1997 Die Erschaffung der Götter: das Opfer als Ursprung der Religion, Reinbek bei Hamburg, ISBN 3498029371
  • 1998 Lexikon der Völkermorde, Reinbek bei Hamburg, ISBN 3499223384
  • 2003 Söhne und Weltmacht: Terror im Aufstieg und Fall der Nationen, Zürich, ISBN 3280060087 (auch als kostenfreie PDF-Datei) erweiterte Auflage 2006
  • 2006 Eigentumsökonomik, gemeinsam mit Otto Steiger, Marburg (metropolis) ISBN 3895185345

Einzelnachweise

  1. Die demografische Kapitulation. Cicero. Abgerufen am 16. Mai 2008.
  2. Finis Germaniae?. Die Zeit. Abgerufen am 8. Juni 2009.
  3. Nikolaus K.A. Läufer (1998): The Heinsohn-Steiger Confusion on Interest, Property and Money. (online); H. Riese: Die Apokryphen des Gunnar Heinsohn und Otto Steiger. In: Karl Betz/Tobias Roy (1999): Privateigentum, Zins und Geld. Kontroversen um den Ansatz von Heinsohn und Steiger. Marburg: Metropolis Verlag; s.a. U. Stolzenburg (2005): Eine Kritik der Eigentumstheorie. (online)
  4. Gunnar Heinsohn: Exploding population. (Kenya’s violence.). In: International Herald Tribune. 17. Januar 2008, abgerufen am 4. Oktober 2008.
  5. http://www.petersloterdijk.net/german/aktuell/aktuell.html
  6. Kölner Stadt-Anzeiger, 1. August 2006
  7. Walter Klier: Katastrophen aller Art. Die vielen Wissensgebiete des Forschers Gunnar Heinsohn. In: Wiener Zeitung (20. Februar 2004)
  8. Machen junge Männer Krieg?, in: Die Zeit, 26. Februar 2004, Nr. 10, S. 49.
  9. "Schuld an Kriegen sind die Mütter", Frankfurter Rundschau, 31. Januar 2007.
  10. "Schuld an Kriegen sind die Mütter", Seite 2, Frankfurter Rundschau, 31. Januar 2007.
  11. Walter Rummel: Weise Frauen als Opfer?, aus: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung, hrsg. v. Gudrun Gersmann, Katrin Moeller u. Jürgen-Michael Schmidt, in: historicum.net (Abruf vom 28. Februar 2008)
  12. Gunnar Heinsohn: Karl der Einfältige (898/911-923). In: Die Web-Site „Zeitensprünge“ von Günter Lelarge. 5. Juli 2006, abgerufen am 4. Oktober 2008.; Ablehnung dieser These bei: Ralf Molkenthin: Die Phantomzeit und das Mittelalter - oder: Wie Heribert Illig eine Erfindung erfand. Eine mediävistische Erläuterung, in: Ralf Molkenthin und Bodo Gundelach (Hrsg.) De Ludo Kegelorum Morschen 2008, S. 24f.

Weblinks


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